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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Habe nicht -- will nicht -- werde nicht! War mir als stächen mich Nattern! Fragen Sie nicht, heben sie die Briefe auf, lesen Sie die Aufschriften und sehen Sie die Siegel an! An dieser Signatur wird der ganze Mann erkannt!

Windt's Schwester gehorchte, hob die Briefe auf, las, und erschrak.

A la Citoyenne Varel am Jungfernsteig a Hambourg, franco Amsterdam.

An die Bürgerin Varel! schrie die Reichsgräfin außer sich. Kann man Verrückteres, Unanständigeres erleben, hat man es je erlebt? Und die Rückseite! Da steht: Per Adresse Meveroow Adrianus Valck! Van der Valck muß es heißen! Wer in aller Welt hat ein Recht, den Leuten ihre uralten ererbten Namen zu nehmen? Welche Narren können sich das unterfangen? Können's nicht, und wenn sie zehntausendmal wollten. Und das Siegel! Sehen Sie nur das Siegel an. Der Namenszug innerhalb eines Kränzchens, und darüber emporragend eine Jacobinermütze oder Narrenkappe, und die Umschrift? Lesen Sie!

"Je suis libre!" las die zitternde Kammerfrau.

Je suis libre! fuhr die Reichsgräfin in ihrem Zorneifer fort. In die Livree will ich ihn wieder stecken, die er früher trug, meinen Bedienten! Ich will ihm sein "je suis libre" anstreichen, ich, sage ich! Oeffnen Sie, lesen Sie mir vor, aber zuerst rühren Sie mir einen Theelöffel voll Cremor Tartari in Zuckerwasser an. Bürgerin Varel! Bürgerin Varel! Nein, es ist um den Schlag zu kriegen!

Die Dienerin that, wie ihr geheißen war, erbrach zitternd ihres Bruders Brief, und theilte nach dem Datum deren Inhalt mit. Der erste Brief wurde mit sehr wechselnden Gefühlen angehört, und häufig glossirt. Gleich im Eingang, der von der französischen Besatzung sprach, rief die alte Dame: Da haben wir den Franzosenfreund, nun wieder gar der Lobredner dieser Republikaner! Und wie er auf die armen unglücklichen Emigranten erbittert ist! Wie er sich nicht entblödet, selbst auf meine hohen Verwandten zu schmähen! Er will auch ein Bürger sein, auch ein Citoyen -- wie ich eine Bürgerin sein soll! Das macht mich lachen, liebe Windt! Vielleicht will er auch mit mir theilen? Ich soll nicht mit meinem angeborenen und

Habe nicht — will nicht — werde nicht! War mir als stächen mich Nattern! Fragen Sie nicht, heben sie die Briefe auf, lesen Sie die Aufschriften und sehen Sie die Siegel an! An dieser Signatur wird der ganze Mann erkannt!

Windt’s Schwester gehorchte, hob die Briefe auf, las, und erschrak.

A la Citoyenne Varel am Jungfernsteig à Hambourg, franco Amsterdam.

An die Bürgerin Varel! schrie die Reichsgräfin außer sich. Kann man Verrückteres, Unanständigeres erleben, hat man es je erlebt? Und die Rückseite! Da steht: Per Adresse Meveroow Adrianus Valck! Van der Valck muß es heißen! Wer in aller Welt hat ein Recht, den Leuten ihre uralten ererbten Namen zu nehmen? Welche Narren können sich das unterfangen? Können’s nicht, und wenn sie zehntausendmal wollten. Und das Siegel! Sehen Sie nur das Siegel an. Der Namenszug innerhalb eines Kränzchens, und darüber emporragend eine Jacobinermütze oder Narrenkappe, und die Umschrift? Lesen Sie!

„Je suis libre!“ las die zitternde Kammerfrau.

