Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.geboren hatte, und ihr Kind von einer Amme stillen ließ. Wir erzeigten uns gegenseitig alle Freundlichkeit und Gefälligkeit, unterhielten uns vielfach über unsere Kinder, fanden sogar ein wenig Aehnlichkeit zwischen beiden, und theilten uns nach Frauenweise unsere gegenseitige Herkunft und Jugenderlebnisse mit. Diese Dame hieß Reneira, und war die Tochter eines Baron van Tuyl zu Serooskerken; sie zählte erst einundzwanzig Jahre; ihr Gemahl war der Reichsgraf Johann Albert von Jever, Varel und Kniphausen, und eine ältere Schwester von ihr, Maria Katharine van Tuyl zu Serooskerken, war an ihres Gemahles älteren Bruder verheirathet. Beide Männer waren die Söhne der Reichsgräfin, welche sich mit auf unserem Schiffe befand. Als wir bereits zwischen dem "Helder" und dem "Texel" hindurch waren, und die Insel Wiwingen in Sicht hatten, sprang der Wind um, wuchs und wuchs und wurde zu einem furchtbaren Sturme. Du kennst Seestürme aus eigener Erfahrung hinlänglich, mein geliebter Leonardus, aber die Feder einer alten schwachen Frau ist nicht vermögend, den zu schildern, der mit allen Schrecken der empörten Elemente uns heimsuchte. Alles stürzte durcheinander, wir armen Frauen, unsere Kinder, unsere Dienerinnen. Dazu Seekrankheit, Todesangst, Nothschüsse, Gekreisch, Hülferufe, und Alles in stockfinsterer Nacht, denn unter Deck mußten alle Lampen und Laternen ausgelöscht werden, um Feuersgefahr zu verhüten. Der Sturm dauerte in gleicher Heftigkeit furchtbar lang, es war das Grauenhafteste, was ich jemals erlebt habe. Wir Frauen waren mehr todt als lebendig, lagen alle auf den Knieen mit Kindern und Dienerinnen in der großen Kajüte, und erwarteten mit jeder neuen Welle unser Ende. Unser Aller bemächtigte sich zuletzt eine gänzliche Hoffnungslosigkeit, eine tödtliche Abspannung, denn der Sturm dauerte zwei Tage und zwei Nächte und das Schiff litt über die Maßen. Als der zweite Morgen graute, rannte es auf eine Sandbank und wurde leck, die Mannschaft wurde nun an die Pumpen beordert, obschon sie so ermattet war, daß fast kein Matrose mehr ein Glied rühren konnte. Jetzt wurden die Boote ausgesetzt, man trug uns Frauen in dieselben, da das Schiff zu sinken drohte, kaum war es möglich, uns hinunter zu bringen; während dies geschah, hörte ich plötzlich einen Schrei der Amme jener deutschen Dame, gleich nachher einen zweiten von der Gebieterin selbst, und verworrene Stimmen riefen, geboren hatte, und ihr Kind von einer Amme stillen ließ. Wir erzeigten uns gegenseitig alle Freundlichkeit und Gefälligkeit, unterhielten uns vielfach über unsere Kinder, fanden sogar ein wenig Aehnlichkeit zwischen beiden, und theilten uns nach Frauenweise unsere gegenseitige Herkunft und Jugenderlebnisse mit. Diese Dame hieß Reneira, und war die Tochter eines Baron van Tuyl zu Serooskerken; sie zählte erst einundzwanzig Jahre; ihr Gemahl war der Reichsgraf Johann Albert von Jever, Varel und Kniphausen, und eine ältere Schwester von ihr, Maria Katharine van Tuyl zu Serooskerken, war an ihres Gemahles älteren Bruder verheirathet. Beide Männer waren die Söhne der Reichsgräfin, welche sich mit auf unserem Schiffe befand. Als wir bereits zwischen dem »Helder“ und dem „Texel“ hindurch waren, und die Insel Wiwingen in