Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Rathe gezogenen Aerzte beipflichteten. An eine Weiterreise nach Deutschland war für den Kranken jetzt nicht zu denken.

Frau Windt hatte mit größter Sehnsucht auf die Rückkehr ihres Mannes gehofft. Es lag wieder eine halbe Brigade Franzosen in der Herrschaft, ein Theil jener 25,000 Mann, die vertragsmäßig im Lande blieben. Die Soldaten der holländischen Armee desertirten compagnien-, ja regimenterweise, der ganze Busch nach Norden hin, der sich bis in die Nähe von Horderwyk und Elburg zum Strande der Zuider-See hinabzog, steckte voll Flüchtlinge und Ausreißer, es mußte Reiterei gesandt werden, um sie einzufangen, und für Windt ging alle alte Plage von Neuem wieder an.



10. Der Abschied.


Die alte Reichsgräfin in ihrem Palast am Jungfernsteig zu Hamburg war außer sich vor Zorn, der sich wie ein schweres Gewitter auf ihre unschuldige Kammerfrau, die betagte Schwester Windt's, entlud. Die Gräfin hatte zwei Briefe zugleich erhalten, jener vor der Abreise nach dem Haag geschriebene war wegen mangelhaften Ganges der Postschiffahrt lange in Amsterdam liegen geblieben; aber weder diesen, noch den anderen hatte sie geöffnet, sondern beide mit Heftigkeit auf den Fußboden geworfen.

Toll geworden muß Ihr Bruder sein, liebe Windt, sage ich, völlig toll! brach der Zorn der alten Herrin endlich aus. Sie wissen, was ich mir Alles von ihm gefallen lasse, manche Ungeschliffenheit, die sich kein anderer Diener gegen seine Gebieterin erlauben würde; er ist ein alter Mann, ist treu wie Gold, das steht für sich, ist abgemacht, aber so muß er mir nicht kommen, mir nicht, der Reichsgräfin, der Verwandtin von Kaisern!

Aber um Gottes Willen, Excellenz! Was ist es denn? Was hat denn mein unglücklicher Bruder verbrochen? Excellenz haben ja die Briefe noch gar nicht gelesen! rief Windt's Schwester unter Thränen.

zu Rathe gezogenen Aerzte beipflichteten. An eine Weiterreise nach Deutschland war für den Kranken jetzt nicht zu denken.

Frau Windt hatte mit größter Sehnsucht auf die Rückkehr ihres Mannes gehofft. Es lag wieder eine halbe Brigade Franzosen in der Herrschaft, ein Theil jener 25,000 Mann, die vertragsmäßig im Lande blieben. Die Soldaten der holländischen Armee desertirten compagnien-, ja regimenterweise, der ganze Busch nach Norden hin, der sich bis in die Nähe von Horderwyk und Elburg zum Strande der Zuider-See hinabzog, steckte voll Flüchtlinge und Ausreißer, es mußte Reiterei gesandt werden, um sie einzufangen, und für Windt ging alle alte Plage von Neuem wieder an.



10. Der Abschied.


Die alte Reichsgräfin in ihrem Palast am Jungfernsteig zu Hamburg war außer sich vor Zorn, der sich wie ein schweres Gewitter auf ihre unschuldige Kammerfrau, die betagte Schwester Windt’s, entlud. Die Gräfin hatte zwei Briefe zugleich erhalten, jener vor der Abreise nach dem Haag geschriebene war wegen mangelhaften Ganges der Postschiffahrt lange in Amsterdam liegen geblieben; aber weder diesen, noch den anderen hatte sie geöffnet, sondern beide mit Heftigkeit auf den Fußboden geworfen.

Toll geworden muß Ihr Bruder sein, liebe Windt, sage ich, völlig toll! brach der Zorn der alten Herrin endlich aus. Sie wissen, was ich mir Alles von ihm gefallen lasse, manche Ungeschliffenheit, die sich kein anderer Diener gegen seine Gebieterin erlauben würde; er ist ein alter Mann, ist treu wie Gold, das steht für sich, ist abgemacht, aber so muß er mir nicht kommen, mir nicht, der Reichsgräfin, der Verwandtin von Kaisern!

