Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.So gibt er mir den Laufpaß, der mächtige "Souverain" , der Souverain über ein Paar Quadratmeilen Landes; und sieht mit Hohn auf mich, den nicht ebenbürtigen, ungesetzlichen Sprößling und Eindringling, herab! O Großmutter, Großmutter! Ich sag' es noch einmal: wärst du doch gestern Abend nicht dazwischen getreten! Was soll mir das Leben mit einem geliehenen Namen, von dem ich nicht weiß, habe ich das Recht, ihn zu führen oder nicht? Ein Mensch ohne Namen ist wie ein Mensch ohne Schatten, beides ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wie sprach die Großmutter? "Du mußt das Dunkel deiner Geburt mit dir nehmen als deinen Schatten!" -- Also ein Schatten ist meine ganze Habe, mein Erbtheil -- mein Alles -- mein Name ist ein Darlehn -- auch nur ein Schatten, meine Geburt -- meine Abstammung, meine Herkunft -- Alles Dunkel und Schatten -- so bin ich denn ein Dunkelgraf -- Hahaha! Es ist gleich sehr lächerlich, wie zum Verzweifeln! Es war gut, daß Philipp die gereinigten Pferde vorführte und dadurch den trüben Gang der Gedanken des Jünglings unterbrach, den das Schmerzgefühl, sich namen- und heimathlos in die ihm fremde Welt hinaus gestoßen zu sehen, zu übermannen drohte. Sein Jugendleben war so schön und so sorgenlos, so freudenvoll und so glücklich dahin geflossen, wie ein heller freudiger Murmelbach muntern Laufs durch blumenvolle hellbesonnte Bergmatten rollt, und in Sprüngen über glattes Gestein und glänzende Kiesel hüpft. Treffliche Lehrer hatten ihn gut unterrichtet; ohne auf die Bahn eines Gelehrten geführt werden zu sollen, hatte man ihm doch eine Grundlage von der Kenntniß der alten Sprachen beigebracht, aber Ludwig sprach und schrieb auch gleich geläufig deutsch und holländisch, englisch und französisch. An den ritterlichen Uebungen des Reitens, Fahrens, Fechtens, Eislaufens, wie an den Künsten des Weidwerkes im Wald, auf Feld, auf Fluß und im Meere, war kein Unterricht gespart worden. Der junge, körperlich zart, aber doch kräftig entwickelte Mann vermochte das wildeste Roß zu bändigen, ein Boot durch stürmisch empörte Wellen glücklich zu rudern, und hatte stets Gefallen an solchen Uebungen der Kraft und Gewandtheit gefunden. -- Wohin denn reiten der junge gnädige Herr? mit dieser Frage riß Philipp den Sinnenden aus seinem grübelnden und brütenden Nachdenken, So gibt er mir den Laufpaß, der mächtige „Souverain“ , der Souverain über ein Paar Quadratmeilen Landes; und sieht mit Hohn auf mich, den nicht ebenbürtigen, ungesetzlichen Sprößling und Eindringling, herab! O Großmutter, Großmutter! Ich sag’ es noch einmal: wärst du doch gestern Abend nicht dazwischen getreten! Was soll mir das Leben mit einem geliehenen Namen, von dem ich nicht weiß, habe ich das Recht, ihn zu führen oder nicht? Ein Mensch ohne Namen ist wie ein Mensch ohne Schatten, beides ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wie sprach die Großmutter? „Du mußt das Dunkel deiner Geburt mit dir nehmen als deinen Schatten!“ — Also ein Schatten ist meine ganze Habe, mein Erbtheil — mein Alles — mein Name ist ein Darlehn — auch nur ein Schatten, meine Geburt — meine Abstammung, meine Herkunft — Alles Dunkel und Schatten — so bin ich denn ein Dunkelgraf — Hahaha! Es ist gleich sehr lächerlich, wie zum Verzweifeln! Es war gut, daß Philipp die gereinigten Pferde vorführte und dadurch den trüben Gang der Gedanken des Jünglings unterbrach, den das Schmerzgefühl, sich namen- und heimathlos in die ihm fremde Welt hinaus gestoßen zu sehen, zu übermannen drohte. Sein Jugendleben war so schön und so sorgenlos, so freudenvoll und so glücklich dahin geflossen, wie ein heller freudiger Murmelbach muntern Laufs durch blumenvolle hellbesonnte Bergmatten rollt, und in Sprüngen über glattes Gestein und glänzende Kiesel hüpft. Treffliche Lehrer hatten ihn gut unterrichtet; ohne auf die Bahn eines Gelehrten geführt werden zu sollen, hatte man ihm doch eine Grundlage von der Kenntniß der alten Sprachen beigebracht, aber Ludwig sprach und schrieb auch gleich geläufig deutsch und holländisch, englisch und französisch. An den ritterlichen Uebungen des Reitens, Fahrens, Fechtens, Eislaufens, wie an den Künsten des Weidwerkes im Wald, auf Feld, auf Fluß und im Meere, war kein Unterricht gespart worden. Der junge, körperlich zart, aber doch kräftig entwickelte Mann vermochte das wildeste Roß zu bändigen, ein Boot durch stürmisch empörte Wellen glücklich zu rudern, und hatte stets Gefallen an solchen Uebungen der Kraft und Gewandtheit gefunden. — Wohin denn reiten der junge gnädige Herr? mit dieser Frage riß Philipp den Sinnenden aus seinem grübelnden und brütenden Nachdenken, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0052" n="48"/> <p>So gibt er mir den Laufpaß, der mächtige „Souverain“ , der Souverain über ein Paar Quadratmeilen Landes; und sieht mit Hohn auf mich, den nicht ebenbürtigen, ungesetzlichen Sprößling und Eindringling, herab! O Großmutter, Großmutter! Ich sag’ es noch einmal: wärst du doch gestern Abend nicht dazwischen getreten! Was soll mir das Leben mit einem geliehenen Namen, von dem ich nicht weiß, habe ich das Recht, ihn zu führen oder nicht? Ein Mensch ohne Namen ist wie ein Mensch ohne Schatten, beides ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wie sprach die Großmutter? „Du mußt das Dunkel deiner Geburt mit dir nehmen als deinen Schatten!