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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Die Fremden standen noch unten. Der Herr deutete lebhaft sprechend, und, wie es den Anschein hatte, fragend, nach verschiedenen Richtungen hin. Der junge Mensch folgte jeder dieser Handbewegungen mit seinen Blicken, und machte häufig nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen entschiedene Bewegungen des Verneinens.

Sieh dir diesen Jüngling recht genau an, sprach Ludwig zur Freundin. Das ist ein Mensch, dessen Herkunft noch ungleich geheimnißvoller für die Welt ist, als die unsere, er ist das öffentliche Räthsel Deutschlands. Sieh, jetzt wenden sie sich, sie gehen wieder, er ist fremd hier, gehorsamer Diener, Herr Polizeirath! Wir bedanken uns für die gütige Aufmerksamkeit! Reisen Sie recht glücklich!

Du machst mich sehr neugierig, Ludwig! rief Sophie mit steigendem Erstaunen.

Ich durchschaue Alles, gab ihr der Graf lächelnd zur Antwort. Der junge Mensch ist der Findling Nürnbergs, dessen Geschichte ich dir erzählte, so weit mir dieselbe aus den über ihn erschienenen Schriften bekannt geworden ist, es ist Kaspar Hauser.

Das unglückliche Kind grausamer Eltern! rief Sophie bestürzt aus.

Derselbe, sprach Ludwig. Sein Begleiter und Führer war der Gothaische Polizeirath Eberhardt, der Schrecken aller Vagabunden und Gauner weit und breit, das hellsehendste Wächterauge in ganz Deutschland für die öffentliche Sicherheit.

Ich denke mir diesen Besuch einfach so: Polizeirath Eberhardt möchte längst gern wissen, wer ich bin, wer du bist, seinem Polizeibewußtsein ist es unerträglich, daß ein Mensch lebt, dessen Paß nicht jeden Augenblick vor aller Augen dargelegt werden kann, daß ein Mensch lebt, dessen Herkunft die Staatsregierung nicht kennt, und der Mann ist ohne Zweifel in seinem vollen Rechte, ja ich schätze ihn aus der Ferne sehr hoch. Sein Freund ist der berühmte Rechtsgelehrte und Criminalist Anselm Feuerbach zu Anspach, der sich Kaspar Hausers auf das Eifrigste angenommen hat und noch immer Alles aufbietet, um Spuren der Herkunft seines Schützlings aufzufinden. Jedenfalls lenkte Eberhardt jenes Mannes Verdacht auch auf uns und dieses Schloß, und daraufhin wurde Ersterem der arme Kaspar Hauser anvertraut um zu versuchen, ob nicht beim Anblick der hiesigen Oertlichkeiten

Die Fremden standen noch unten. Der Herr deutete lebhaft sprechend, und, wie es den Anschein hatte, fragend, nach verschiedenen Richtungen hin. Der junge Mensch folgte jeder dieser Handbewegungen mit seinen Blicken, und machte häufig nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen entschiedene Bewegungen des Verneinens.

Sieh dir diesen Jüngling recht genau an, sprach Ludwig zur Freundin. Das ist ein Mensch, dessen Herkunft noch ungleich geheimnißvoller für die Welt ist, als die unsere, er ist das öffentliche Räthsel Deutschlands. Sieh, jetzt wenden sie sich, sie gehen wieder, er ist fremd hier, gehorsamer Diener, Herr Polizeirath! Wir bedanken uns für die gütige Aufmerksamkeit! Reisen Sie recht glücklich!

Du machst mich sehr neugierig, Ludwig! rief Sophie mit steigendem Erstaunen.

Ich durchschaue Alles, gab ihr der Graf lächelnd zur Antwort. Der junge Mensch ist der Findling Nürnbergs, dessen Geschichte ich dir erzählte, so weit mir dieselbe aus den über ihn erschienenen Schriften bekannt geworden ist, es ist Kaspar Hauser.

Das unglückliche Kind grausamer Eltern! rief Sophie bestürzt aus.

Derselbe, sprach Ludwig. Sein Begleiter und Führer war der Gothaische Polizeirath Eberhardt, der Schrecken aller Vagabunden und Gauner weit und breit, das hellsehendste Wächterauge in ganz Deutschland für die öffentliche Sicherheit.

