Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.nicht ungern, daß Ottoline, indem sie vom Schrecken der überstandenen Gefahr sich doch angegriffen fühlte, sich zeitig zurückzog. Scheidend gute Nacht wünschend, sprach sie noch zu dem Gaste: Morgen beim Frühstück, hoffe ich, wollen wir uns alle frisch und heiter zusammen finden; da soll noch einmal der Falk von Kniphausen kreisen, und dann sollen Sie auch unsere kleine liebe Ottoline sehen. Träumen Sie angenehm in unserm Schlosse! Gute Nacht! Der Erbherr fand nicht für angemessen, allein bei seinem Gaste zu weilen -- er gebot einem Diener, Ludwig nach dessen Zimmer zu bringen, und schied mit höflichem Wunsche. Das von der jungen Erbherrin erwähnte Frühstück fand nicht Statt. Das von beiden Seiten erhoffte Wiedersehen unterblieb. Die Erbherrin sah ihren Lebensretter nicht wieder. Ludwig begab sich in seinem Zimmer zur Ruhe. Holde Bilder der Schönheit und Anmuth umgaukelten ihn; das Feuer des alten auserlesenen Weines erregte ihm mächtig die Gluth der Sinne. Wie hätte er sogleich schlafen können nach Allem, was er vom gestrigen bis zum heutigen Abend erlebt! Fort mußte er doch; das fühlte er und wußte es gewiß, daß der Erbherr ihn nicht halten werde, aber wie ungern schied er nun! Endlich warf der Schlummer doch sein Traumnetz über ihn. Rasch jagten sich des Traumes wechselnde Bilder, eine Zauberwelt voll Wahrheit und Dichtung, durch das Gehirn des Schlummernden -- er hielt wieder den Falk von Kniphausen in seiner Hand und trank aus goldener Gluth die goldene Fluth. Aber die Rubinen brannten in seiner Hand wie Feuer. Ottoline schmiegte sich zärtlich an ihn an, ihre Kinder waren seine Kinder, sie küßte ihn und sein Herz wallte auf in namenloser Seligkeit. Da erneute der Traum die Scene des gestrigen Abends; der Erbherr stand ihm gegenüber mit der tödtlichen Waffe, und da stand auch wieder die Großmutter, als ob sie lebe, in der Glorie ihres starren Stolzes zwischen ihm und dem Erbherrn. Aber nicht Jenem galt ihr zürnendes, strafendes Wort, nicht vom Glanze ihres alten ahnenreichen Stammes sprach sie, sondern an ihn, an Ludwig richtete sie ernste Worte mit tiefer männlicher Stimme, fast dieselben, die Ludwig schon einmal vernommen hatte. "Halte, mein Kind, dein Herz frei und rein von allen unlauteren Trieben, wenn es dir auch schwer ankommt, und Neigung und Sinne nicht ungern, daß Ottoline, indem sie vom Schrecken der überstandenen Gefahr sich doch angegriffen fühlte, sich zeitig zurückzog. Scheidend gute Nacht wünschend, sprach sie noch zu dem Gaste: Morgen beim Frühstück, hoffe ich, wollen wir uns alle frisch und heiter zusammen finden; da soll noch einmal der Falk von Kniphausen kreisen, und dann sollen Sie auch unsere kleine liebe Ottoline sehen. Träumen Sie angenehm in unserm Schlosse! Gute Nacht! Der Erbherr fand nicht für angemessen, allein bei seinem Gaste zu weilen — er gebot einem Diener, Ludwig nach dessen Zimmer zu bringen, und schied mit höflichem Wunsche. Das von der jungen Erbherrin erwähnte Frühstück fand nicht Statt. Das von beiden Seiten erhoffte Wiedersehen unterblieb. Die Erbherrin sah ihren Lebensretter nicht wieder. Ludwig begab sich in seinem Zimmer zur Ruhe. Holde Bilder der Schönheit und Anmuth umgaukelten ihn; das Feuer des alten auserlesenen Weines erregte ihm mächtig die Gluth der Sinne. Wie hätte er sogleich schlafen können nach Allem, was er vom gestrigen bis zum heutigen Abend erlebt! Fort mußte er doch; das fühlte er und wußte es gewiß, daß der Erbherr ihn nicht halten werde, aber wie ungern schied er nun! Endlich warf der Schlummer doch sein Traumnetz über ihn. Rasch jagten sich des Traumes wechselnde Bilder, eine Zauberwelt voll Wahrheit und Dichtung, durch das Gehirn des Schlummernden — er hielt wieder den Falk von Kniphausen in seiner Hand und trank aus goldener Gluth die goldene Fluth. Aber die Rubinen brannten in seiner Hand wie Feuer. Ottoline schmiegte sich zärtlich an ihn an, ihre Kinder waren seine Kinder, sie küßte ihn und sein Herz wallte auf in namenloser Seligkeit. Da erneute der Traum die Scene des gestrigen Abends; der Erbherr stand ihm gegenüber mit der tödtlichen Waffe, und da stand auch wieder die Großmutter, als ob sie lebe, in der Glorie ihres starren Stolzes zwischen ihm und dem Erbherrn. Aber nicht Jenem galt ihr zürnendes, strafendes Wort, nicht vom Glanze ihres alten ahnenreichen Stammes sprach sie, sondern an ihn, an Ludwig richtete sie ernste Worte mit tiefer männlicher Stimme, fast dieselben, die Ludwig schon einmal vernommen hatte. „Halte, mein Kind, dein Herz frei und rein von allen unlauteren Trieben, wenn es dir auch schwer ankommt, und Neigung und Sinne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0068" n="64"/> nicht ungern, daß Ottoline, indem sie vom Schrecken der überstandenen Gefahr sich doch angegriffen fühlte, sich zeitig zurückzog. Scheidend gute Nacht wünschend, sprach sie noch zu dem Gaste: Morgen beim Frühstück, hoffe ich, wollen wir uns alle frisch und heiter zusammen finden; da soll noch einmal der Falk von Kniphausen kreisen, und dann sollen Sie auch unsere kleine liebe Ottoline sehen. Träumen Sie angenehm in unserm Schlosse! Gute Nacht!