Sicht hatten, sprang der Wind um, wuchs und wuchs und wurde zu einem furchtbaren Sturme. Du kennst Seestürme aus eigener Erfahrung hinlänglich, mein geliebter Leonardus, aber die Feder einer alten schwachen Frau ist nicht vermögend, den zu schildern, der mit allen Schrecken der empörten Elemente uns heimsuchte. Alles stürzte durcheinander, wir armen Frauen, unsere Kinder, unsere Dienerinnen. Dazu Seekrankheit, Todesangst, Nothschüsse, Gekreisch, Hülferufe, und Alles in stockfinsterer Nacht, denn unter Deck mußten alle Lampen und Laternen ausgelöscht werden, um Feuersgefahr zu verhüten. Der Sturm dauerte in gleicher Heftigkeit furchtbar lang, es war das Grauenhafteste, was ich jemals erlebt habe. Wir Frauen waren mehr todt als lebendig, lagen alle auf den Knieen mit Kindern und Dienerinnen in der großen Kajüte, und erwarteten mit jeder neuen Welle unser Ende. Unser Aller bemächtigte sich zuletzt eine gänzliche Hoffnungslosigkeit, eine tödtliche Abspannung, denn der Sturm dauerte zwei Tage und zwei Nächte und das Schiff litt über die Maßen. Als der zweite Morgen graute, rannte es auf eine Sandbank und wurde leck, die Mannschaft wurde nun an die Pumpen beordert, obschon sie so ermattet war, daß fast kein Matrose mehr ein Glied rühren konnte. Jetzt wurden die Boote ausgesetzt, man trug uns Frauen in dieselben, da das Schiff zu sinken drohte, kaum war es möglich, uns hinunter zu bringen; während dies geschah, hörte ich plötzlich einen Schrei der Amme jener deutschen Dame, gleich nachher einen zweiten von der Gebieterin selbst, und verworrene Stimmen riefen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0427" n="423"/> geboren hatte, und ihr Kind von einer Amme stillen ließ. Wir erzeigten uns gegenseitig alle Freundlichkeit und Gefälligkeit, unterhielten uns vielfach über unsere Kinder, fanden sogar ein wenig Aehnlichkeit zwischen beiden, und theilten uns nach Frauenweise unsere gegenseitige Herkunft und Jugenderlebnisse mit. Diese Dame hieß Reneira, und war die Tochter eines Baron van Tuyl zu Serooskerken; sie zählte erst einundzwanzig Jahre; ihr Gemahl war der Reichsgraf Johann Albert von Jever, Varel und Kniphausen, und eine ältere Schwester von ihr, Maria Katharine van Tuyl zu Serooskerken, war an ihres Gemahles älteren Bruder verheirathet. Beide Männer waren die Söhne der Reichsgräfin, welche sich mit auf unserem Schiffe befand. Als wir bereits zwischen dem »Helder“ und dem „Texel“ hindurch waren, und die Insel Wiwingen in Sicht hatten, sprang der Wind um, wuchs und wuchs und wurde zu einem furchtbaren Sturme. Du kennst Seestürme aus eigener Erfahrung hinlänglich, mein geliebter Leonardus, aber die Feder einer alten schwachen Frau ist nicht vermögend, den zu schildern, der mit allen Schrecken der empörten Elemente uns heimsuchte. Alles stürzte durcheinander, wir armen Frauen, unsere Kinder, unsere Dienerinnen. Dazu Seekrankheit, Todesangst, Nothschüsse, Gekreisch, Hülferufe, und Alles in stockfinsterer Nacht, denn unter Deck mußten alle Lampen und Laternen ausgelöscht werden, um Feuersgefahr zu verhüten. Der Sturm dauerte in gleicher Heftigkeit furchtbar lang, es war das Grauenhafteste, was ich jemals erlebt habe. Wir Frauen waren mehr todt als lebendig, lagen alle auf den Knieen mit Kindern und Dienerinnen in der großen