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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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fremden Welt unter Landleuten, deren allemannischen Dialekt ich so schwer verstand, wie sie meine holländisch-deutschen Ausdrücke.

Endlich zog ich von dannen, mit welchen Gefühlen -- könnt ihr euch denken; doch nein, ihr könnt es nicht denken, denn das erlebte Keiner. So niedergedrückt an Körper und Seele zugleich, so freudenarm, so hoffnungsleer, so erstorben der Welt und gleichgültig gegen Alles! Ich mußte langsam reisen, und litt unendlich, ich erfuhr manche rohe und unfreundliche Begegnung -- ertrug aber Alles mit einem Gleichmuth, den ich nicht stoisch nennen will, weil er nicht aus meinem festen Willen hervorging, sondern aus völliger Lähmung meines geistigen Seins. Ich wurde auch einmal angefallen und beraubt, ich weiß nicht mehr, wo es war, und wie viel es war, was man mir nahm, es galt mir gleich, denn was konnte ich nun noch verlieren, da ich Anges verloren hatte?

Eine düstere Wolke von Schwermuth lagerte sich über Leonardus' Züge, und die Freunde gewahrten mit Schmerz, wie zerstörend die Heftigkeit seiner Liebe auf ihn einwirkte. Sie vereinten ihre Bitten, daß er ihnen nach Deutschland, vor Allem nach Pyrmont oder Stadthagen folgen möge, wo heilende und stärkende Quellen ihn körperlich wieder kräftigen und die gesunkene Springkraft seines Geistes neu beleben würden.

Leonardus sagte nicht ab und nicht zu; er wollte, da die Rückreise doch wieder über Amsterdam genommen werden mußte, und Windt auch, bevor er eine Reise nach Deutschland antrat, noch einmal nach Doorwerth zurück wollte, in Amsterdam alle seine Geschäftsangelegenheiten völlig ordnen, von seiner Mutter den letzten Segen erbitten, und dann in Gottes Namen den Freunden folgen. --

Nachdem Windt im Haag Auftrag gegeben, ihm stets auf das Schleunigste vom Ergehen und Befinden des Erbherrn Nachricht zu ertheilen, traten die Freunde die Rückreise an, rasteten in Amsterdam und hatten dort die Freude, den treuen Richard Fluit noch einmal zu finden und einen Abend mit ihm heiter zu verbringen.

Die Rückreise nach Doorwerth von Amsterdam aus über Utrecht war keine erfreuliche; Leonardus litt schrecklich an erneuerten Brustschmerzen, er sagte jetzt sich selbst, er hätte sich länger pflegen und an Reisen noch nicht denken sollen, eine Ansicht, der auch die unterwegs

fremden Welt unter Landleuten, deren allemannischen Dialekt ich so schwer verstand, wie sie meine holländisch-deutschen Ausdrücke.

Endlich zog ich von dannen, mit welchen Gefühlen — könnt ihr euch denken; doch nein, ihr könnt es nicht denken, denn das erlebte Keiner. So niedergedrückt an Körper und Seele zugleich, so freudenarm, so hoffnungsleer, so erstorben der Welt und gleichgültig gegen Alles! Ich mußte langsam reisen, und litt unendlich, ich erfuhr manche rohe und unfreundliche Begegnung — ertrug aber Alles mit einem Gleichmuth, den ich nicht stoisch nennen will, weil er nicht aus meinem festen Willen hervorging, sondern aus völliger Lähmung meines geistigen Seins. Ich wurde auch einmal angefallen und beraubt, ich weiß nicht mehr, wo es war, und wie viel es war, was man mir nahm, es galt mir gleich, denn was konnte ich nun noch verlieren, da ich Angés verloren hatte?

Eine düstere Wolke von Schwermuth lagerte sich über Leonardus’ Züge, und die Freunde gewahrten mit Schmerz, wie zerstörend die Heftigkeit seiner Liebe auf ihn einwirkte. Sie vereinten ihre Bitten, daß er ihnen nach Deutschland, vor Allem nach Pyrmont oder Stadthagen folgen möge, wo heilende und stärkende Quellen ihn körperlich wieder kräftigen und die gesunkene Springkraft seines Geistes neu beleben würden.

