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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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einem Arzte zu senden. Dieser verständige Mann zeigte sich menschlich theilnehmend, nicht neugierig, und so geschah es, daß es wohl zuweilen im Laufe rascher und geistvoller Gespräche schien, als wolle der Graf sich ihm mittheilen, doch häufig unterbrach er sich dann plötzlich selbst und sprang schnell auf einen andern Gegenstand über.

Das Alter macht geschwätzig, ich merke, daß ich in die Jahre komme, äußerte er sich einst bei einem solchen Besuche, da er den Arzt im Bette liegend empfangen mußte. Ich werde mittheilsam, das ist ein Zeichen meines herannahenden Todes; denn wenn es mit dem Menschen abwärts geht, ändern sich in ihm Neigungen und Gewohnheiten. Daher das Sprichwort, wenn ein als geizig bekannter und vertrauter Mann anfängt zu verschenken: es ist vor seinem Tode.

Sie haben sich allzusehr zurückgezogen, Herr Graf! sprach der Arzt. Es war nicht gut, nicht heilsam. Der Mensch gehört zum Menschen, auch der Geistreichste kann sich nicht immer selbst genügen: ja, er wird leicht durch fortgesetztes Absperren von der Menschenwelt einseitig, schroff und heftig.

Sie mögen Recht haben, Herr Doctor! erwiederte der Graf. Ich taugte aber nicht unter die Menschen, ich bin eine reizbare Natur, von Jugend auf heftig geartet, vielleicht Folge eines Mangels an richtiger Erziehung. Meine ganze Jugendzeit verfloß in einsamen Schlössern, und da sah ich wenig von der Welt. Als ich in dieselbe eintrat, fand ich die Zeit zu bewegt, die Elemente zu gährend, so daß ich nicht zur Klarheit über mich selbst gelangen konnte. Ich ward in eine Strömung hineingerissen; eigenthümliche Verhältnisse schlangen Bande um mich, denen ich mich nicht entringen konnte und nicht wollte; sonst habe ich zu andern Zeiten wohl gezeigt, daß der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er kann.

Gewiß reisten Euer Gnaden viel? fragte der Arzt.

Nun ja, ich sah Einiges von fremden Ländern, zum Beispiel von Holland, Frankreich, England, Deutschland und Rußland, weiter kam ich nicht.

Nach einer Weile sagte der Arzt: Ihr Leben, Herr Graf, war gewiß ein vielfach bewegtes, und die lesende Welt würde es Ihnen Dank wissen, wenn Sie derselben Ihre Memoiren überliefern oder sie ihr doch dermaleinst hinterlassen wollten.

Mein Dermaleinst liegt gar nicht mehr so fern, Herr Ober-Medicinalrath!

einem Arzte zu senden. Dieser verständige Mann zeigte sich menschlich theilnehmend, nicht neugierig, und so geschah es, daß es wohl zuweilen im Laufe rascher und geistvoller Gespräche schien, als wolle der Graf sich ihm mittheilen, doch häufig unterbrach er sich dann plötzlich selbst und sprang schnell auf einen andern Gegenstand über.

Das Alter macht geschwätzig, ich merke, daß ich in die Jahre komme, äußerte er sich einst bei einem solchen Besuche, da er den Arzt im Bette liegend empfangen mußte. Ich werde mittheilsam, das ist ein Zeichen meines herannahenden Todes; denn wenn es mit dem Menschen abwärts geht, ändern sich in ihm Neigungen und Gewohnheiten. Daher das Sprichwort, wenn ein als geizig bekannter und vertrauter Mann anfängt zu verschenken: es ist vor seinem Tode.

Sie haben sich allzusehr zurückgezogen, Herr Graf! sprach der Arzt. Es war nicht gut, nicht heilsam. Der Mensch gehört zum Menschen, auch der Geistreichste kann sich nicht immer selbst genügen: ja, er wird leicht durch fortgesetztes Absperren von der Menschenwelt einseitig, schroff und heftig.

Sie mögen Recht haben, Herr Doctor! erwiederte der Graf. Ich taugte aber nicht unter die Menschen, ich bin eine reizbare Natur, von Jugend auf heftig geartet, vielleicht Folge eines Mangels an richtiger Erziehung. Meine ganze Jugendzeit verfloß in einsamen Schlössern, und da sah ich wenig von der Welt. Als ich in dieselbe eintrat, fand ich die Zeit zu bewegt, die Elemente zu gährend, so daß ich nicht zur Klarheit über mich selbst gelangen konnte. Ich ward in eine Strömung hineingerissen; eigenthümliche Verhältnisse schlangen Bande um mich, denen ich mich nicht entringen konnte und nicht wollte; sonst habe ich zu andern Zeiten wohl gezeigt, daß der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er kann.

Gewiß reisten Euer Gnaden viel? fragte der Arzt.

