Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.geordnet, die Gleichheit unserer Handschrift erleichtert es. Stirbst du ohne Erben, so mögen dann meine nächsten Verwandten ihr Erbtheil erheben, so viel dessen eben noch vorhanden sein wird. Außerdem aber bleibt Alles deinen Erben ohne jede beschränkende Klausel. -- Ich sterbe für Anges -- siehst du sie, so sage ihr meinen letzten Segensgruß! Wäre sie je in Noth, und diese käme zu deiner Kenntniß -- dann brauche ich wohl nicht erst eine Bitte auszusprechen -- dein eigenes Herz -- wird -- o Gott -- ich kann nicht mehr -- meine Brust -- zerspringt! -- Freund! Bruder! Leonardus! rief Ludwig mit Heftigkeit, und umschlang den Leidenden, der ihm das versiegelte Schriftenpaket in die Hand drückte. Sprich, was kann ich für dich thun? Mir nicht die Scheidestunde durch Jammer erschweren, seufzte der sterbende Leonardus. Habe Dank für deine Liebe, mit der dein jüngeres Herz sich an das meine anschloß! Es war ein schöner, nur zu kurzer Lebenstraum -- wir hätten wohl länger mit einander gehen sollen -- das Schicksal -- o Gott! Stirb nicht, Leonardus! Stirb nicht! rief Ludwig außer sich. Ich sah noch Niemanden sterben und soll jetzt meinen liebsten Freund -- meinen Bruder dahin gehen sehen? Windt, der Arzt und Philipp stürzten in das Zimmer -- Hülfe ward versucht, der Arzt fühlte den Puls, dieser stockte schon. Durch einen Wink bedeutete er der Umgebung, daß hier seine Hülfe zu spät sei. Schon umflorte der Tod die brechenden Augen -- Leonardus tastete nach der Hand des Freundes und lallte mit gedämpfter Stimme: Ludwig -- dunkel -- Gute Nacht! Es trat Blut auf die Lippen des Sterbenden. O Anges! Dies war sein letzter Hauch. Nie zuvor trat ein größerer Schmerz in Ludwig's Leben. Er stand stumm, vernichtet, fand nicht einmal Thränen. Der Arzt ging hinweg, Philipp weinte. Windt's klarer Verstand zeigte sich auch bei diesem Falle thatkräftig, entschieden handelnd. Auf dem Schriftenpaket stand unter der Aufschrift: an Graf Ludwig, die Weisung: "Sogleich nach meinem Tode zu eröffnen!" geordnet, die Gleichheit unserer Handschrift erleichtert es. Stirbst du ohne Erben, so mögen dann meine nächsten Verwandten ihr Erbtheil erheben, so viel dessen eben noch vorhanden sein wird. Außerdem aber bleibt Alles deinen Erben ohne jede beschränkende Klausel. — Ich sterbe für Angés — siehst du sie, so sage ihr meinen letzten Segensgruß! Wäre sie je in Noth, und diese käme zu deiner Kenntniß — dann brauche ich wohl nicht erst eine Bitte auszusprechen — dein eigenes Herz — wird — o Gott — ich kann nicht mehr — meine Brust — zerspringt! — Freund! Bruder! Leonardus! rief Ludwig mit Heftigkeit, und umschlang den Leidenden, der ihm das versiegelte Schriftenpaket in die Hand drückte. Sprich, was kann ich für dich thun? Mir nicht die Scheidestunde durch Jammer erschweren, seufzte der sterbende Leonardus. Habe Dank für deine Liebe, mit der dein jüngeres Herz sich an das meine anschloß! Es war ein schöner, nur zu kurzer Lebenstraum — wir hätten wohl länger mit einander gehen sollen — das Schicksal — o Gott! Stirb nicht, Leonardus! Stirb nicht! rief Ludwig außer sich. Ich sah noch Niemanden sterben und soll jetzt meinen liebsten Freund — meinen Bruder dahin gehen sehen? Windt, der Arzt und Philipp stürzten in das Zimmer — Hülfe ward versucht, der Arzt fühlte den Puls, dieser stockte schon. Durch einen Wink bedeutete er der Umgebung, daß hier seine Hülfe zu spät sei. Schon umflorte der Tod die brechenden Augen — Leonardus tastete nach der Hand des Freundes und lallte mit gedämpfter Stimme: Ludwig — dunkel — Gute Nacht! Es trat Blut auf die Lippen des Sterbenden. O Angés! Dies war sein letzter Hauch. Nie zuvor trat ein größerer Schmerz in Ludwig’s Leben. Er stand stumm, vernichtet, fand nicht einmal Thränen. Der Arzt ging hinweg, Philipp weinte. Windt’s klarer Verstand zeigte sich auch bei diesem Falle thatkräftig, entschieden handelnd. Auf dem Schriftenpaket stand unter der Aufschrift: an Graf Ludwig, die Weisung: „Sogleich nach meinem Tode zu eröffnen!