Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.7. Das große Räthsel Die Fürstin hatte richtig prophezeit; die Frage, wer das geheimnißvolle Paar sein möge, welches zwar mit nur weniger Bedienung, aber doch mit vielem Aufwande im "Englischen Hof" wohnte, war schon nach wenigen Tagen das Hauptthema jeder Unterhaltung in der kleinen Residenz, und die Nachbarn betrachteten das so wohl bekannte Hotel um seiner geheimnißvollen Gäste willen mit Blicken des Befremdens und der Neugierde. So lange die unbekannte Herrschaft noch im Gasthaus wohnte, durfte nie ein Kellner die Zimmer derselben betreten. Man hatte eigenes Tafel-, Tisch- und Bettzeug mitgebracht, oder es kam bald nach dem Eintreffen der Fremden von auswärts an, ebenso waren Service angekauft worden. Später miethete der Graf die schönste Wohnung, welche in Hildburghausen zu haben war, in einem Eckhause am Markt, das nach jener Zeit als Regierungsgebäude diente. Hier wohnte Ludwig im dritten Stock, kein Nachbar konnte ihm in die Fenster blicken. Täglich fuhr er, nur von einem einzigen Diener begleitet, mit der stets verschleierten Dame im eignen eleganten Wagen spazieren. Ein herrliches Paar Schimmel, wie sich selbst im herzoglichen Marstall kein schöneres befand, erregte die allgemeinste Bewunderung. Allmählig füllten sich alle Gesellschaftskreise der Stadt mit Nachrichten über den räthselhaften Fremden und seine Begleiterin. Daß die öffentliche Meinung den Grafen für einen französischen Emigranten hielt, war in den Verhältnissen und Ereignissen der Zeit begründet; darüber war man im Allgemeinen einig -- aber noch gar manches Andere blieb dafür um so räthselhafter und spottete aller Nachforschungen. Zu ihrer großen Belustigung hörten sie bald, mit welcher Romantik die erfinderische Fantasie der guten Kleinstädter sie Beide umkleide; 7. Das große Räthsel Die Fürstin hatte richtig prophezeit; die Frage, wer das geheimnißvolle Paar sein möge, welches zwar mit nur weniger Bedienung, aber doch mit vielem Aufwande im „Englischen Hof“ wohnte, war schon nach wenigen Tagen das Hauptthema jeder Unterhaltung in der kleinen Residenz, und die Nachbarn betrachteten das so wohl bekannte Hotel um seiner geheimnißvollen Gäste willen mit Blicken des Befremdens und der Neugierde. So lange die unbekannte Herrschaft noch im Gasthaus wohnte, durfte nie ein Kellner die Zimmer derselben betreten. Man hatte eigenes Tafel-, Tisch- und Bettzeug mitgebracht, oder es kam bald nach dem Eintreffen der Fremden von auswärts an, ebenso waren Service angekauft worden. Später miethete der Graf die schönste Wohnung, welche in Hildburghausen zu haben war, in einem Eckhause am Markt, das nach jener Zeit als Regierungsgebäude diente. Hier wohnte Ludwig im dritten Stock, kein Nachbar konnte ihm in die Fenster blicken. Täglich fuhr er, nur von einem einzigen Diener begleitet, mit der stets verschleierten Dame im eignen eleganten Wagen spazieren. Ein herrliches Paar Schimmel, wie sich selbst im herzoglichen Marstall kein schöneres befand, erregte die allgemeinste Bewunderung. Allmählig füllten sich alle Gesellschaftskreise der Stadt mit Nachrichten über den räthselhaften Fremden und seine Begleiterin. Daß die öffentliche Meinung den Grafen für einen französischen Emigranten hielt, war in den Verhältnissen und Ereignissen der Zeit begründet; darüber war man im Allgemeinen einig — aber noch gar manches Andere blieb dafür um so räthselhafter und spottete aller Nachforschungen. Zu ihrer großen Belustigung hörten sie bald, mit welcher Romantik die erfinderische Fantasie der guten Kleinstädter sie Beide umkleide; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0418" n="414"/> <head>7. 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Hier wohnte Ludwig im dritten Stock, kein Nachbar konnte ihm in die Fenster blicken. Täglich fuhr er, nur von einem einzigen Diener begleitet, mit der stets verschleierten Dame im eignen eleganten Wagen spazieren. Ein herrliches Paar Schimmel, wie sich selbst im herzoglichen Marstall kein schöneres befand, erregte die allgemeinste Bewunderung.</p> <p>Allmählig füllten sich alle Gesellschaftskreise der Stadt mit Nachrichten über den räthselhaften Fremden und seine Begleiterin. Daß die öffentliche Meinung den Grafen für einen französischen Emigranten hielt, war in den Verhältnissen und Ereignissen der Zeit begründet; darüber war man im Allgemeinen einig — aber noch gar manches Andere blieb dafür um so räthselhafter und spottete aller Nachforschungen.</p> <p>Zu ihrer großen Belustigung hörten sie bald, mit welcher Romantik die erfinderische Fantasie der guten Kleinstädter sie Beide umkleide; </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [414/0418]
7. Das große Räthsel
Die Fürstin hatte richtig prophezeit; die Frage, wer das geheimnißvolle Paar sein möge, welches zwar mit nur weniger Bedienung, aber doch mit vielem Aufwande im „Englischen Hof“ wohnte, war schon nach wenigen Tagen das Hauptthema jeder Unterhaltung in der kleinen Residenz, und die Nachbarn betrachteten das so wohl bekannte Hotel um seiner geheimnißvollen Gäste willen mit Blicken des Befremdens und der Neugierde.
So lange die unbekannte Herrschaft noch im Gasthaus wohnte, durfte nie ein Kellner die Zimmer derselben betreten. Man hatte eigenes Tafel-, Tisch- und Bettzeug mitgebracht, oder es kam bald nach dem Eintreffen der Fremden von auswärts an, ebenso waren Service angekauft worden. Später miethete der Graf die schönste Wohnung, welche in Hildburghausen zu haben war, in einem Eckhause am Markt, das nach jener Zeit als Regierungsgebäude diente. Hier wohnte Ludwig im dritten Stock, kein Nachbar konnte ihm in die Fenster blicken. Täglich fuhr er, nur von einem einzigen Diener begleitet, mit der stets verschleierten Dame im eignen eleganten Wagen spazieren. Ein herrliches Paar Schimmel, wie sich selbst im herzoglichen Marstall kein schöneres befand, erregte die allgemeinste Bewunderung.
Allmählig füllten sich alle Gesellschaftskreise der Stadt mit Nachrichten über den räthselhaften Fremden und seine Begleiterin. Daß die öffentliche Meinung den Grafen für einen französischen Emigranten hielt, war in den Verhältnissen und Ereignissen der Zeit begründet; darüber war man im Allgemeinen einig — aber noch gar manches Andere blieb dafür um so räthselhafter und spottete aller Nachforschungen.
Zu ihrer großen Belustigung hörten sie bald, mit welcher Romantik die erfinderische Fantasie der guten Kleinstädter sie Beide umkleide;
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/418>, abgerufen am 16.02.2025. |