Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.was frommte es mir, und wie lange hatte ich noch zu lebend? Doch war ihre milde, freundliche Nähe mir unaussprechlich wohlthuend. Oft seufzte sie: Ach, daß wir in Doorwerth geblieben wären! Hier ist unser Friede gestört, ich muß fortan nur in Furcht und Zittern leben, darf ja keinen Ausgang wagen, sehe fort und fort den Stahl des Mordes und der Rache gegen meine Brust gezückt! Und nicht um mich allein ist mir bange! Das galt nicht allein mir, das war eine Doppelverfolgung, die ein guter Engel, wenn nicht die allwaltende göttliche Vorsehung selbst, von dem Gegenstand dem sie eigentlich galt, ab und gegen mich lenkte! Ich meine von dem Kinde ab und auf mich, und auch auf dich, mein Leonardus. Mein Schmerzenslager überstreute die reine, keusche und erhabene Liebe dieses engelgleichen Weibes mit Rosen. Mir wurde klar, wie die Heiligen in den schönen, andacht- und poesiedurchglühten Legenden meiner Kirche ihre Dornenlager nicht fühlten, wie die Feuergluten sie kühlten, statt sie zu versengen, wie die Qual der Martern ihnen nicht die Jammerlaute des Schmerzes über ihr blutiges Märterthum entlockte, sondern Psalmen und lobpreisende Hymnen. Die allen Schmerz verklärende Liebe war es, die mich also emporhob und beseligte. Ach, wie arm und nichtig sind die kurzen flüchtigen Wonnen eines Sinnenrausches gegen das Ineinanderströmen reiner Flammen! Ich empfing mein Theil am irdischen Glück, verlange nicht mehr, und beklage nur, daß ich nicht hinüberging in jenen Entzückungen; daß ich immer noch meinen wunden und schmerzgequälten Leib durch das Leben tragen muß. Jene unvergeßlichen Stunden kehren nie zurück -- können nicht wiederkehren; ich darf und werde Anges niemals wiedersehen. Die Freunde hörten staunend und schweigend, ja in stiller Bewunderung und voll innigster Theilnahme Leonardus' Erzählung an. Endlich, nach langem Schweigen, denn eines jeden Herz war erschüttert, fragte Ludwig den Freund: Und du verließest Anges? Nein, erwiederte Leonardus: ich wurde verlassen. Meine Genesung, durch die sorgfältigste ärztliche Behandlung und die aufmerksamste Pflege befördert, war endlich so weit vorgeschritten, daß ich ohne Gefahr das Lager und das Zimmer verlassen und den ersten Ausgang wagen konnte. Heilende im jungen Frühling hervorgesproßte Kräuter, theils den was frommte es mir, und wie lange hatte ich noch zu lebend? Doch war ihre milde, freundliche Nähe mir unaussprechlich wohlthuend. Oft seufzte sie: Ach, daß wir in Doorwerth geblieben wären! Hier ist unser Friede gestört, ich muß fortan nur in Furcht und Zittern leben, darf ja keinen Ausgang wagen, sehe fort und fort den Stahl des Mordes und der Rache gegen meine Brust gezückt! Und nicht um mich allein ist mir bange! Das galt nicht allein mir, das war eine Doppelverfolgung, die ein guter Engel, wenn nicht die allwaltende göttliche Vorsehung selbst, von dem Gegenstand dem sie eigentlich galt, ab und gegen mich lenkte! Ich meine von dem Kinde ab und auf mich, und auch auf dich, mein Leonardus. Mein Schmerzenslager überstreute die reine, keusche und erhabene Liebe dieses engelgleichen Weibes mit Rosen. Mir wurde klar, wie die Heiligen in den schönen, andacht- und poesiedurchglühten Legenden meiner Kirche ihre Dornenlager nicht fühlten, wie die Feuergluten sie kühlten, statt sie zu versengen, wie die Qual der Martern ihnen nicht die Jammerlaute des Schmerzes über ihr blutiges Märterthum entlockte, sondern Psalmen und lobpreisende Hymnen. Die allen Schmerz verklärende Liebe war es, die mich also emporhob und beseligte. Ach, wie arm und nichtig sind die kurzen flüchtigen Wonnen eines Sinnenrausches gegen das Ineinanderströmen reiner Flammen! Ich empfing mein Theil am irdischen Glück, verlange nicht mehr, und beklage nur, daß ich nicht hinüberging in jenen Entzückungen; daß ich immer noch meinen wunden und schmerzgequälten Leib durch das Leben tragen muß. Jene unvergeßlichen Stunden kehren nie zurück — können nicht wiederkehren; ich darf und werde Angés niemals wiedersehen. Die Freunde hörten staunend und schweigend, ja in stiller Bewunderung und voll innigster Theilnahme Leonardus’ Erzählung an. Endlich, nach langem Schweigen, denn eines jeden Herz war erschüttert, fragte Ludwig den Freund: Und du verließest Angés? Nein, erwiederte Leonardus: ich wurde verlassen. Meine Genesung, durch die sorgfältigste ärztliche Behandlung und die aufmerksamste Pflege befördert, war endlich so weit vorgeschritten, daß ich ohne Gefahr das Lager und das Zimmer verlassen und den ersten Ausgang wagen konnte. Heilende im jungen Frühling hervorgesproßte Kräuter, theils den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0296" n="292"/> was frommte es mir, und wie lange hatte ich noch zu lebend? Doch war ihre milde, freundliche Nähe mir unaussprechlich wohlthuend. Oft seufzte sie: Ach, daß wir in Doorwerth geblieben wären! Hier ist unser Friede gestört, ich muß fortan nur in Furcht und Zittern leben, darf ja keinen Ausgang wagen, sehe fort und fort den Stahl des Mordes und der Rache gegen meine Brust gezückt! Und nicht um mich allein ist mir bange! Das galt nicht allein mir, das war eine Doppelverfolgung, die ein guter Engel, wenn nicht die allwaltende göttliche Vorsehung selbst, von dem Gegenstand dem sie eigentlich galt, ab und gegen mich lenkte! Ich meine von dem Kinde ab und auf mich, und auch auf dich, mein Leonardus.