Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.7. Anges Der Mond war prachtvoll in das Meer hinabgesunken, das seine scheidenden Strahlen noch magisch versilberten; kühler wehte die Nachtluft und unruhiger schlugen die Wellen an die Flanken der "vergulden Rose." Dunkler und tiefer senkte der Fittich der Nacht sich über das Schiff. Ich denke, es wird Zeit, meine Herren, die Ruhe zu suchen, unterbrach Leonardus seine Erzählung, indem er sein Glas leerte, und obschon seine beiden Zuhörer noch keinesweges ermüdet waren und gern noch länger dem Weitergange der Erzählung mit lauschenden Ohren gefolgt wären, so wollten sie ihm doch nicht durch die Bitte beschwerlich fallen, sie ferner zu unterhalten, und verließen, obschon nur halb befriedigt und auf den Fortgang gespannt, das Verdeck, um sich in ihre Schlafkojen zu begeben. Lebhaft beschäftigte das Gehörte Ludwig's Phantasie; sein ganzer Antheil an dem ferneren Ergehen seines neuen Freundes war rege gemacht, und da er sich wohl denken konnte, daß dessen Verhältniß bei der Heimkehr sich sehr eigenthümlich gestalten könne, sann er darüber nach, wie wohl Leonardus handeln müsse und handeln werde, um die Pflicht des Sohnes mit jener des Freundes einer von ihrem Gatten verstoßenen und im Zorn verlassenen jungen und gewiß auch schönen Frau zu vereinen. Ueber diesem Nachsinnen beschlich den Jüngling sanfter Schlummer, und das Schiff glitt fort und fort, sicher bewacht und richtig gesteuert, in tiefer Stille durch die schweigende Sternennacht. Als der Morgen klar und schön wie der gestrige Tag anbrach, war vom Bord der "vergulden Rose" aus kein Land mehr zu erblicken. Das Schiff war schon auf der Höhe des Juister Riffs und mußte in einem großen Bogen das nordwestwärts weit in die See vorspringende Borkumer Riff umsegeln, um dann zu wenden und südwestwärts zu steuern. In der Ferne, wo die Küste gedacht werden mußte, stiegen 7. Angés Der Mond war prachtvoll in das Meer hinabgesunken, das seine scheidenden Strahlen noch magisch versilberten; kühler wehte die Nachtluft und unruhiger schlugen die Wellen an die Flanken der „vergulden Rose.“ Dunkler und tiefer senkte der Fittich der Nacht sich über das Schiff. Ich denke, es wird Zeit, meine Herren, die Ruhe zu suchen, unterbrach Leonardus seine Erzählung, indem er sein Glas leerte, und obschon seine beiden Zuhörer noch keinesweges ermüdet waren und gern noch länger dem Weitergange der Erzählung mit lauschenden Ohren gefolgt wären, so wollten sie ihm doch nicht durch die Bitte beschwerlich fallen, sie ferner zu unterhalten, und verließen, obschon nur halb befriedigt und auf den Fortgang gespannt, das Verdeck, um sich in ihre Schlafkojen zu begeben. Lebhaft beschäftigte das Gehörte Ludwig’s Phantasie; sein ganzer Antheil an dem ferneren Ergehen seines neuen Freundes war rege gemacht, und da er sich wohl denken konnte, daß dessen Verhältniß bei der Heimkehr sich sehr eigenthümlich gestalten könne, sann er darüber nach, wie wohl Leonardus handeln müsse und handeln werde, um die Pflicht des Sohnes mit jener des Freundes einer von ihrem Gatten verstoßenen und im Zorn verlassenen jungen und gewiß auch schönen Frau zu vereinen. Ueber diesem Nachsinnen beschlich den Jüngling sanfter Schlummer, und das Schiff glitt fort und fort, sicher bewacht und richtig gesteuert, in tiefer Stille durch die schweigende Sternennacht. Als der Morgen klar und schön wie der gestrige Tag anbrach, war vom Bord der „vergulden Rose“ aus kein Land mehr zu erblicken. Das Schiff war schon auf der Höhe des Juister Riffs und mußte in einem großen Bogen das nordwestwärts weit in die See vorspringende Borkumer Riff umsegeln, um dann zu wenden und südwestwärts zu steuern. In der Ferne, wo die Küste gedacht werden mußte, stiegen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0089" n="85"/> <head>7. 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7. Angés
Der Mond war prachtvoll in das Meer hinabgesunken, das seine scheidenden Strahlen noch magisch versilberten; kühler wehte die Nachtluft und unruhiger schlugen die Wellen an die Flanken der „vergulden Rose.“ Dunkler und tiefer senkte der Fittich der Nacht sich über das Schiff.
Ich denke, es wird Zeit, meine Herren, die Ruhe zu suchen, unterbrach Leonardus seine Erzählung, indem er sein Glas leerte, und obschon seine beiden Zuhörer noch keinesweges ermüdet waren und gern noch länger dem Weitergange der Erzählung mit lauschenden Ohren gefolgt wären, so wollten sie ihm doch nicht durch die Bitte beschwerlich fallen, sie ferner zu unterhalten, und verließen, obschon nur halb befriedigt und auf den Fortgang gespannt, das Verdeck, um sich in ihre Schlafkojen zu begeben.
Lebhaft beschäftigte das Gehörte Ludwig’s Phantasie; sein ganzer Antheil an dem ferneren Ergehen seines neuen Freundes war rege gemacht, und da er sich wohl denken konnte, daß dessen Verhältniß bei der Heimkehr sich sehr eigenthümlich gestalten könne, sann er darüber nach, wie wohl Leonardus handeln müsse und handeln werde, um die Pflicht des Sohnes mit jener des Freundes einer von ihrem Gatten verstoßenen und im Zorn verlassenen jungen und gewiß auch schönen Frau zu vereinen.
Ueber diesem Nachsinnen beschlich den Jüngling sanfter Schlummer, und das Schiff glitt fort und fort, sicher bewacht und richtig gesteuert, in tiefer Stille durch die schweigende Sternennacht.
Als der Morgen klar und schön wie der gestrige Tag anbrach, war vom Bord der „vergulden Rose“ aus kein Land mehr zu erblicken. Das Schiff war schon auf der Höhe des Juister Riffs und mußte in einem großen Bogen das nordwestwärts weit in die See vorspringende Borkumer Riff umsegeln, um dann zu wenden und südwestwärts zu steuern. In der Ferne, wo die Küste gedacht werden mußte, stiegen
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