Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.verzehren kann. Der heiligen Ottilia werde ich nichts mehr zuwenden, sie hat sich undankbar gegen mich erzeigt, ich nehme wahr, daß das Licht meiner Augen leidet. Nun lebe wohl, Leonarde; sei und bleibe du der Eremita, und hilf mir zu allen heiligen Einsiedlern beten, daß ich baldigst als ein wohlverdienter Emeritus mich nennen darf deinen unwandelbaren Vetter und Freund Vincentius Martinus van der Valck, Ludwigs trüber Ernst stimmte schlecht zu diesem ungeistlichen Humor, doch konnte er sich eines wehmüthigen Lächelns nicht enthalten, wenn er daran dachte, was Alles nach seinem Dahinscheiden mit seinem Nachlaß vorgenommen werden würde, und wie und wohin er Manches bergen solle. Denn das war sein entschiedener und fester Wille, daß er die Spuren seines Daseins vernichten wolle, daß er die Hülle, unter der er hier so lange Jahre verborgen gelebt, nicht heben, den Schleier nicht lüften wolle. Der abgeschmackte Name, mit dem alle Welt ihn nannte, war ihm lieb geworden, weil er den wahren Namen verbergen half; keine Seele von allen den tausend Neugierigen dachte an das Ei des Columbus, dachte je daran, einen einzigen falschen Buchstaben wegzuwerfen und den richtigen einzusetzen, gleich einem Zahn zum Zerbeißen der Nuß des Geheimnisses. Es war für ihn eine eigenthümliche schmerzliche Beschäftigung, die Sonderung seiner Briefschaften vorzunehmen; es that ihm weh, so manches theure Blatt den Flammen zu opfern, aber es mußte geschehen, denn ungelöst sollte das Räthsel seines Lebens bleiben. Die Menschen, sprach er einst in einer solchen stillen Opferstunde vor sich hin: glauben Alles, was sie glauben wollen, und nie das, was sie glauben sollen. Wenn ich todt bin, werden sie dennoch nicht müde werden, ihre Fabeln über den Grafen Vavel fortzuspinnen, und sollte ja in Zukunft irgend Einem vergönnt sein, den Nachkommen zu sagen, wer und woher ich war, so werden sie es ihm doch nicht glauben. Sorglich ordnete Ludwig alle Papiere, die von Leonardus herrührten, wie jene Briefe von Anges an seinen liebsten Freund. Die Briefe jedoch, welche Leonardus und Anges an ihn geschrieben hatten, vernichtete er. Oefter als früher nöthigte ihn jetzt Krankheit, bisweilen nach verzehren kann. Der heiligen Ottilia werde ich nichts mehr zuwenden, sie hat sich undankbar gegen mich erzeigt, ich nehme wahr, daß das Licht meiner Augen leidet. Nun lebe wohl, Leonarde; sei und bleibe du der Eremita, und hilf mir zu allen heiligen Einsiedlern beten, daß ich baldigst als ein wohlverdienter Emeritus mich nennen darf deinen unwandelbaren Vetter und Freund Vincentius Martinus van der Valck, Ludwigs trüber Ernst stimmte schlecht zu diesem ungeistlichen Humor, doch konnte er sich eines wehmüthigen Lächelns nicht enthalten, wenn er daran dachte, was Alles nach seinem Dahinscheiden mit seinem Nachlaß vorgenommen werden würde, und wie und wohin er Manches bergen solle. Denn das war sein entschiedener und fester Wille, daß er die Spuren seines Daseins vernichten wolle, daß er die Hülle, unter der er hier so lange Jahre verborgen gelebt, nicht heben, den Schleier nicht lüften wolle. Der abgeschmackte Name, mit dem alle Welt ihn nannte, war ihm lieb geworden, weil er den wahren Namen verbergen half; keine Seele von allen den tausend Neugierigen dachte an das Ei des Columbus, dachte je daran, einen einzigen falschen Buchstaben wegzuwerfen und den richtigen einzusetzen, gleich einem Zahn zum Zerbeißen der Nuß des Geheimnisses. Es war für ihn eine eigenthümliche schmerzliche Beschäftigung, die Sonderung seiner Briefschaften vorzunehmen; es that ihm weh, so manches theure Blatt den Flammen zu opfern, aber es mußte geschehen, denn ungelöst sollte das Räthsel seines Lebens bleiben. Die Menschen, sprach er einst in einer solchen stillen Opferstunde vor sich hin: glauben Alles, was sie glauben wollen, und nie das, was sie glauben sollen. Wenn ich todt bin, werden sie dennoch nicht müde werden, ihre Fabeln über den Grafen Vavel fortzuspinnen, und sollte ja in Zukunft irgend Einem vergönnt sein, den Nachkommen zu sagen, wer und woher ich war, so werden sie es ihm doch nicht glauben. Sorglich ordnete Ludwig alle Papiere, die von Leonardus herrührten, wie jene Briefe von Angés an seinen liebsten Freund. Die Briefe jedoch, welche Leonardus und Angés an ihn geschrieben hatten, vernichtete er. Oefter als früher nöthigte ihn jetzt Krankheit, bisweilen nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0467" n="463"/> verzehren kann. Der heiligen Ottilia werde ich nichts mehr zuwenden, sie hat sich undankbar gegen mich erzeigt, ich nehme wahr, daß das Licht meiner Augen leidet. 