</p> <p>Der Erbherr fand nicht für angemessen, allein bei seinem Gaste zu weilen — er gebot einem Diener, Ludwig nach dessen Zimmer zu bringen, und schied mit höflichem Wunsche.</p> <p>Das von der jungen Erbherrin erwähnte Frühstück fand nicht Statt. Das von beiden Seiten erhoffte Wiedersehen unterblieb.</p> <p>Die Erbherrin sah ihren Lebensretter nicht wieder. Ludwig begab sich in seinem Zimmer zur Ruhe. Holde Bilder der Schönheit und Anmuth umgaukelten ihn; das Feuer des alten auserlesenen Weines erregte ihm mächtig die Gluth der Sinne. Wie hätte er sogleich schlafen können nach Allem, was er vom gestrigen bis zum heutigen Abend erlebt! Fort mußte er doch; das fühlte er und wußte es gewiß, daß der Erbherr ihn nicht halten werde, aber wie ungern schied er nun!</p> <p>Endlich warf der Schlummer doch sein Traumnetz über ihn. Rasch jagten sich des Traumes wechselnde Bilder, eine Zauberwelt voll Wahrheit und Dichtung, durch das Gehirn des Schlummernden — er hielt wieder den Falk von Kniphausen in seiner Hand und trank aus goldener Gluth die goldene Fluth. Aber die Rubinen brannten in seiner Hand wie Feuer. Ottoline schmiegte sich zärtlich an ihn an, ihre Kinder waren seine Kinder, sie küßte ihn und sein Herz wallte auf in namenloser Seligkeit. Da erneute der Traum die Scene des gestrigen Abends; der Erbherr stand ihm gegenüber mit der tödtlichen Waffe, und da stand auch wieder die Großmutter, als ob sie lebe, in der Glorie ihres starren Stolzes zwischen ihm und dem Erbherrn. Aber nicht Jenem galt ihr zürnendes, strafendes Wort, nicht vom Glanze ihres alten ahnenreichen Stammes sprach sie, sondern an ihn, an Ludwig richtete sie ernste Worte mit tiefer männlicher Stimme, fast dieselben, die Ludwig schon einmal vernommen hatte. „Halte, mein Kind, dein Herz frei und rein von allen unlauteren Trieben, wenn es dir auch schwer ankommt, und Neigung und Sinne </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0068]
nicht ungern, daß Ottoline, indem sie vom Schrecken der überstandenen Gefahr sich doch angegriffen fühlte, sich zeitig zurückzog. Scheidend gute Nacht wünschend, sprach sie noch zu dem Gaste: Morgen beim Frühstück, hoffe ich, wollen wir uns alle frisch und heiter zusammen finden; da soll noch einmal der Falk von Kniphausen kreisen, und dann sollen Sie auch unsere kleine liebe Ottoline sehen. Träumen Sie angenehm in unserm Schlosse! Gute Nacht!
Der Erbherr fand nicht für angemessen, allein bei seinem Gaste zu weilen — er gebot einem Diener, Ludwig nach dessen Zimmer zu bringen, und schied mit höflichem Wunsche.
Das von der jungen Erbherrin erwähnte Frühstück fand nicht Statt. Das von beiden Seiten erhoffte Wiedersehen unterblieb.
Die Erbherrin sah ihren Lebensretter nicht wieder. Ludwig begab sich in seinem Zimmer zur Ruhe. Holde Bilder der Schönheit und Anmuth umgaukelten ihn; das Feuer des alten auserlesenen Weines erregte ihm mächtig die Gluth der Sinne. Wie hätte er sogleich schlafen können nach Allem, was er vom gestrigen bis zum heutigen Abend erlebt! Fort mußte er doch; das fühlte er und wußte es gewiß, daß der Erbherr ihn nicht halten werde, aber wie ungern schied er nun!
Endlich warf der Schlummer doch sein Traumnetz über ihn. Rasch jagten sich des Traumes wechselnde Bilder, eine Zauberwelt voll Wahrheit und Dichtung, durch das Gehirn des Schlummernden — er hielt wieder den Falk von Kniphausen in seiner Hand und trank aus goldener Gluth die goldene Fluth. Aber die Rubinen brannten in seiner Hand wie Feuer. Ottoline schmiegte sich zärtlich an ihn an, ihre Kinder waren seine Kinder, sie küßte ihn und sein Herz wallte auf in namenloser Seligkeit. Da erneute der Traum die Scene des gestrigen Abends; der Erbherr stand ihm gegenüber mit der tödtlichen Waffe, und da stand auch wieder die Großmutter, als ob sie lebe, in der Glorie ihres starren Stolzes zwischen ihm und dem Erbherrn. Aber nicht Jenem galt ihr zürnendes, strafendes Wort, nicht vom Glanze ihres alten ahnenreichen Stammes sprach sie, sondern an ihn, an Ludwig richtete sie ernste Worte mit tiefer männlicher Stimme, fast dieselben, die Ludwig schon einmal vernommen hatte. „Halte, mein Kind, dein Herz frei und rein von allen unlauteren Trieben, wenn es dir auch schwer ankommt, und Neigung und Sinne
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/68>, abgerufen am 16.02.2025. |