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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Thore geschlossen, die Straßen durch Patrouillen gesäubert, und niemand durfte ohne wichtige Gründe das Haus und noch weniger die Stadt verlassen.

Mir blieb gar keine Wahl, gar kein langes Besinnen; entweder ich liebte Anges noch, blieb ihr ein treuer Freund, bot die Hand zu ihrer Rettung aus wachsender Pein und Verzweiflung ohne zögerndes Bedenken, oder ich war ein unritterlicher Feigling, nicht werth, daß ein so holdes gequältes Geschöpf mich Freund nenne, nicht werth eines so hohen unbegrenzten Vertrauens; daher sprach ich, wieder mit Anges nach ihrem Wohnhause zugehend: Hole das Kind, nimm was du an Schmuck und Baarschaft besitzest mit, und außerdem belade dich mit nichts. Ich bleibe hier und harre deiner, dann folgst du mir auf gutes Glück.

Es ging alles gut; die Eltern Berthelmy's, betagte Leute, hatten sich bereits zur Ruhe begeben; er blieb diese Nacht auf Wache; Anges nahm, was sie ihr Eigenthum nennen konnte, that als wolle sie das Kind, das schon schläfrig war, zur Ruhe bringen, kleidete dasselbe aber recht warm an, anstatt es auszukleiden, und kam nach Verlauf einer Viertelstunde mit ihm zu mir herab, der ich in peinlichen und angstvollen Gefühlen ihrer auf der Straße harrte. Die Kleine war still, die süße Stimme ihrer vermeinten Mutter hatte sie leicht beschwichtigt, ich nahm die leichte Last auf meine Arme, und so schritten wir nach meinem Gasthaus, das nicht fern vom le Greffier gelegen war. Meine Pferde hatten geruht, die Nacht war mondhell, ich ließ den Kutscher anspannen, und sagte dem Wirth, daß eine nahe Verwandte von mir mich begleiten werde. Einige Goldstücke über den Betrag meiner Rechnung bewogen meinen gefälligen Wirth, sich zur Mairie zu begeben, um für seine Verwandte, welche mit ihrem Bruder, der aus Amsterdam gekommen sei, sie abzuholen, und mit ihrem Kinde nach Holland zu reisen gedenke, einen Paß zu erbitten, und unser Abenteuer lief ganz glücklich ab; wir waren, als die Mitternachtglocken in le Mans anschlugen, schon weit aus dem Weichbild der uralten Bischofstadt und Anges pries den Himmel und mich unter Freudenthränen für ihre Rettung. Ich hätte unter keiner Bedingung eine solche That, als die meine war, die förmliche Entführung einer verheiratheten Frau, unter andern Verhältnissen begehen mögen, aber

Thore geschlossen, die Straßen durch Patrouillen gesäubert, und niemand durfte ohne wichtige Gründe das Haus und noch weniger die Stadt verlassen.

Mir blieb gar keine Wahl, gar kein langes Besinnen; entweder ich liebte Angés noch, blieb ihr ein treuer Freund, bot die Hand zu ihrer Rettung aus wachsender Pein und Verzweiflung ohne zögerndes Bedenken, oder ich war ein unritterlicher Feigling, nicht werth, daß ein so holdes gequältes Geschöpf mich Freund nenne, nicht werth eines so hohen unbegrenzten Vertrauens; daher sprach ich, wieder mit Angés nach ihrem Wohnhause zugehend: Hole das Kind, nimm was du an Schmuck und Baarschaft besitzest mit, und außerdem belade dich mit nichts. Ich bleibe hier und harre deiner, dann folgst du mir auf gutes Glück.