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Der abgeschmackte Name, mit dem alle Welt ihn nannte, war ihm lieb geworden, weil er den wahren Namen verbergen half; keine Seele von allen den tausend Neugierigen dachte an das Ei des Columbus, dachte je daran, einen einzigen falschen Buchstaben wegzuwerfen und den richtigen einzusetzen, gleich einem Zahn zum Zerbeißen der Nuß des Geheimnisses.</p> <p>Es war für ihn eine eigenthümliche schmerzliche Beschäftigung, die Sonderung seiner Briefschaften vorzunehmen; es that ihm weh, so manches theure Blatt den Flammen zu opfern, aber es mußte geschehen, denn ungelöst sollte das Räthsel seines Lebens bleiben. Die Menschen, sprach er einst in einer solchen stillen Opferstunde vor sich hin: glauben Alles, was sie glauben wollen, und nie das, was sie glauben sollen. Wenn ich todt bin, werden sie dennoch nicht müde werden, ihre Fabeln über den Grafen Vavel fortzuspinnen, und sollte ja in Zukunft irgend Einem vergönnt sein, den Nachkommen zu sagen, wer und woher ich war, so werden sie es ihm doch nicht glauben.</p> <p>Sorglich ordnete Ludwig alle Papiere, die von Leonardus herrührten, wie jene Briefe von Angés an seinen liebsten Freund. Die Briefe jedoch, welche Leonardus und Angés an ihn geschrieben hatten, vernichtete er.</p> <p>Oefter als früher nöthigte ihn jetzt Krankheit, bisweilen nach </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [463/0467]
verzehren kann. Der heiligen Ottilia werde ich nichts mehr zuwenden, sie hat sich undankbar gegen mich erzeigt, ich nehme wahr, daß das Licht meiner Augen leidet. Nun lebe wohl, Leonarde; sei und bleibe du der Eremita, und hilf mir zu allen heiligen Einsiedlern beten, daß ich baldigst als ein wohlverdienter Emeritus mich nennen darf deinen unwandelbaren Vetter und Freund
Vincentius Martinus van der Valck,
Pastor an Sanct Agatha in Leiden.
Ludwigs trüber Ernst stimmte schlecht zu diesem ungeistlichen Humor, doch konnte er sich eines wehmüthigen Lächelns nicht enthalten, wenn er daran dachte, was Alles nach seinem Dahinscheiden mit seinem Nachlaß vorgenommen werden würde, und wie und wohin er Manches bergen solle. Denn das war sein entschiedener und fester Wille, daß er die Spuren seines Daseins vernichten wolle, daß er die Hülle, unter der er hier so lange Jahre verborgen gelebt, nicht heben, den Schleier nicht lüften wolle. Der abgeschmackte Name, mit dem alle Welt ihn nannte, war ihm lieb geworden, weil er den wahren Namen verbergen half; keine Seele von allen den tausend Neugierigen dachte an das Ei des Columbus, dachte je daran, einen einzigen falschen Buchstaben wegzuwerfen und den richtigen einzusetzen, gleich einem Zahn zum Zerbeißen der Nuß des Geheimnisses.
Es war für ihn eine eigenthümliche schmerzliche Beschäftigung, die Sonderung seiner Briefschaften vorzunehmen; es that ihm weh, so manches theure Blatt den Flammen zu opfern, aber es mußte geschehen, denn ungelöst sollte das Räthsel seines Lebens bleiben. Die Menschen, sprach er einst in einer solchen stillen Opferstunde vor sich hin: glauben Alles, was sie glauben wollen, und nie das, was sie glauben sollen. Wenn ich todt bin, werden sie dennoch nicht müde werden, ihre Fabeln über den Grafen Vavel fortzuspinnen, und sollte ja in Zukunft irgend Einem vergönnt sein, den Nachkommen zu sagen, wer und woher ich war, so werden sie es ihm doch nicht glauben.
Sorglich ordnete Ludwig alle Papiere, die von Leonardus herrührten, wie jene Briefe von Angés an seinen liebsten Freund. Die Briefe jedoch, welche Leonardus und Angés an ihn geschrieben hatten, vernichtete er.
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