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0309" n="305"/> geordnet, die Gleichheit unserer Handschrift erleichtert es. Stirbst du ohne Erben, so mögen dann meine nächsten Verwandten ihr Erbtheil erheben, so viel dessen eben noch vorhanden sein wird. Außerdem aber bleibt Alles <hi rendition="#g">deinen</hi> Erben ohne jede beschränkende Klausel. — Ich sterbe für Angés — siehst du sie, so sage ihr meinen letzten Segensgruß! Wäre sie je in Noth, und diese käme zu deiner Kenntniß — dann brauche ich wohl nicht erst eine Bitte auszusprechen — dein eigenes Herz — wird — o Gott — ich kann nicht mehr — meine Brust — zerspringt! —</p> <p>Freund! Bruder! 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Schon umflorte der Tod die brechenden Augen — Leonardus tastete nach der Hand des Freundes und lallte mit gedämpfter Stimme: Ludwig — dunkel — Gute Nacht!</p> <p>Es trat Blut auf die Lippen des Sterbenden.</p> <p>O Angés!</p> <p>Dies war sein letzter Hauch.</p> <p>Nie zuvor trat ein größerer Schmerz in Ludwig’s Leben. Er stand stumm, vernichtet, fand nicht einmal Thränen. Der Arzt ging hinweg, Philipp weinte.</p> <p>Windt’s klarer Verstand zeigte sich auch bei diesem Falle thatkräftig, entschieden handelnd.</p> <p>Auf dem Schriftenpaket stand unter der Aufschrift: an Graf Ludwig, die Weisung: <hi rendition="#g">„Sogleich</hi> nach meinem Tode zu eröffnen!“ </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [305/0309]
geordnet, die Gleichheit unserer Handschrift erleichtert es. Stirbst du ohne Erben, so mögen dann meine nächsten Verwandten ihr Erbtheil erheben, so viel dessen eben noch vorhanden sein wird. Außerdem aber bleibt Alles deinen Erben ohne jede beschränkende Klausel. — Ich sterbe für Angés — siehst du sie, so sage ihr meinen letzten Segensgruß! Wäre sie je in Noth, und diese käme zu deiner Kenntniß — dann brauche ich wohl nicht erst eine Bitte auszusprechen — dein eigenes Herz — wird — o Gott — ich kann nicht mehr — meine Brust — zerspringt! —
Freund! Bruder! Leonardus! rief Ludwig mit Heftigkeit, und umschlang den Leidenden, der ihm das versiegelte Schriftenpaket in die Hand drückte. Sprich, was kann ich für dich thun?
Mir nicht die Scheidestunde durch Jammer erschweren, seufzte der sterbende Leonardus. Habe Dank für deine Liebe, mit der dein jüngeres Herz sich an das meine anschloß! Es war ein schöner, nur zu kurzer Lebenstraum — wir hätten wohl länger mit einander gehen sollen — das Schicksal — o Gott!
Stirb nicht, Leonardus! Stirb nicht! rief Ludwig außer sich. Ich sah noch Niemanden sterben und soll jetzt meinen liebsten Freund — meinen Bruder dahin gehen sehen?
Windt, der Arzt und Philipp stürzten in das Zimmer — Hülfe ward versucht, der Arzt fühlte den Puls, dieser stockte schon. Durch einen Wink bedeutete er der Umgebung, daß hier seine Hülfe zu spät sei. Schon umflorte der Tod die brechenden Augen — Leonardus tastete nach der Hand des Freundes und lallte mit gedämpfter Stimme: Ludwig — dunkel — Gute Nacht!
Es trat Blut auf die Lippen des Sterbenden.
O Angés!
Dies war sein letzter Hauch.
Nie zuvor trat ein größerer Schmerz in Ludwig’s Leben. Er stand stumm, vernichtet, fand nicht einmal Thränen. Der Arzt ging hinweg, Philipp weinte.
Windt’s klarer Verstand zeigte sich auch bei diesem Falle thatkräftig, entschieden handelnd.
Auf dem Schriftenpaket stand unter der Aufschrift: an Graf Ludwig, die Weisung: „Sogleich nach meinem Tode zu eröffnen!“
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