Leonardus sagte nicht ab und nicht zu; er wollte, da die Rückreise doch wieder über Amsterdam genommen werden mußte, und Windt auch, bevor er eine Reise nach Deutschland antrat, noch einmal nach Doorwerth zurück wollte, in Amsterdam alle seine Geschäftsangelegenheiten völlig ordnen, von seiner Mutter den letzten Segen erbitten, und dann in Gottes Namen den Freunden folgen. —

Nachdem Windt im Haag Auftrag gegeben, ihm stets auf das Schleunigste vom Ergehen und Befinden des Erbherrn Nachricht zu ertheilen, traten die Freunde die Rückreise an, rasteten in Amsterdam und hatten dort die Freude, den treuen Richard Fluit noch einmal zu finden und einen Abend mit ihm heiter zu verbringen.

Die Rückreise nach Doorwerth von Amsterdam aus über Utrecht war keine erfreuliche; Leonardus litt schrecklich an erneuerten Brustschmerzen, er sagte jetzt sich selbst, er hätte sich länger pflegen und an Reisen noch nicht denken sollen, eine Ansicht, der auch die unterwegs

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[294/0298] fremden Welt unter Landleuten, deren allemannischen Dialekt ich so schwer verstand, wie sie meine holländisch-deutschen Ausdrücke. Endlich zog ich von dannen, mit welchen Gefühlen — könnt ihr euch denken; doch nein, ihr könnt es nicht denken, denn das erlebte Keiner. So niedergedrückt an Körper und Seele zugleich, so freudenarm, so hoffnungsleer, so erstorben der Welt und gleichgültig gegen Alles! Ich mußte langsam reisen, und litt unendlich, ich erfuhr manche rohe und unfreundliche Begegnung — ertrug aber Alles mit einem Gleichmuth, den ich nicht stoisch nennen will, weil er nicht aus meinem festen Willen hervorging, sondern aus völliger Lähmung meines geistigen Seins. Ich wurde auch einmal angefallen und beraubt, ich weiß nicht mehr, wo es war, und wie viel es war, was man mir nahm, es galt mir gleich, denn was konnte ich nun noch verlieren, da ich Angés verloren hatte? Eine düstere Wolke von Schwermuth lagerte sich über Leonardus’ Züge, und die Freunde gewahrten mit Schmerz, wie zerstörend die Heftigkeit seiner Liebe auf ihn einwirkte. Sie vereinten ihre Bitten, daß er ihnen nach Deutschland, vor Allem nach Pyrmont oder Stadthagen folgen möge, wo heilende und stärkende Quellen ihn körperlich wieder kräftigen und die gesunkene Springkraft seines Geistes neu beleben würden. Leonardus sagte nicht ab und nicht zu; er wollte, da die Rückreise doch wieder über Amsterdam genommen werden mußte, und Windt auch, bevor er eine Reise nach Deutschland antrat, noch einmal nach Doorwerth zurück wollte, in Amsterdam alle seine Geschäftsangelegenheiten völlig ordnen, von seiner Mutter den letzten Segen erbitten, und dann in Gottes Namen den Freunden folgen. — Nachdem Windt im Haag Auftrag gegeben, ihm stets auf das Schleunigste vom Ergehen und Befinden des Erbherrn Nachricht zu ertheilen, traten die Freunde die Rückreise an, rasteten in Amsterdam und hatten dort die Freude, den treuen Richard Fluit noch einmal zu finden und einen Abend mit ihm heiter zu verbringen. Die Rückreise nach Doorwerth von Amsterdam aus über Utrecht war keine erfreuliche; Leonardus litt schrecklich an erneuerten Brustschmerzen, er sagte jetzt sich selbst, er hätte sich länger pflegen und an Reisen noch nicht denken sollen, eine Ansicht, der auch die unterwegs

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/298>, abgerufen am 24.11.2024.