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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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auch sein oft rasches und verletzendes Wesen durchaus nicht zu Ottolinens sanftem Charakter und ihrer idealen Anschauung des Lebens stimmte -- wenn auch, was ihrem scharfen Blick nicht entgangen war, die Anwesenheit ihrer Kammerfrau, die erst während seiner Abwesenheit in das Schloß gekommen war, und, obschon die Tochter eines Bauern, doch bei ungemein viel Schönheit auch ungemein viel Bildungsfähigkeit besaß, ihn sichtbar interessirte und unruhig machte. Es war dies die Jungfrau Sara Margaretha Gerdes.

Der Erbherr ging mit stiller Fassung in demselben Gemache auf und ab, in welchem noch auf seiner alten Stelle der Falk von Kniphausen stand; Windt war bei ihm, ihre Gespräche galten Doorwerth.

Im Zimmer Sara's weilten Ottolinens Kinder; die älteste Tochter Maria Antoinette Charlotte, und Ottoline Friederike Luise, holde Mädchen von sechs und sieben Jahren, die bisher der kranken Mutter einziges Glück gewesen, und nun dieses liebevolle, zärtliche Herz verlieren sollten.

Am Lager der schwer kranken Herrin saß die alte Reichsgräfin. Ottoline hielt deren hagere Hand in der ihrigen, und blickte aus den tiefeingesunkenen großen blauen Augen schmerzlich zu der treuen Matrone empor.

Wo ist jetzt Ludwig? fragte die Kranke mit leisem Hauche.

Er hat Deutschland verlassen, antwortete die Reichsgräfin; er zog seinem Glücke nach -- fast fürchte ich, er findet es niemals.

Ach, -- der grausame Freund! seufzte Ottoline. Warum rettete er damals mein Leben für so viele Qual und Pein? Warum lernte ich zu spät ihn kennen, -- ach -- ihn lieben! Fünf Jahre hindurch trug ich sieben Schwerter im Herzen, ein Schwert der Liebe, ein Schwert der Reue, ein Schwert der Buße, ein Schwert der Sehnsucht, ein Schwert der Hoffnungslosigkeit, ein Schwert der Krankheit, ein Schwert der Schmerzen -- und nun -- sind sie alle von mir genommen -- ich fühle keinen Schmerz mehr -- ich fühle mich leicht -- aber kalt. Meine Füße haben schon keine Empfindung mehr.

Nicht zu viel sprechen, meine Beste! mahnte sie die Reichsgräfin.

Ach, ich ließ Sie ja bitten, würdige Großmutter, flüsterte Ottoline: weil ich sprechen wollte zu Ihnen -- mit Ihnen -- von ihm. Jetzt, wo alle Banden abfallen von der frei werdenden Seele, jetzt

auch sein oft rasches und verletzendes Wesen durchaus nicht zu Ottolinens sanftem Charakter und ihrer idealen Anschauung des Lebens stimmte — wenn auch, was ihrem scharfen Blick nicht entgangen war, die Anwesenheit ihrer Kammerfrau, die erst während seiner Abwesenheit in das Schloß gekommen war, und, obschon die Tochter eines Bauern, doch bei ungemein viel Schönheit auch ungemein viel Bildungsfähigkeit besaß, ihn sichtbar interessirte und unruhig machte. Es war dies die Jungfrau Sara Margaretha Gerdes.

Der Erbherr ging mit stiller Fassung in demselben Gemache auf und ab, in welchem noch auf seiner alten Stelle der Falk von Kniphausen stand; Windt war bei ihm, ihre Gespräche galten Doorwerth.

Im Zimmer Sara’s weilten Ottolinens Kinder; die älteste Tochter Maria Antoinette Charlotte, und Ottoline Friederike Luise, holde Mädchen von sechs und sieben Jahren, die bisher der kranken Mutter einziges Glück gewesen, und nun dieses liebevolle, zärtliche Herz verlieren sollten.

Am Lager der schwer kranken Herrin saß die alte Reichsgräfin. Ottoline hielt deren hagere Hand in der ihrigen, und blickte aus den tiefeingesunkenen großen blauen Augen schmerzlich zu der treuen Matrone empor.

