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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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auf zu fließen, das ist längst so geordnet. Meine Dienerschaft wird nicht unbedacht bleiben, verspricht sie sich aber goldene Berge und Crösusschätze, so ist sie im Irrthum. Was ich in der Nähe der Stadt besitze, das Haus, die Gärten, das Haus in Walrabs, der Berggarten mit meinem theuren Grabe, das ich gepflegt wissen will neben dem meinen, soll Alles in treue Dienerhände fallen. Zu meiner hiesigen Verlassenschaft werden sich lachende Erben melden, Einer davon besonders wird am Meisten lachen, er ist ein geistlicher Herr katholischen Glaubens.

Sie sind katholisch? entfuhr dem Munde des Arztes die Frage.

Ludwig lächelte. Wer fragt danach? Ich bin, der ich bin, und bin, der ich nicht bin.

Mit dieser apokalyptischen Wendung schnitt der Graf die fernere Unterredung ab, und indem er in ein ernstes Nachsinnen versank, ward ihm so recht die Eitelkeit und Nichtigkeit alles Irdischen, das so tausendfach vergebliche Ringen und Streben, Mühen und Abquälen der Menschen in innerster Seele klar. -- Dort lag das Tagebuch der Ahnfrau seines Hauses, der gebornen Herzogin de la Tremouille; er griff mechanisch nach demselben und sprach, indem er es aufschlug, gedankenvoll vor sich hin: Wie sich doch die Kettenglieder der Lebenden aneinander reihen von uralten Zeiten her. Welche Stofffülle! Und so ganz begraben, so ganz vergessen zu sein! -- Auch hier ist geschildert, was sich ewig erneut im steten Wechsel und im Laufe der Jahrhunderte, der Herzen unruhvolles Klopfen, der Liebe Kampf und Ringen. Meine Großmutter gab mir dies Buch -- und ich -- habe keinen Enkel, dem ich es hinterlassen könnte. Die Großmutter meiner Großmutter schrieb dies Buch, und diese erzählte nun wieder von ihrer Großmutter. Welch' eine Kette von Lebenden, die alle zum ewigen Schlummer sich niederlegten! -- Wie beginnt die alte Dame?

"Die kurze Dauer des menschlichen Lebens und die Ungewißheit der Zeit des Todes hat mich den Entschluß fassen lassen, meinen Lebenslauf aufzuzeichnen, weil derselbe ungewöhnlich genug gewesen ist, so daß ich in ihm sichtlich die wunderbare Leitung Gottes erkannt habe, welche Alles zu meiner eigenen Genugthuung gewandt hat."

Ja, ja -- die Ungewißheit der Zeit des Todes! murmelte der Graf vor sich hin. Selten kommen die Menschen zeitig zu den rechten

auf zu fließen, das ist längst so geordnet. Meine Dienerschaft wird nicht unbedacht bleiben, verspricht sie sich aber goldene Berge und Crösusschätze, so ist sie im Irrthum. Was ich in der Nähe der Stadt besitze, das Haus, die Gärten, das Haus in Walrabs, der Berggarten mit meinem theuren Grabe, das ich gepflegt wissen will neben dem meinen, soll Alles in treue Dienerhände fallen. Zu meiner hiesigen Verlassenschaft werden sich lachende Erben melden, Einer davon besonders wird am Meisten lachen, er ist ein geistlicher Herr katholischen Glaubens.

Sie sind katholisch? entfuhr dem Munde des Arztes die Frage.

Ludwig lächelte. Wer fragt danach? Ich bin, der ich bin, und bin, der ich nicht bin.

