Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Halte mich nicht, Schlange! tobte der Mann, der, wie ich beim Nähertreten erkannte, ein Soldat, ein Offizier war: Mich siehst du nie wieder! Gehe hin zu deinem süßen girrenden Correspondenten, mit dem du nun schon einige Jahre zärtliche Briefe wechselst, wir beide sind getrennt auf ewig, ich scheide mich von dir -- ich fluche dir!

Trafen schon diese Worte erschreckend mein Ohr, so erbebte noch mehr mein Herz, als ich die gemißhandelte Frau ausrufen hörte: Um Gottes, um des Kindes Willen, Berthelmy, hab' Erbarmen!

Wessen Kindes, treulose Schlange? schrie der Mann. Fort, fort, ehe ich mich vergesse, ehe ich dich tödte!

Raschen Schrittes enteilte er, und das arme Weib sank wimmernd in die Kniee.

Mich bannte starrer Schreck an diesen Ort -- dieser Name Berthelmy -- diese Stimme -- außer mir stürzte ich auf die Unglückliche zu und rief: Bist du es, Anges, geliebte Anges! O komme zu dir, fasse dich, der Gott der Liebe sendet dir einen Retter!

Wie, Sie kannten diese Frau? riefen Ludwig und Fluit staunend wie aus einem Munde.

Ja, verehrte Herren, ich kannte sie, ich liebte sie, ich hatte sie verloren, und fand sie hier wieder, wo ich sie nimmer gesucht hätte. Ich muß, um Ihnen Alles klar zu machen, jetzt ein früheres Ereigniß einschalten. Es war im Jahre siebzehnhundertachtundachtzig -- ich zählte damals dreiundzwanzig Jahre, als eine Reise mich nach Deutschland führte, wo ich am Niederrhein, in Bonn, Köln, Düsseldorf und deren Nachbarstädten kaufmännische Verbindungen anknüpfte; von da reiste ich in die Pfalz. In Zweibrücken führte mich der Zufall zu einer reichen Kaufmannsfamilie, Namens Daniels, in der ich neben einigen Brüdern ein junges Mädchen kennen lernte, zu welcher sich beim ersten Erblicken mein ganzes Herz hinwandte. Sie stand in der ersten Jugendblüthe, und wurde nicht mit einem deutschen, sondern mit einem französischen Namen gerufen, getreu der in Deutschland so häufig in vornehmen Häusern heimischen Unsitte, die Muttersprache zu verachten und der fremdländischen zu huldigen. Ich liebte das Mädchen heiß und innig, sie wurde das Ideal meiner Jünglingsschwärmerei, ich brach meinem Vater das gegebene Wort, doch nicht in solchem Grade, daß ich ein bindendes Versprechen gegeben hätte. Dazu kam es nicht, aber es

Halte mich nicht, Schlange! tobte der Mann, der, wie ich beim Nähertreten erkannte, ein Soldat, ein Offizier war: Mich siehst du nie wieder! Gehe hin zu deinem süßen girrenden Correspondenten, mit dem du nun schon einige Jahre zärtliche Briefe wechselst, wir beide sind getrennt auf ewig, ich scheide mich von dir — ich fluche dir!

Trafen schon diese Worte erschreckend mein Ohr, so erbebte noch mehr mein Herz, als ich die gemißhandelte Frau ausrufen hörte: Um Gottes, um des Kindes Willen, Berthelmy, hab’ Erbarmen!

Wessen Kindes, treulose Schlange? schrie der Mann. Fort, fort, ehe ich mich vergesse, ehe ich dich tödte!

Raschen Schrittes enteilte er, und das arme Weib sank wimmernd in die Kniee.

Mich bannte starrer Schreck an diesen Ort — dieser Name Berthelmy — diese Stimme — außer mir stürzte ich auf die Unglückliche zu und rief: Bist du es, Angés, geliebte Angés! O komme zu dir, fasse dich, der Gott der Liebe sendet dir einen Retter!

Wie, Sie kannten diese Frau? riefen Ludwig und Fluit staunend wie aus einem Munde.