Es ging alles gut; die Eltern Berthelmy’s, betagte Leute, hatten sich bereits zur Ruhe begeben; er blieb diese Nacht auf Wache; Angés nahm, was sie ihr Eigenthum nennen konnte, that als wolle sie das Kind, das schon schläfrig war, zur Ruhe bringen, kleidete dasselbe aber recht warm an, anstatt es auszukleiden, und kam nach Verlauf einer Viertelstunde mit ihm zu mir herab, der ich in peinlichen und angstvollen Gefühlen ihrer auf der Straße harrte. Die Kleine war still, die süße Stimme ihrer vermeinten Mutter hatte sie leicht beschwichtigt, ich nahm die leichte Last auf meine Arme, und so schritten wir nach meinem Gasthaus, das nicht fern vom le Greffier gelegen war. Meine Pferde hatten geruht, die Nacht war mondhell, ich ließ den Kutscher anspannen, und sagte dem Wirth, daß eine nahe Verwandte von mir mich begleiten werde. Einige Goldstücke über den Betrag meiner Rechnung bewogen meinen gefälligen Wirth, sich zur Mairie zu begeben, um für seine Verwandte, welche mit ihrem Bruder, der aus Amsterdam gekommen sei, sie abzuholen, und mit ihrem Kinde nach Holland zu reisen gedenke, einen Paß zu erbitten, und unser Abenteuer lief ganz glücklich ab; wir waren, als die Mitternachtglocken in le Mans anschlugen, schon weit aus dem Weichbild der uralten Bischofstadt und Angés pries den Himmel und mich unter Freudenthränen für ihre Rettung. Ich hätte unter keiner Bedingung eine solche That, als die meine war, die förmliche Entführung einer verheiratheten Frau, unter andern Verhältnissen begehen mögen, aber

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[88/0092] Thore geschlossen, die Straßen durch Patrouillen gesäubert, und niemand durfte ohne wichtige Gründe das Haus und noch weniger die Stadt verlassen. Mir blieb gar keine Wahl, gar kein langes Besinnen; entweder ich liebte Angés noch, blieb ihr ein treuer Freund, bot die Hand zu ihrer Rettung aus wachsender Pein und Verzweiflung ohne zögerndes Bedenken, oder ich war ein unritterlicher Feigling, nicht werth, daß ein so holdes gequältes Geschöpf mich Freund nenne, nicht werth eines so hohen unbegrenzten Vertrauens; daher sprach ich, wieder mit Angés nach ihrem Wohnhause zugehend: Hole das Kind, nimm was du an Schmuck und Baarschaft besitzest mit, und außerdem belade dich mit nichts. Ich bleibe hier und harre deiner, dann folgst du mir auf gutes Glück. Es ging alles gut; die Eltern Berthelmy’s, betagte Leute, hatten sich bereits zur Ruhe begeben; er blieb diese Nacht auf Wache; Angés nahm, was sie ihr Eigenthum nennen konnte, that als wolle sie das Kind, das schon schläfrig war, zur Ruhe bringen, kleidete dasselbe aber recht warm an, anstatt es auszukleiden, und kam nach Verlauf einer Viertelstunde mit ihm zu mir herab, der ich in peinlichen und angstvollen Gefühlen ihrer auf der Straße harrte. Die Kleine war still, die süße Stimme ihrer vermeinten Mutter hatte sie leicht beschwichtigt, ich nahm die leichte Last auf meine Arme, und so schritten wir nach meinem Gasthaus, das nicht fern vom le Greffier gelegen war. Meine Pferde hatten geruht, die Nacht war mondhell, ich ließ den Kutscher anspannen, und sagte dem Wirth, daß eine nahe Verwandte von mir mich begleiten werde. Einige Goldstücke über den Betrag meiner Rechnung bewogen meinen gefälligen Wirth, sich zur Mairie zu begeben, um für seine Verwandte, welche mit ihrem Bruder, der aus Amsterdam gekommen sei, sie abzuholen, und mit ihrem Kinde nach Holland zu reisen gedenke, einen Paß zu erbitten, und unser Abenteuer lief ganz glücklich ab; wir waren, als die Mitternachtglocken in le Mans anschlugen, schon weit aus dem Weichbild der uralten Bischofstadt und Angés pries den Himmel und mich unter Freudenthränen für ihre Rettung. Ich hätte unter keiner Bedingung eine solche That, als die meine war, die förmliche Entführung einer verheiratheten Frau, unter andern Verhältnissen begehen mögen, aber

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/92>, abgerufen am 23.11.2024.