Kajüte, und erwarteten mit jeder neuen Welle unser Ende. Unser Aller bemächtigte sich zuletzt eine gänzliche Hoffnungslosigkeit, eine tödtliche Abspannung, denn der Sturm dauerte zwei Tage und zwei Nächte und das Schiff litt über die Maßen. Als der zweite Morgen graute, rannte es auf eine Sandbank und wurde leck, die Mannschaft wurde nun an die Pumpen beordert, obschon sie so ermattet war, daß fast kein Matrose mehr ein Glied rühren konnte. Jetzt wurden die Boote ausgesetzt, man trug uns Frauen in dieselben, da das Schiff zu sinken drohte, kaum war es möglich, uns hinunter zu bringen; während dies geschah, hörte ich plötzlich einen Schrei der Amme jener deutschen Dame, gleich nachher einen zweiten von der Gebieterin selbst, und verworrene Stimmen riefen, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [423/0427]
geboren hatte, und ihr Kind von einer Amme stillen ließ. Wir erzeigten uns gegenseitig alle Freundlichkeit und Gefälligkeit, unterhielten uns vielfach über unsere Kinder, fanden sogar ein wenig Aehnlichkeit zwischen beiden, und theilten uns nach Frauenweise unsere gegenseitige Herkunft und Jugenderlebnisse mit. Diese Dame hieß Reneira, und war die Tochter eines Baron van Tuyl zu Serooskerken; sie zählte erst einundzwanzig Jahre; ihr Gemahl war der Reichsgraf Johann Albert von Jever, Varel und Kniphausen, und eine ältere Schwester von ihr, Maria Katharine van Tuyl zu Serooskerken, war an ihres Gemahles älteren Bruder verheirathet. Beide Männer waren die Söhne der Reichsgräfin, welche sich mit auf unserem Schiffe befand. Als wir bereits zwischen dem »Helder“ und dem „Texel“ hindurch waren, und die Insel Wiwingen in Sicht hatten, sprang der Wind um, wuchs und wuchs und wurde zu einem furchtbaren Sturme. Du kennst Seestürme aus eigener Erfahrung hinlänglich, mein geliebter Leonardus, aber die Feder einer alten schwachen Frau ist nicht vermögend, den zu schildern, der mit allen Schrecken der empörten Elemente uns heimsuchte. Alles stürzte durcheinander, wir armen Frauen, unsere Kinder, unsere Dienerinnen. Dazu Seekrankheit, Todesangst, Nothschüsse, Gekreisch, Hülferufe, und Alles in stockfinsterer Nacht, denn unter Deck mußten alle Lampen und Laternen ausgelöscht werden, um Feuersgefahr zu verhüten. Der Sturm dauerte in gleicher Heftigkeit furchtbar lang, es war das Grauenhafteste, was ich jemals erlebt habe. Wir Frauen waren mehr todt als lebendig, lagen alle auf den Knieen mit Kindern und Dienerinnen in der großen Kajüte, und erwarteten mit jeder neuen Welle unser Ende. Unser Aller bemächtigte sich zuletzt eine gänzliche Hoffnungslosigkeit, eine tödtliche Abspannung, denn der Sturm dauerte zwei Tage und zwei Nächte und das Schiff litt über die Maßen. Als der zweite Morgen graute, rannte es auf eine Sandbank und wurde leck, die Mannschaft wurde nun an die Pumpen beordert, obschon sie so ermattet war, daß fast kein Matrose mehr ein Glied rühren konnte. Jetzt wurden die Boote ausgesetzt, man trug uns Frauen in dieselben, da das Schiff zu sinken drohte, kaum war es möglich, uns hinunter zu bringen; während dies geschah, hörte ich plötzlich einen Schrei der Amme jener deutschen Dame, gleich nachher einen zweiten von der Gebieterin selbst, und verworrene Stimmen riefen,
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