Ja, verehrte Herren, ich kannte sie, ich liebte sie, ich hatte sie verloren, und fand sie hier wieder, wo ich sie nimmer gesucht hätte. Ich muß, um Ihnen Alles klar zu machen, jetzt ein früheres Ereigniß einschalten. Es war im Jahre siebzehnhundertachtundachtzig — ich zählte damals dreiundzwanzig Jahre, als eine Reise mich nach Deutschland führte, wo ich am Niederrhein, in Bonn, Köln, Düsseldorf und deren Nachbarstädten kaufmännische Verbindungen anknüpfte; von da reiste ich in die Pfalz. In Zweibrücken führte mich der Zufall zu einer reichen Kaufmannsfamilie, Namens Daniels, in der ich neben einigen Brüdern ein junges Mädchen kennen lernte, zu welcher sich beim ersten Erblicken mein ganzes Herz hinwandte. Sie stand in der ersten Jugendblüthe, und wurde nicht mit einem deutschen, sondern mit einem französischen Namen gerufen, getreu der in Deutschland so häufig in vornehmen Häusern heimischen Unsitte, die Muttersprache zu verachten und der fremdländischen zu huldigen. Ich liebte das Mädchen heiß und innig, sie wurde das Ideal meiner Jünglingsschwärmerei, ich brach meinem Vater das gegebene Wort, doch nicht in solchem Grade, daß ich ein bindendes Versprechen gegeben hätte. Dazu kam es nicht, aber es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0085" n="81"/>
          <p>Halte mich nicht, Schlange! tobte der Mann, der, wie ich beim Nähertreten erkannte, ein Soldat, ein Offizier war: Mich siehst du nie wieder! Gehe hin zu deinem süßen girrenden Correspondenten, mit dem du nun schon einige Jahre zärtliche Briefe wechselst, wir beide sind getrennt auf ewig, ich scheide mich von dir &#x2014; ich fluche dir!</p>
          <p>Trafen schon diese Worte erschreckend mein Ohr, so erbebte noch mehr mein Herz, als ich die gemißhandelte Frau ausrufen hörte: Um Gottes, um des Kindes Willen, Berthelmy, hab&#x2019; Erbarmen!</p>
          <p>Wessen Kindes, treulose Schlange? schrie der Mann. Fort, fort, ehe ich mich vergesse, ehe ich dich tödte!</p>
          <p>Raschen Schrittes enteilte er, und das arme Weib sank wimmernd in die Kniee.</p>
          <p>Mich bannte starrer Schreck an diesen Ort &#x2014; dieser Name Berthelmy &#x2014; diese Stimme &#x2014; außer mir stürzte ich auf die Unglückliche zu und rief: Bist du es, Angés, geliebte Angés! O komme zu dir, fasse dich, der Gott der Liebe sendet dir einen Retter!</p>
          <p>Wie, Sie kannten diese Frau? riefen Ludwig und Fluit staunend wie aus einem Munde.</p>
          <p>Ja, verehrte Herren, ich kannte sie, ich liebte sie, ich hatte sie verloren, und fand sie hier wieder, wo ich sie nimmer gesucht hätte. Ich muß, um Ihnen Alles klar zu machen, jetzt ein früheres Ereigniß einschalten. Es war im Jahre siebzehnhundertachtundachtzig &#x2014; ich zählte damals dreiundzwanzig Jahre, als eine Reise mich nach Deutschland führte, wo ich am Niederrhein, in Bonn, Köln, Düsseldorf und deren Nachbarstädten kaufmännische Verbindungen anknüpfte; von da reiste ich in die Pfalz. In Zweibrücken führte mich der Zufall zu einer reichen Kaufmannsfamilie, Namens Daniels, in der ich neben einigen Brüdern ein junges Mädchen kennen lernte, zu welcher sich beim ersten Erblicken mein ganzes Herz hinwandte. Sie stand in der ersten Jugendblüthe, und wurde nicht mit einem deutschen, sondern mit einem französischen Namen gerufen, getreu der in Deutschland so häufig in vornehmen Häusern heimischen Unsitte, die Muttersprache zu verachten und der fremdländischen zu huldigen. Ich liebte das Mädchen heiß und innig, sie wurde das Ideal meiner Jünglingsschwärmerei, ich brach meinem Vater das gegebene Wort, doch nicht in solchem Grade, daß ich ein bindendes Versprechen gegeben hätte. Dazu kam es nicht, aber es
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0085] Halte mich nicht, Schlange! tobte der Mann, der, wie ich beim Nähertreten erkannte, ein Soldat, ein Offizier war: Mich siehst du nie wieder! Gehe hin zu deinem süßen girrenden Correspondenten, mit dem du nun schon einige Jahre zärtliche Briefe wechselst, wir beide sind getrennt auf ewig, ich scheide mich von dir — ich fluche dir! Trafen schon diese Worte erschreckend mein Ohr, so erbebte noch mehr mein Herz, als ich die gemißhandelte Frau ausrufen hörte: Um Gottes, um des Kindes Willen, Berthelmy, hab’ Erbarmen! Wessen Kindes, treulose Schlange? schrie der Mann. Fort, fort, ehe ich mich vergesse, ehe ich dich tödte! Raschen Schrittes enteilte er, und das arme Weib sank wimmernd in die Kniee. Mich bannte starrer Schreck an diesen Ort — dieser Name Berthelmy — diese Stimme — außer mir stürzte ich auf die Unglückliche zu und rief: Bist du es, Angés, geliebte Angés! O komme zu dir, fasse dich, der Gott der Liebe sendet dir einen Retter! Wie, Sie kannten diese Frau? riefen Ludwig und Fluit staunend wie aus einem Munde. Ja, verehrte Herren, ich kannte sie, ich liebte sie, ich hatte sie verloren, und fand sie hier wieder, wo ich sie nimmer gesucht hätte. Ich muß, um Ihnen Alles klar zu machen, jetzt ein früheres Ereigniß einschalten. Es war im Jahre siebzehnhundertachtundachtzig — ich zählte damals dreiundzwanzig Jahre, als eine Reise mich nach Deutschland führte, wo ich am Niederrhein, in Bonn, Köln, Düsseldorf und deren Nachbarstädten kaufmännische Verbindungen anknüpfte; von da reiste ich in die Pfalz. In Zweibrücken führte mich der Zufall zu einer reichen Kaufmannsfamilie, Namens Daniels, in der ich neben einigen Brüdern ein junges Mädchen kennen lernte, zu welcher sich beim ersten Erblicken mein ganzes Herz hinwandte. Sie stand in der ersten Jugendblüthe, und wurde nicht mit einem deutschen, sondern mit einem französischen Namen gerufen, getreu der in Deutschland so häufig in vornehmen Häusern heimischen Unsitte, die Muttersprache zu verachten und der fremdländischen zu huldigen. Ich liebte das Mädchen heiß und innig, sie wurde das Ideal meiner Jünglingsschwärmerei, ich brach meinem Vater das gegebene Wort, doch nicht in solchem Grade, daß ich ein bindendes Versprechen gegeben hätte. Dazu kam es nicht, aber es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/85
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/85>, abgerufen am 24.11.2024.