Ich denke mir diesen Besuch einfach so: Polizeirath Eberhardt möchte längst gern wissen, wer ich bin, wer du bist, seinem Polizeibewußtsein ist es unerträglich, daß ein Mensch lebt, dessen Paß nicht jeden Augenblick vor aller Augen dargelegt werden kann, daß ein Mensch lebt, dessen Herkunft die Staatsregierung nicht kennt, und der Mann ist ohne Zweifel in seinem vollen Rechte, ja ich schätze ihn aus der Ferne sehr hoch. Sein Freund ist der berühmte Rechtsgelehrte und Criminalist Anselm Feuerbach zu Anspach, der sich Kaspar Hausers auf das Eifrigste angenommen hat und noch immer Alles aufbietet, um Spuren der Herkunft seines Schützlings aufzufinden. Jedenfalls lenkte Eberhardt jenes Mannes Verdacht auch auf uns und dieses Schloß, und daraufhin wurde Ersterem der arme Kaspar Hauser anvertraut um zu versuchen, ob nicht beim Anblick der hiesigen Oertlichkeiten

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          <p>Du machst mich sehr neugierig, Ludwig! rief Sophie mit steigendem Erstaunen.</p>
          <p>Ich durchschaue Alles, gab ihr der Graf lächelnd zur Antwort. Der junge Mensch ist der Findling Nürnbergs, dessen Geschichte ich dir erzählte, so weit mir dieselbe aus den über ihn erschienenen Schriften bekannt geworden ist, es ist Kaspar Hauser.</p>
          <p>Das unglückliche Kind grausamer Eltern! rief Sophie bestürzt aus.</p>
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          <p>Ich denke mir diesen Besuch einfach so: Polizeirath Eberhardt möchte längst gern wissen, wer ich bin, wer du bist, seinem Polizeibewußtsein ist es unerträglich, daß ein Mensch lebt, dessen Paß nicht jeden Augenblick vor aller Augen dargelegt werden kann, daß ein Mensch lebt, dessen Herkunft die Staatsregierung nicht kennt, und der Mann ist ohne Zweifel in seinem vollen Rechte, ja ich schätze ihn aus der Ferne sehr hoch. Sein Freund ist der berühmte Rechtsgelehrte und Criminalist Anselm Feuerbach zu Anspach, der sich Kaspar Hausers auf das Eifrigste angenommen hat und noch immer Alles aufbietet, um Spuren der Herkunft seines Schützlings aufzufinden. Jedenfalls lenkte Eberhardt jenes Mannes Verdacht auch auf uns und dieses Schloß, und daraufhin wurde Ersterem der arme Kaspar Hauser anvertraut um zu versuchen, ob nicht beim Anblick der hiesigen Oertlichkeiten
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[445/0449] Die Fremden standen noch unten. Der Herr deutete lebhaft sprechend, und, wie es den Anschein hatte, fragend, nach verschiedenen Richtungen hin. Der junge Mensch folgte jeder dieser Handbewegungen mit seinen Blicken, und machte häufig nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen entschiedene Bewegungen des Verneinens. Sieh dir diesen Jüngling recht genau an, sprach Ludwig zur Freundin. Das ist ein Mensch, dessen Herkunft noch ungleich geheimnißvoller für die Welt ist, als die unsere, er ist das öffentliche Räthsel Deutschlands. Sieh, jetzt wenden sie sich, sie gehen wieder, er ist fremd hier, gehorsamer Diener, Herr Polizeirath! Wir bedanken uns für die gütige Aufmerksamkeit! Reisen Sie recht glücklich! Du machst mich sehr neugierig, Ludwig! rief Sophie mit steigendem Erstaunen. Ich durchschaue Alles, gab ihr der Graf lächelnd zur Antwort. Der junge Mensch ist der Findling Nürnbergs, dessen Geschichte ich dir erzählte, so weit mir dieselbe aus den über ihn erschienenen Schriften bekannt geworden ist, es ist Kaspar Hauser. Das unglückliche Kind grausamer Eltern! rief Sophie bestürzt aus. Derselbe, sprach Ludwig. Sein Begleiter und Führer war der Gothaische Polizeirath Eberhardt, der Schrecken aller Vagabunden und Gauner weit und breit, das hellsehendste Wächterauge in ganz Deutschland für die öffentliche Sicherheit. Ich denke mir diesen Besuch einfach so: Polizeirath Eberhardt möchte längst gern wissen, wer ich bin, wer du bist, seinem Polizeibewußtsein ist es unerträglich, daß ein Mensch lebt, dessen Paß nicht jeden Augenblick vor aller Augen dargelegt werden kann, daß ein Mensch lebt, dessen Herkunft die Staatsregierung nicht kennt, und der Mann ist ohne Zweifel in seinem vollen Rechte, ja ich schätze ihn aus der Ferne sehr hoch. Sein Freund ist der berühmte Rechtsgelehrte und Criminalist Anselm Feuerbach zu Anspach, der sich Kaspar Hausers auf das Eifrigste angenommen hat und noch immer Alles aufbietet, um Spuren der Herkunft seines Schützlings aufzufinden. Jedenfalls lenkte Eberhardt jenes Mannes Verdacht auch auf uns und dieses Schloß, und daraufhin wurde Ersterem der arme Kaspar Hauser anvertraut um zu versuchen, ob nicht beim Anblick der hiesigen Oertlichkeiten

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/449>, abgerufen am 25.11.2024.