</p> <p>Mein Schmerzenslager überstreute die reine, keusche und erhabene Liebe dieses engelgleichen Weibes mit Rosen. Mir wurde klar, wie die Heiligen in den schönen, andacht- und poesiedurchglühten Legenden meiner Kirche ihre Dornenlager nicht fühlten, wie die Feuergluten sie kühlten, statt sie zu versengen, wie die Qual der Martern ihnen nicht die Jammerlaute des Schmerzes über ihr blutiges Märterthum entlockte, sondern Psalmen und lobpreisende Hymnen. Die allen Schmerz verklärende Liebe war es, die mich also emporhob und beseligte. Ach, wie arm und nichtig sind die kurzen flüchtigen Wonnen eines Sinnenrausches gegen das Ineinanderströmen reiner Flammen! Ich empfing mein Theil am irdischen Glück, verlange nicht mehr, und beklage nur, daß ich nicht hinüberging in jenen Entzückungen; daß ich immer noch meinen wunden und schmerzgequälten Leib durch das Leben tragen muß. Jene unvergeßlichen Stunden kehren nie zurück — können nicht wiederkehren; ich darf und werde Angés niemals wiedersehen.</p> <p>Die Freunde hörten staunend und schweigend, ja in stiller Bewunderung und voll innigster Theilnahme Leonardus’ Erzählung an. Endlich, nach langem Schweigen, denn eines jeden Herz war erschüttert, fragte Ludwig den Freund: Und du verließest Angés?</p> <p>Nein, erwiederte Leonardus: ich wurde verlassen. Meine Genesung, durch die sorgfältigste ärztliche Behandlung und die aufmerksamste Pflege befördert, war endlich so weit vorgeschritten, daß ich ohne Gefahr das Lager und das Zimmer verlassen und den ersten Ausgang wagen konnte. Heilende im jungen Frühling hervorgesproßte Kräuter, theils den </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [292/0296]
was frommte es mir, und wie lange hatte ich noch zu lebend? Doch war ihre milde, freundliche Nähe mir unaussprechlich wohlthuend. Oft seufzte sie: Ach, daß wir in Doorwerth geblieben wären! Hier ist unser Friede gestört, ich muß fortan nur in Furcht und Zittern leben, darf ja keinen Ausgang wagen, sehe fort und fort den Stahl des Mordes und der Rache gegen meine Brust gezückt! Und nicht um mich allein ist mir bange! Das galt nicht allein mir, das war eine Doppelverfolgung, die ein guter Engel, wenn nicht die allwaltende göttliche Vorsehung selbst, von dem Gegenstand dem sie eigentlich galt, ab und gegen mich lenkte! Ich meine von dem Kinde ab und auf mich, und auch auf dich, mein Leonardus.
Mein Schmerzenslager überstreute die reine, keusche und erhabene Liebe dieses engelgleichen Weibes mit Rosen. Mir wurde klar, wie die Heiligen in den schönen, andacht- und poesiedurchglühten Legenden meiner Kirche ihre Dornenlager nicht fühlten, wie die Feuergluten sie kühlten, statt sie zu versengen, wie die Qual der Martern ihnen nicht die Jammerlaute des Schmerzes über ihr blutiges Märterthum entlockte, sondern Psalmen und lobpreisende Hymnen. Die allen Schmerz verklärende Liebe war es, die mich also emporhob und beseligte. Ach, wie arm und nichtig sind die kurzen flüchtigen Wonnen eines Sinnenrausches gegen das Ineinanderströmen reiner Flammen! Ich empfing mein Theil am irdischen Glück, verlange nicht mehr, und beklage nur, daß ich nicht hinüberging in jenen Entzückungen; daß ich immer noch meinen wunden und schmerzgequälten Leib durch das Leben tragen muß. Jene unvergeßlichen Stunden kehren nie zurück — können nicht wiederkehren; ich darf und werde Angés niemals wiedersehen.
Die Freunde hörten staunend und schweigend, ja in stiller Bewunderung und voll innigster Theilnahme Leonardus’ Erzählung an. Endlich, nach langem Schweigen, denn eines jeden Herz war erschüttert, fragte Ludwig den Freund: Und du verließest Angés?
Nein, erwiederte Leonardus: ich wurde verlassen. Meine Genesung, durch die sorgfältigste ärztliche Behandlung und die aufmerksamste Pflege befördert, war endlich so weit vorgeschritten, daß ich ohne Gefahr das Lager und das Zimmer verlassen und den ersten Ausgang wagen konnte. Heilende im jungen Frühling hervorgesproßte Kräuter, theils den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |