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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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mit ihren kalten Lippen auf seine Stirne, wandte sich und schritt rasch in ein Nebenzimmer, aus dem sie nicht wiederkehrte. Sie wollte keine Weichheit, sie wollte keine Thräne zeigen, vielleicht war ihr auch der Quell der Thränen längst versiegt und vertrocknet, und es schmerzte sie, die in ihrem bewegten Leben der Thränen so viele geweint, jetzt keine Thränen mehr zu haben.

Der junge Graf nahm, was ihm gegeben war und trug es aus dem Zimmer, damit Philipp die Schriften noch recht sorglich verwahre. Auf dem Fenstergang, der nach dem Hofe hinabsah, begegnete ihm Windt mit bestürztem Gesicht.

Schlimm! schlimm! schlimm! rief dieser aus. O daß Sie gestern schon, und nicht heute erst den gnädigen Erbherrn begrüßten -- Alles, Alles -- Alles stände anders. Oleum et operam perdidi! Da -- junger Herr, schauen Sie hinab in den Schloßhof!

Ludwig folgte mit den Augen dieser Aufforderung und gewahrte, daß so eben der Erbherr in seinen Reisewagen stieg, der Kammerdiener sich hinten aufschwang, der Jäger Jacob auf dem Reitpferde des Grafen saß, und die drei Reitknechte und Stalldiener auf die übrigen Pferde sich schwangen -- wie die Herren Hofrath Brünings, Kammerrath Melchers und Secretär Wippermann tiefe Bücklinge vor dem Grafen machten, ein Theil der Hausdienerschaft neugierig gaffend aus Thüren und Fenstern zusah, und wie der Gebieter ohne einen Blick nach dem Gebäude herauf zu werfen, auf und davon fuhr, von seiner ganzen mitgebrachten Dienerschaft begleitet. -- Als der Wagen entrollte, nahmen die Herren Beamten drunten aus Hofrath Brünings goldener Dose jeder eine Prise. -- Adieu partie! rief Windt droben mit komischem Zorn und schlecht verhehltem ernstem Aerger. Der kommt sobald nicht wieder! Habe mir die Finger fast abgeschrieben, bin krank und lahm geworden, habe in Doorwerth geschmorcht und geschmachtet, bin davon eine lebendige Satyre auf meinen eigenen Namen, nämlich dürr wie ein Windspiel geworden, habe Himmel und Hölle beschworen, den regierenden Herrn zu bewegen, zur Schließung gütlichen Vergleiches hierher zu kommen, habe mir endlich die Zunge fast aus dem Halse geredet, Ihre Excellenz zu annehmbaren Vergleichsbestimmungen zu bewegen, habe auf große Kosten Ihrer Excellenz und meiner Gesundheit die schändliche Reise gemacht von Arnhem erst

mit ihren kalten Lippen auf seine Stirne, wandte sich und schritt rasch in ein Nebenzimmer, aus dem sie nicht wiederkehrte. Sie wollte keine Weichheit, sie wollte keine Thräne zeigen, vielleicht war ihr auch der Quell der Thränen längst versiegt und vertrocknet, und es schmerzte sie, die in ihrem bewegten Leben der Thränen so viele geweint, jetzt keine Thränen mehr zu haben.

Der junge Graf nahm, was ihm gegeben war und trug es aus dem Zimmer, damit Philipp die Schriften noch recht sorglich verwahre. Auf dem Fenstergang, der nach dem Hofe hinabsah, begegnete ihm Windt mit bestürztem Gesicht.

Schlimm! schlimm! schlimm! rief dieser aus. O daß Sie gestern schon, und nicht heute erst den gnädigen Erbherrn begrüßten — Alles, Alles — Alles stände anders. Oleum et operam perdidi! Da — junger Herr, schauen Sie hinab in den Schloßhof!

Ludwig folgte mit den Augen dieser Aufforderung und gewahrte, daß so eben der Erbherr in seinen Reisewagen stieg, der Kammerdiener sich hinten aufschwang, der Jäger Jacob auf dem Reitpferde des Grafen saß, und die drei Reitknechte und Stalldiener auf die übrigen Pferde sich schwangen — wie die Herren Hofrath Brünings, Kammerrath Melchers und Secretär Wippermann tiefe Bücklinge vor dem Grafen machten, ein Theil der Hausdienerschaft neugierig gaffend aus Thüren und Fenstern zusah, und wie der Gebieter ohne einen Blick nach dem Gebäude herauf zu werfen, auf und davon fuhr, von seiner ganzen mitgebrachten Dienerschaft begleitet. — Als der Wagen entrollte, nahmen die Herren Beamten drunten aus Hofrath Brünings goldener Dose jeder eine Prise. — Adieu partie! rief Windt droben mit komischem Zorn und schlecht verhehltem ernstem Aerger. Der kommt sobald nicht wieder! Habe mir die Finger fast abgeschrieben, bin krank und lahm geworden, habe in Doorwerth geschmorcht und geschmachtet, bin davon eine lebendige Satyre auf meinen eigenen Namen, nämlich dürr wie ein Windspiel geworden, habe Himmel und Hölle beschworen, den regierenden Herrn zu bewegen, zur Schließung gütlichen Vergleiches hierher zu kommen, habe mir endlich die Zunge fast aus dem Halse geredet, Ihre Excellenz zu annehmbaren Vergleichsbestimmungen zu bewegen, habe auf große Kosten Ihrer Excellenz und meiner Gesundheit die schändliche Reise gemacht von Arnhem erst

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[42/0046] mit ihren kalten Lippen auf seine Stirne, wandte sich und schritt rasch in ein Nebenzimmer, aus dem sie nicht wiederkehrte. Sie wollte keine Weichheit, sie wollte keine Thräne zeigen, vielleicht war ihr auch der Quell der Thränen längst versiegt und vertrocknet, und es schmerzte sie, die in ihrem bewegten Leben der Thränen so viele geweint, jetzt keine Thränen mehr zu haben. Der junge Graf nahm, was ihm gegeben war und trug es aus dem Zimmer, damit Philipp die Schriften noch recht sorglich verwahre. Auf dem Fenstergang, der nach dem Hofe hinabsah, begegnete ihm Windt mit bestürztem Gesicht. Schlimm! schlimm! schlimm! rief dieser aus. O daß Sie gestern schon, und nicht heute erst den gnädigen Erbherrn begrüßten — Alles, Alles — Alles stände anders. Oleum et operam perdidi! Da — junger Herr, schauen Sie hinab in den Schloßhof! Ludwig folgte mit den Augen dieser Aufforderung und gewahrte, daß so eben der Erbherr in seinen Reisewagen stieg, der Kammerdiener sich hinten aufschwang, der Jäger Jacob auf dem Reitpferde des Grafen saß, und die drei Reitknechte und Stalldiener auf die übrigen Pferde sich schwangen — wie die Herren Hofrath Brünings, Kammerrath Melchers und Secretär Wippermann tiefe Bücklinge vor dem Grafen machten, ein Theil der Hausdienerschaft neugierig gaffend aus Thüren und Fenstern zusah, und wie der Gebieter ohne einen Blick nach dem Gebäude herauf zu werfen, auf und davon fuhr, von seiner ganzen mitgebrachten Dienerschaft begleitet. — Als der Wagen entrollte, nahmen die Herren Beamten drunten aus Hofrath Brünings goldener Dose jeder eine Prise. — Adieu partie! rief Windt droben mit komischem Zorn und schlecht verhehltem ernstem Aerger. Der kommt sobald nicht wieder! Habe mir die Finger fast abgeschrieben, bin krank und lahm geworden, habe in Doorwerth geschmorcht und geschmachtet, bin davon eine lebendige Satyre auf meinen eigenen Namen, nämlich dürr wie ein Windspiel geworden, habe Himmel und Hölle beschworen, den regierenden Herrn zu bewegen, zur Schließung gütlichen Vergleiches hierher zu kommen, habe mir endlich die Zunge fast aus dem Halse geredet, Ihre Excellenz zu annehmbaren Vergleichsbestimmungen zu bewegen, habe auf große Kosten Ihrer Excellenz und meiner Gesundheit die schändliche Reise gemacht von Arnhem erst

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/46>, abgerufen am 24.11.2024.