Je suis libre! fuhr die Reichsgräfin in ihrem Zorneifer fort. In die Livrée will ich ihn wieder stecken, die er früher trug, meinen Bedienten! Ich will ihm sein „je suis libre“ anstreichen, ich, sage ich! Oeffnen Sie, lesen Sie mir vor, aber zuerst rühren Sie mir einen Theelöffel voll Cremor Tartari in Zuckerwasser an. Bürgerin Varel! Bürgerin Varel! Nein, es ist um den Schlag zu kriegen!

Die Dienerin that, wie ihr geheißen war, erbrach zitternd ihres Bruders Brief, und theilte nach dem Datum deren Inhalt mit. Der erste Brief wurde mit sehr wechselnden Gefühlen angehört, und häufig glossirt. Gleich im Eingang, der von der französischen Besatzung sprach, rief die alte Dame: Da haben wir den Franzosenfreund, nun wieder gar der Lobredner dieser Republikaner! Und wie er auf die armen unglücklichen Emigranten erbittert ist! Wie er sich nicht entblödet, selbst auf meine hohen Verwandten zu schmähen! Er will auch ein Bürger sein, auch ein Citoyen — wie ich eine Bürgerin sein soll! Das macht mich lachen, liebe Windt! Vielleicht will er auch mit mir theilen? Ich soll nicht mit meinem angeborenen und

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[296/0300] Habe nicht — will nicht — werde nicht! War mir als stächen mich Nattern! Fragen Sie nicht, heben sie die Briefe auf, lesen Sie die Aufschriften und sehen Sie die Siegel an! An dieser Signatur wird der ganze Mann erkannt! Windt’s Schwester gehorchte, hob die Briefe auf, las, und erschrak. A la Citoyenne Varel am Jungfernsteig à Hambourg, franco Amsterdam. An die Bürgerin Varel! schrie die Reichsgräfin außer sich. Kann man Verrückteres, Unanständigeres erleben, hat man es je erlebt? Und die Rückseite! Da steht: Per Adresse Meveroow Adrianus Valck! Van der Valck muß es heißen! Wer in aller Welt hat ein Recht, den Leuten ihre uralten ererbten Namen zu nehmen? Welche Narren können sich das unterfangen? Können’s nicht, und wenn sie zehntausendmal wollten. Und das Siegel! Sehen Sie nur das Siegel an. Der Namenszug innerhalb eines Kränzchens, und darüber emporragend eine Jacobinermütze oder Narrenkappe, und die Umschrift? Lesen Sie! „Je suis libre!“ las die zitternde Kammerfrau. Je suis libre! fuhr die Reichsgräfin in ihrem Zorneifer fort. In die Livrée will ich ihn wieder stecken, die er früher trug, meinen Bedienten! Ich will ihm sein „je suis libre“ anstreichen, ich, sage ich! Oeffnen Sie, lesen Sie mir vor, aber zuerst rühren Sie mir einen Theelöffel voll Cremor Tartari in Zuckerwasser an. Bürgerin Varel! Bürgerin Varel! Nein, es ist um den Schlag zu kriegen! Die Dienerin that, wie ihr geheißen war, erbrach zitternd ihres Bruders Brief, und theilte nach dem Datum deren Inhalt mit. Der erste Brief wurde mit sehr wechselnden Gefühlen angehört, und häufig glossirt. Gleich im Eingang, der von der französischen Besatzung sprach, rief die alte Dame: Da haben wir den Franzosenfreund, nun wieder gar der Lobredner dieser Republikaner! Und wie er auf die armen unglücklichen Emigranten erbittert ist! Wie er sich nicht entblödet, selbst auf meine hohen Verwandten zu schmähen! Er will auch ein Bürger sein, auch ein Citoyen — wie ich eine Bürgerin sein soll! Das macht mich lachen, liebe Windt! Vielleicht will er auch mit mir theilen? Ich soll nicht mit meinem angeborenen und

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/300>, abgerufen am 24.11.2024.