Aber um Gottes Willen, Excellenz! Was ist es denn? Was hat denn mein unglücklicher Bruder verbrochen? Excellenz haben ja die Briefe noch gar nicht gelesen! rief Windt’s Schwester unter Thränen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0299" n="295"/>
zu Rathe gezogenen Aerzte beipflichteten. An eine Weiterreise nach Deutschland war für den Kranken jetzt nicht zu denken.</p>
          <p>Frau Windt hatte mit größter Sehnsucht auf die Rückkehr ihres Mannes gehofft. Es lag wieder eine halbe Brigade Franzosen in der Herrschaft, ein Theil jener 25,000 Mann, die vertragsmäßig im Lande blieben. Die Soldaten der holländischen Armee desertirten compagnien-, ja regimenterweise, der ganze Busch nach Norden hin, der sich bis in die Nähe von Horderwyk und Elburg zum Strande der Zuider-See hinabzog, steckte voll Flüchtlinge und Ausreißer, es mußte Reiterei gesandt werden, um sie einzufangen, und für Windt ging alle alte Plage von Neuem wieder an.</p>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>10. Der Abschied.<lb/></head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die alte Reichsgräfin in ihrem Palast am Jungfernsteig zu Hamburg war außer sich vor Zorn, der sich wie ein schweres Gewitter auf ihre unschuldige Kammerfrau, die betagte Schwester Windt&#x2019;s, entlud. Die Gräfin hatte zwei Briefe zugleich erhalten, jener vor der Abreise nach dem Haag geschriebene war wegen mangelhaften Ganges der Postschiffahrt lange in Amsterdam liegen geblieben; aber weder diesen, noch den anderen hatte sie geöffnet, sondern beide mit Heftigkeit auf den Fußboden geworfen.</p>
          <p>Toll geworden muß Ihr Bruder sein, liebe Windt, sage ich, völlig toll! brach der Zorn der alten Herrin endlich aus. Sie wissen, was ich mir Alles von ihm gefallen lasse, manche Ungeschliffenheit, die sich kein anderer Diener gegen seine Gebieterin erlauben würde; er ist ein alter Mann, ist treu wie Gold, das steht für sich, ist abgemacht, aber so muß er mir nicht kommen, mir nicht, der Reichsgräfin, der Verwandtin von Kaisern!</p>
          <p>Aber um Gottes Willen, Excellenz! Was ist es denn? Was hat denn mein unglücklicher Bruder verbrochen? Excellenz haben ja die Briefe noch gar nicht gelesen! rief Windt&#x2019;s Schwester unter Thränen.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0299] zu Rathe gezogenen Aerzte beipflichteten. An eine Weiterreise nach Deutschland war für den Kranken jetzt nicht zu denken. Frau Windt hatte mit größter Sehnsucht auf die Rückkehr ihres Mannes gehofft. Es lag wieder eine halbe Brigade Franzosen in der Herrschaft, ein Theil jener 25,000 Mann, die vertragsmäßig im Lande blieben. Die Soldaten der holländischen Armee desertirten compagnien-, ja regimenterweise, der ganze Busch nach Norden hin, der sich bis in die Nähe von Horderwyk und Elburg zum Strande der Zuider-See hinabzog, steckte voll Flüchtlinge und Ausreißer, es mußte Reiterei gesandt werden, um sie einzufangen, und für Windt ging alle alte Plage von Neuem wieder an. 10. Der Abschied. Die alte Reichsgräfin in ihrem Palast am Jungfernsteig zu Hamburg war außer sich vor Zorn, der sich wie ein schweres Gewitter auf ihre unschuldige Kammerfrau, die betagte Schwester Windt’s, entlud. Die Gräfin hatte zwei Briefe zugleich erhalten, jener vor der Abreise nach dem Haag geschriebene war wegen mangelhaften Ganges der Postschiffahrt lange in Amsterdam liegen geblieben; aber weder diesen, noch den anderen hatte sie geöffnet, sondern beide mit Heftigkeit auf den Fußboden geworfen. Toll geworden muß Ihr Bruder sein, liebe Windt, sage ich, völlig toll! brach der Zorn der alten Herrin endlich aus. Sie wissen, was ich mir Alles von ihm gefallen lasse, manche Ungeschliffenheit, die sich kein anderer Diener gegen seine Gebieterin erlauben würde; er ist ein alter Mann, ist treu wie Gold, das steht für sich, ist abgemacht, aber so muß er mir nicht kommen, mir nicht, der Reichsgräfin, der Verwandtin von Kaisern! Aber um Gottes Willen, Excellenz! Was ist es denn? Was hat denn mein unglücklicher Bruder verbrochen? Excellenz haben ja die Briefe noch gar nicht gelesen! rief Windt’s Schwester unter Thränen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/299
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/299>, abgerufen am 24.11.2024.