Wo ist jetzt Ludwig? fragte die Kranke mit leisem Hauche.

Er hat Deutschland verlassen, antwortete die Reichsgräfin; er zog seinem Glücke nach — fast fürchte ich, er findet es niemals.

Ach, — der grausame Freund! seufzte Ottoline. Warum rettete er damals mein Leben für so viele Qual und Pein? Warum lernte ich zu spät ihn kennen, — ach — ihn lieben! Fünf Jahre hindurch trug ich sieben Schwerter im Herzen, ein Schwert der Liebe, ein Schwert der Reue, ein Schwert der Buße, ein Schwert der Sehnsucht, ein Schwert der Hoffnungslosigkeit, ein Schwert der Krankheit, ein Schwert der Schmerzen — und nun — sind sie alle von mir genommen — ich fühle keinen Schmerz mehr — ich fühle mich leicht — aber kalt. Meine Füße haben schon keine Empfindung mehr.

Nicht zu viel sprechen, meine Beste! mahnte sie die Reichsgräfin.

Ach, ich ließ Sie ja bitten, würdige Großmutter, flüsterte Ottoline: weil ich sprechen wollte zu Ihnen — mit Ihnen — von ihm. Jetzt, wo alle Banden abfallen von der frei werdenden Seele, jetzt

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[347/0351] auch sein oft rasches und verletzendes Wesen durchaus nicht zu Ottolinens sanftem Charakter und ihrer idealen Anschauung des Lebens stimmte — wenn auch, was ihrem scharfen Blick nicht entgangen war, die Anwesenheit ihrer Kammerfrau, die erst während seiner Abwesenheit in das Schloß gekommen war, und, obschon die Tochter eines Bauern, doch bei ungemein viel Schönheit auch ungemein viel Bildungsfähigkeit besaß, ihn sichtbar interessirte und unruhig machte. Es war dies die Jungfrau Sara Margaretha Gerdes. Der Erbherr ging mit stiller Fassung in demselben Gemache auf und ab, in welchem noch auf seiner alten Stelle der Falk von Kniphausen stand; Windt war bei ihm, ihre Gespräche galten Doorwerth. Im Zimmer Sara’s weilten Ottolinens Kinder; die älteste Tochter Maria Antoinette Charlotte, und Ottoline Friederike Luise, holde Mädchen von sechs und sieben Jahren, die bisher der kranken Mutter einziges Glück gewesen, und nun dieses liebevolle, zärtliche Herz verlieren sollten. Am Lager der schwer kranken Herrin saß die alte Reichsgräfin. Ottoline hielt deren hagere Hand in der ihrigen, und blickte aus den tiefeingesunkenen großen blauen Augen schmerzlich zu der treuen Matrone empor. Wo ist jetzt Ludwig? fragte die Kranke mit leisem Hauche. Er hat Deutschland verlassen, antwortete die Reichsgräfin; er zog seinem Glücke nach — fast fürchte ich, er findet es niemals. Ach, — der grausame Freund! seufzte Ottoline. Warum rettete er damals mein Leben für so viele Qual und Pein? Warum lernte ich zu spät ihn kennen, — ach — ihn lieben! Fünf Jahre hindurch trug ich sieben Schwerter im Herzen, ein Schwert der Liebe, ein Schwert der Reue, ein Schwert der Buße, ein Schwert der Sehnsucht, ein Schwert der Hoffnungslosigkeit, ein Schwert der Krankheit, ein Schwert der Schmerzen — und nun — sind sie alle von mir genommen — ich fühle keinen Schmerz mehr — ich fühle mich leicht — aber kalt. Meine Füße haben schon keine Empfindung mehr. Nicht zu viel sprechen, meine Beste! mahnte sie die Reichsgräfin. Ach, ich ließ Sie ja bitten, würdige Großmutter, flüsterte Ottoline: weil ich sprechen wollte zu Ihnen — mit Ihnen — von ihm. Jetzt, wo alle Banden abfallen von der frei werdenden Seele, jetzt

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/351>, abgerufen am 22.11.2024.