Nun ja, ich sah Einiges von fremden Ländern, zum Beispiel von Holland, Frankreich, England, Deutschland und Rußland, weiter kam ich nicht.

Nach einer Weile sagte der Arzt: Ihr Leben, Herr Graf, war gewiß ein vielfach bewegtes, und die lesende Welt würde es Ihnen Dank wissen, wenn Sie derselben Ihre Memoiren überliefern oder sie ihr doch dermaleinst hinterlassen wollten.

Mein Dermaleinst liegt gar nicht mehr so fern, Herr Ober-Medicinalrath!

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einem Arzte zu senden. Dieser verständige Mann zeigte sich menschlich theilnehmend, nicht neugierig, und so geschah es, daß es wohl zuweilen im Laufe rascher und geistvoller Gespräche schien, als wolle der Graf sich ihm mittheilen, doch häufig unterbrach er sich dann plötzlich selbst und sprang schnell auf einen andern Gegenstand über.</p>
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          <p>Sie haben sich allzusehr zurückgezogen, Herr Graf! sprach der Arzt. Es war nicht gut, nicht heilsam. Der Mensch gehört zum Menschen, auch der Geistreichste kann sich nicht immer selbst genügen: ja, er wird leicht durch fortgesetztes Absperren von der Menschenwelt einseitig, schroff und heftig.</p>
          <p>Sie mögen Recht haben, Herr Doctor! erwiederte der Graf. Ich taugte aber nicht unter die Menschen, ich bin eine reizbare Natur, von Jugend auf heftig geartet, vielleicht Folge eines Mangels an richtiger Erziehung. Meine ganze Jugendzeit verfloß in einsamen Schlössern, und da sah ich wenig von der Welt. Als ich in dieselbe eintrat, fand ich die Zeit zu bewegt, die Elemente zu gährend, so daß ich nicht zur Klarheit über mich selbst gelangen konnte. Ich ward in eine Strömung hineingerissen; eigenthümliche Verhältnisse schlangen Bande um mich, denen ich mich nicht entringen konnte und nicht wollte; sonst habe ich zu andern Zeiten wohl gezeigt, daß der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er kann.</p>
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[464/0468] einem Arzte zu senden. Dieser verständige Mann zeigte sich menschlich theilnehmend, nicht neugierig, und so geschah es, daß es wohl zuweilen im Laufe rascher und geistvoller Gespräche schien, als wolle der Graf sich ihm mittheilen, doch häufig unterbrach er sich dann plötzlich selbst und sprang schnell auf einen andern Gegenstand über. Das Alter macht geschwätzig, ich merke, daß ich in die Jahre komme, äußerte er sich einst bei einem solchen Besuche, da er den Arzt im Bette liegend empfangen mußte. Ich werde mittheilsam, das ist ein Zeichen meines herannahenden Todes; denn wenn es mit dem Menschen abwärts geht, ändern sich in ihm Neigungen und Gewohnheiten. Daher das Sprichwort, wenn ein als geizig bekannter und vertrauter Mann anfängt zu verschenken: es ist vor seinem Tode. Sie haben sich allzusehr zurückgezogen, Herr Graf! sprach der Arzt. Es war nicht gut, nicht heilsam. Der Mensch gehört zum Menschen, auch der Geistreichste kann sich nicht immer selbst genügen: ja, er wird leicht durch fortgesetztes Absperren von der Menschenwelt einseitig, schroff und heftig. Sie mögen Recht haben, Herr Doctor! erwiederte der Graf. Ich taugte aber nicht unter die Menschen, ich bin eine reizbare Natur, von Jugend auf heftig geartet, vielleicht Folge eines Mangels an richtiger Erziehung. Meine ganze Jugendzeit verfloß in einsamen Schlössern, und da sah ich wenig von der Welt. Als ich in dieselbe eintrat, fand ich die Zeit zu bewegt, die Elemente zu gährend, so daß ich nicht zur Klarheit über mich selbst gelangen konnte. Ich ward in eine Strömung hineingerissen; eigenthümliche Verhältnisse schlangen Bande um mich, denen ich mich nicht entringen konnte und nicht wollte; sonst habe ich zu andern Zeiten wohl gezeigt, daß der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er kann. Gewiß reisten Euer Gnaden viel? fragte der Arzt. Nun ja, ich sah Einiges von fremden Ländern, zum Beispiel von Holland, Frankreich, England, Deutschland und Rußland, weiter kam ich nicht. Nach einer Weile sagte der Arzt: Ihr Leben, Herr Graf, war gewiß ein vielfach bewegtes, und die lesende Welt würde es Ihnen Dank wissen, wenn Sie derselben Ihre Memoiren überliefern oder sie ihr doch dermaleinst hinterlassen wollten. Mein Dermaleinst liegt gar nicht mehr so fern, Herr Ober-Medicinalrath!

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/468>, abgerufen am 24.11.2024.