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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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meine Erziehung und meine Bedürfnisse zu sorgen versprach, was sie auch mit der äußersten Zärtlichkeit fast dreizehn Jahre lang that, und mich gründlich verzog. Ich wurde ein so halsstarriges und eigensinniges Kind, daß eine minder geduldige und zärtliche Dame, als es meine Großmutter für mich war, meine Unarten gewiß nicht ertragen haben würde."

Es geht ein eigenthümlicher Grundzug durch die Generationen, sprach Ludwig, als er dies gelesen hatte. Häufig tritt zwischen Großeltern und Enkeln mehr Aehnlichkeit der Gesichtsbildung, ja selbst des Charakters, als zwischen Eltern und Kindern hervor, auch häufig mehr Liebe der Großeltern zu den Kindern ihrer Kinder, als diesen von den Eltern zu Theil wird. So wäre zuletzt die oft halsstarrige Festigkeit und Härte im Charakter meiner guten Großmutter zum Theil nur ein Erbe der ihrigen gewesen? Welch' ein eigenthümlicher Reiz liegt in diesem alten Buche -- ein so langes, vielbewegtes Leben, -- es wäre ein Unrecht von mir, dieses Buch, so wie jene Tagebuchbruchstücke meiner Großmutter der Vernichtung Preis zu geben -- aber wem soll ich sie anvertrauen? Meinen Vetter Wilhelm Gustav Friedrich deckt seit 1835 die Gruft, William, der Vice-Admiral, starb schon 1813. Ihre Kinder kenne ich nicht, stehe ihnen fern, bin ihnen fremd, wer weiß, ob Eines von ihnen durch diese Gabe erfreut würde! Auch für Leonardus Erben kann sie nicht den mindesten Werth haben, diese Holländer wären im Stande, Häringe in die Papiere zu wickeln, welche die Geschichten einst glühender Herzen enthalten! -- Der Einzige, Vincentius Martinus, der vielleicht diese Blätter würdigte, leidet an Gesichtsschwäche, die heilige Ottilia rächt sich an ihrem Kirchlein, weil er ihr, wie ich große Ursache zu glauben habe, meine ansehnliche Schenkung entzogen und sie für sich selber behalten hat. Da würden diese altfranzösisch geschriebenen Blätter ihm nur Mühe machen, sie zu entziffern. Am Besten, ich überlasse es ganz dem Zufall, daß dieser sie in eine Hand bringe, die sie dereinst zu schätzen und zu übersetzen weiß.

Ludwig blätterte wieder in dem alten Bande, viel des Anziehenden enthielt er noch, eine reiche Stofffülle für Geschichte damaligen Hoflebens und persönlicher Verhältnisse der weitverzweigten Verwandtschaft des alten reichsgräflichen Geschlechts, endlich legte er das Buch zur Seite und sagte, sonderbar bewegt: Es ist ein Grabstein.

meine Erziehung und meine Bedürfnisse zu sorgen versprach, was sie auch mit der äußersten Zärtlichkeit fast dreizehn Jahre lang that, und mich gründlich verzog. Ich wurde ein so halsstarriges und eigensinniges Kind, daß eine minder geduldige und zärtliche Dame, als es meine Großmutter für mich war, meine Unarten gewiß nicht ertragen haben würde.“

Es geht ein eigenthümlicher Grundzug durch die Generationen, sprach Ludwig, als er dies gelesen hatte. Häufig tritt zwischen Großeltern und Enkeln mehr Aehnlichkeit der Gesichtsbildung, ja selbst des Charakters, als zwischen Eltern und Kindern hervor, auch häufig mehr Liebe der Großeltern zu den Kindern ihrer Kinder, als diesen von den Eltern zu Theil wird. So wäre zuletzt die oft halsstarrige Festigkeit und Härte im Charakter meiner guten Großmutter zum Theil nur ein Erbe der ihrigen gewesen? Welch’ ein eigenthümlicher Reiz liegt in diesem alten Buche — ein so langes, vielbewegtes Leben, — es wäre ein Unrecht von mir, dieses Buch, so wie jene Tagebuchbruchstücke meiner Großmutter der Vernichtung Preis zu geben — aber wem soll ich sie anvertrauen? Meinen Vetter Wilhelm Gustav Friedrich deckt seit 1835 die Gruft, William, der Vice-Admiral, starb schon 1813. Ihre Kinder kenne ich nicht, stehe ihnen fern, bin ihnen fremd, wer weiß, ob Eines von ihnen durch diese Gabe erfreut würde! Auch für Leonardus Erben kann sie nicht den mindesten Werth haben, diese Holländer wären im Stande, Häringe in die Papiere zu wickeln, welche die Geschichten einst glühender Herzen enthalten! — Der Einzige, Vincentius Martinus, der vielleicht diese Blätter würdigte, leidet an Gesichtsschwäche, die heilige Ottilia rächt sich an ihrem Kirchlein, weil er ihr, wie ich große Ursache zu glauben habe, meine ansehnliche Schenkung entzogen und sie für sich selber behalten hat. Da würden diese altfranzösisch geschriebenen Blätter ihm nur Mühe machen, sie zu entziffern. Am Besten, ich überlasse es ganz dem Zufall, daß dieser sie in eine Hand bringe, die sie dereinst zu schätzen und zu übersetzen weiß.