Mit dieser apokalyptischen Wendung schnitt der Graf die fernere Unterredung ab, und indem er in ein ernstes Nachsinnen versank, ward ihm so recht die Eitelkeit und Nichtigkeit alles Irdischen, das so tausendfach vergebliche Ringen und Streben, Mühen und Abquälen der Menschen in innerster Seele klar. — Dort lag das Tagebuch der Ahnfrau seines Hauses, der gebornen Herzogin de la Tremouille; er griff mechanisch nach demselben und sprach, indem er es aufschlug, gedankenvoll vor sich hin: Wie sich doch die Kettenglieder der Lebenden aneinander reihen von uralten Zeiten her. Welche Stofffülle! Und so ganz begraben, so ganz vergessen zu sein! — Auch hier ist geschildert, was sich ewig erneut im steten Wechsel und im Laufe der Jahrhunderte, der Herzen unruhvolles Klopfen, der Liebe Kampf und Ringen. Meine Großmutter gab mir dies Buch — und ich — habe keinen Enkel, dem ich es hinterlassen könnte. Die Großmutter meiner Großmutter schrieb dies Buch, und diese erzählte nun wieder von ihrer Großmutter. Welch’ eine Kette von Lebenden, die alle zum ewigen Schlummer sich niederlegten! — Wie beginnt die alte Dame?

»Die kurze Dauer des menschlichen Lebens und die Ungewißheit der Zeit des Todes hat mich den Entschluß fassen lassen, meinen Lebenslauf aufzuzeichnen, weil derselbe ungewöhnlich genug gewesen ist, so daß ich in ihm sichtlich die wunderbare Leitung Gottes erkannt habe, welche Alles zu meiner eigenen Genugthuung gewandt hat.“

Ja, ja — die Ungewißheit der Zeit des Todes! murmelte der Graf vor sich hin. Selten kommen die Menschen zeitig zu den rechten

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[466/0470] auf zu fließen, das ist längst so geordnet. Meine Dienerschaft wird nicht unbedacht bleiben, verspricht sie sich aber goldene Berge und Crösusschätze, so ist sie im Irrthum. Was ich in der Nähe der Stadt besitze, das Haus, die Gärten, das Haus in Walrabs, der Berggarten mit meinem theuren Grabe, das ich gepflegt wissen will neben dem meinen, soll Alles in treue Dienerhände fallen. Zu meiner hiesigen Verlassenschaft werden sich lachende Erben melden, Einer davon besonders wird am Meisten lachen, er ist ein geistlicher Herr katholischen Glaubens. Sie sind katholisch? entfuhr dem Munde des Arztes die Frage. Ludwig lächelte. Wer fragt danach? Ich bin, der ich bin, und bin, der ich nicht bin. Mit dieser apokalyptischen Wendung schnitt der Graf die fernere Unterredung ab, und indem er in ein ernstes Nachsinnen versank, ward ihm so recht die Eitelkeit und Nichtigkeit alles Irdischen, das so tausendfach vergebliche Ringen und Streben, Mühen und Abquälen der Menschen in innerster Seele klar. — Dort lag das Tagebuch der Ahnfrau seines Hauses, der gebornen Herzogin de la Tremouille; er griff mechanisch nach demselben und sprach, indem er es aufschlug, gedankenvoll vor sich hin: Wie sich doch die Kettenglieder der Lebenden aneinander reihen von uralten Zeiten her. Welche Stofffülle! Und so ganz begraben, so ganz vergessen zu sein! — Auch hier ist geschildert, was sich ewig erneut im steten Wechsel und im Laufe der Jahrhunderte, der Herzen unruhvolles Klopfen, der Liebe Kampf und Ringen. Meine Großmutter gab mir dies Buch — und ich — habe keinen Enkel, dem ich es hinterlassen könnte. Die Großmutter meiner Großmutter schrieb dies Buch, und diese erzählte nun wieder von ihrer Großmutter. Welch’ eine Kette von Lebenden, die alle zum ewigen Schlummer sich niederlegten! — Wie beginnt die alte Dame? »Die kurze Dauer des menschlichen Lebens und die Ungewißheit der Zeit des Todes hat mich den Entschluß fassen lassen, meinen Lebenslauf aufzuzeichnen, weil derselbe ungewöhnlich genug gewesen ist, so daß ich in ihm sichtlich die wunderbare Leitung Gottes erkannt habe, welche Alles zu meiner eigenen Genugthuung gewandt hat.“ Ja, ja — die Ungewißheit der Zeit des Todes! murmelte der Graf vor sich hin. Selten kommen die Menschen zeitig zu den rechten

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/470>, abgerufen am 27.11.2024.