“ — Also ein Schatten ist meine ganze Habe, mein Erbtheil — mein Alles — mein Name ist ein Darlehn — auch nur ein Schatten, meine Geburt — meine Abstammung, meine Herkunft — Alles Dunkel und Schatten — so bin ich denn ein <hi rendition="#g">Dunkelgraf</hi> — Hahaha! Es ist gleich sehr lächerlich, wie zum Verzweifeln!</p> <p>Es war gut, daß Philipp die gereinigten Pferde vorführte und dadurch den trüben Gang der Gedanken des Jünglings unterbrach, den das Schmerzgefühl, sich namen- und heimathlos in die ihm fremde Welt hinaus gestoßen zu sehen, zu übermannen drohte. Sein Jugendleben war so schön und so sorgenlos, so freudenvoll und so glücklich dahin geflossen, wie ein heller freudiger Murmelbach muntern Laufs durch blumenvolle hellbesonnte Bergmatten rollt, und in Sprüngen über glattes Gestein und glänzende Kiesel hüpft. Treffliche Lehrer hatten ihn gut unterrichtet; ohne auf die Bahn eines Gelehrten geführt werden zu sollen, hatte man ihm doch eine Grundlage von der Kenntniß der alten Sprachen beigebracht, aber Ludwig sprach und schrieb auch gleich geläufig deutsch und holländisch, englisch und französisch. An den ritterlichen Uebungen des Reitens, Fahrens, Fechtens, Eislaufens, wie an den Künsten des Weidwerkes im Wald, auf Feld, auf Fluß und im Meere, war kein Unterricht gespart worden. Der junge, körperlich zart, aber doch kräftig entwickelte Mann vermochte das wildeste Roß zu bändigen, ein Boot durch stürmisch empörte Wellen glücklich zu rudern, und hatte stets Gefallen an solchen Uebungen der Kraft und Gewandtheit gefunden. —</p> <p>Wohin denn reiten der junge gnädige Herr? mit dieser Frage riß Philipp den Sinnenden aus seinem grübelnden und brütenden Nachdenken, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [48/0052]
So gibt er mir den Laufpaß, der mächtige „Souverain“ , der Souverain über ein Paar Quadratmeilen Landes; und sieht mit Hohn auf mich, den nicht ebenbürtigen, ungesetzlichen Sprößling und Eindringling, herab! O Großmutter, Großmutter! Ich sag’ es noch einmal: wärst du doch gestern Abend nicht dazwischen getreten! Was soll mir das Leben mit einem geliehenen Namen, von dem ich nicht weiß, habe ich das Recht, ihn zu führen oder nicht? Ein Mensch ohne Namen ist wie ein Mensch ohne Schatten, beides ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wie sprach die Großmutter? „Du mußt das Dunkel deiner Geburt mit dir nehmen als deinen Schatten!“ — Also ein Schatten ist meine ganze Habe, mein Erbtheil — mein Alles — mein Name ist ein Darlehn — auch nur ein Schatten, meine Geburt — meine Abstammung, meine Herkunft — Alles Dunkel und Schatten — so bin ich denn ein Dunkelgraf — Hahaha! Es ist gleich sehr lächerlich, wie zum Verzweifeln!
Es war gut, daß Philipp die gereinigten Pferde vorführte und dadurch den trüben Gang der Gedanken des Jünglings unterbrach, den das Schmerzgefühl, sich namen- und heimathlos in die ihm fremde Welt hinaus gestoßen zu sehen, zu übermannen drohte. Sein Jugendleben war so schön und so sorgenlos, so freudenvoll und so glücklich dahin geflossen, wie ein heller freudiger Murmelbach muntern Laufs durch blumenvolle hellbesonnte Bergmatten rollt, und in Sprüngen über glattes Gestein und glänzende Kiesel hüpft. Treffliche Lehrer hatten ihn gut unterrichtet; ohne auf die Bahn eines Gelehrten geführt werden zu sollen, hatte man ihm doch eine Grundlage von der Kenntniß der alten Sprachen beigebracht, aber Ludwig sprach und schrieb auch gleich geläufig deutsch und holländisch, englisch und französisch. An den ritterlichen Uebungen des Reitens, Fahrens, Fechtens, Eislaufens, wie an den Künsten des Weidwerkes im Wald, auf Feld, auf Fluß und im Meere, war kein Unterricht gespart worden. Der junge, körperlich zart, aber doch kräftig entwickelte Mann vermochte das wildeste Roß zu bändigen, ein Boot durch stürmisch empörte Wellen glücklich zu rudern, und hatte stets Gefallen an solchen Uebungen der Kraft und Gewandtheit gefunden. —
Wohin denn reiten der junge gnädige Herr? mit dieser Frage riß Philipp den Sinnenden aus seinem grübelnden und brütenden Nachdenken,
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