Ludwig blätterte wieder in dem alten Bande, viel des Anziehenden enthielt er noch, eine reiche Stofffülle für Geschichte damaligen Hoflebens und persönlicher Verhältnisse der weitverzweigten Verwandtschaft des alten reichsgräflichen Geschlechts, endlich legte er das Buch zur Seite und sagte, sonderbar bewegt: Es ist ein Grabstein.

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          <p>Ludwig blätterte wieder in dem alten Bande, viel des Anziehenden enthielt er noch, eine reiche Stofffülle für Geschichte damaligen Hoflebens und persönlicher Verhältnisse der weitverzweigten Verwandtschaft des alten reichsgräflichen Geschlechts, endlich legte er das Buch zur Seite und sagte, sonderbar bewegt: Es ist ein Grabstein.</p>
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[468/0472] meine Erziehung und meine Bedürfnisse zu sorgen versprach, was sie auch mit der äußersten Zärtlichkeit fast dreizehn Jahre lang that, und mich gründlich verzog. Ich wurde ein so halsstarriges und eigensinniges Kind, daß eine minder geduldige und zärtliche Dame, als es meine Großmutter für mich war, meine Unarten gewiß nicht ertragen haben würde.“ Es geht ein eigenthümlicher Grundzug durch die Generationen, sprach Ludwig, als er dies gelesen hatte. Häufig tritt zwischen Großeltern und Enkeln mehr Aehnlichkeit der Gesichtsbildung, ja selbst des Charakters, als zwischen Eltern und Kindern hervor, auch häufig mehr Liebe der Großeltern zu den Kindern ihrer Kinder, als diesen von den Eltern zu Theil wird. So wäre zuletzt die oft halsstarrige Festigkeit und Härte im Charakter meiner guten Großmutter zum Theil nur ein Erbe der ihrigen gewesen? Welch’ ein eigenthümlicher Reiz liegt in diesem alten Buche — ein so langes, vielbewegtes Leben, — es wäre ein Unrecht von mir, dieses Buch, so wie jene Tagebuchbruchstücke meiner Großmutter der Vernichtung Preis zu geben — aber wem soll ich sie anvertrauen? Meinen Vetter Wilhelm Gustav Friedrich deckt seit 1835 die Gruft, William, der Vice-Admiral, starb schon 1813. Ihre Kinder kenne ich nicht, stehe ihnen fern, bin ihnen fremd, wer weiß, ob Eines von ihnen durch diese Gabe erfreut würde! Auch für Leonardus Erben kann sie nicht den mindesten Werth haben, diese Holländer wären im Stande, Häringe in die Papiere zu wickeln, welche die Geschichten einst glühender Herzen enthalten! — Der Einzige, Vincentius Martinus, der vielleicht diese Blätter würdigte, leidet an Gesichtsschwäche, die heilige Ottilia rächt sich an ihrem Kirchlein, weil er ihr, wie ich große Ursache zu glauben habe, meine ansehnliche Schenkung entzogen und sie für sich selber behalten hat. Da würden diese altfranzösisch geschriebenen Blätter ihm nur Mühe machen, sie zu entziffern. Am Besten, ich überlasse es ganz dem Zufall, daß dieser sie in eine Hand bringe, die sie dereinst zu schätzen und zu übersetzen weiß. Ludwig blätterte wieder in dem alten Bande, viel des Anziehenden enthielt er noch, eine reiche Stofffülle für Geschichte damaligen Hoflebens und persönlicher Verhältnisse der weitverzweigten Verwandtschaft des alten reichsgräflichen Geschlechts, endlich legte er das Buch zur Seite und sagte, sonderbar bewegt: Es ist ein Grabstein.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/472>, abgerufen am 27.11.2024.