Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.an die man sich zu klammern versuchte. Daß bei dem furchtbaren Mangel an baarem Gelde und Lebensmitteln die Abgeordneten des National-Convents ihre Diäten auf 36 Livres erhöhten und dadurch die geld- und besitzlose Menge gegen sich aufbrachten, wurde voreilig genug als ein gutes Zeichen baldigen Umschlags gedeutet. Die alte Reichsgräfin ließ jetzt auf goldenem Teller ein Kästchen herbeitragen, welches von dem reinsten durchsichtigen Bernstein gefertigt und mit Purpursammt ausgefüttert war, und als sie es öffnete, erblickten die um sie Versammelten eine Anzahl einzelner, mit einem schwarzen schmalen Seidenbändchen gebundener greiser Locken. Sehen Sie hier, meine allerhöchsten und allergnädigsten Gäste, sprach die Matrone mit Ernst und Würde: eine geweihte Reliquie, über welche freilich nicht der Papst seinen Segen gesprochen hat. Sie ist geweiht mit dem Blute des gesalbten Hauptes, das diese Locken trug, diese Locken, die einst blond waren, und die der Kerker in kurzer Frist weiß färbte. Eine treue Hand setzte sich in den Besitz dieses Haares und übergab es der meinen, und die meinige soll nicht weniger treu befunden werden. Sie alle, meine hochverehrtesten Verwandte und Freunde, deren gemeinsame Abstammung aus dem uralten Königshause Capet Sie dem Hause Bourbon verbindet, sollen von mir, wie von ihr, der Unvergeßlichen, eine dieser Locken zum Andenken empfangen; es ist das Haar Ihrer unglücklichen Königin, es ist das Haar Marie Antoinettens von Frankreich! Jede einzelne Locke lag in einem großen goldenen Medaillon zwischen zwei feingeschliffenen ovalen Platten von Bergkrystall hermetisch verschlossen, und in das Gold am untern Rande war auf der einen Seite die Chiffre MA und darunter die verhängnißvolle Jahrzahl, auf der andern aber der einfache Namenszug der Geberin, wie sie gewöhnlich zu unterzeichnen pflegte, und die Jahrzahl 1795 eingegraben. Prinz Talmont stand bei der Reichsgräfin und bei Georgine, und sprach ernst über die ernste Zeit. Georgine, welcher im hohen Grade die Schattenseite der Emigranten aufgefallen war, die bei dem Prinzen Talmont wenig, und noch am Wenigsten bei dem jüngeren Prinzen Conde hervortrat, bekämpfte die eitle Selbsttäuschung, welcher die Emigranten sich hingaben, indem sie sagte: Ich muß Ihnen eine Stelle unseres Thomson mittheilen, mein Prinz, nicht um Ihr Gefühl an die man sich zu klammern versuchte. Daß bei dem furchtbaren Mangel an baarem Gelde und Lebensmitteln die Abgeordneten des National-Convents ihre Diäten auf 36 Livres erhöhten und dadurch die geld- und besitzlose Menge gegen sich aufbrachten, wurde voreilig genug als ein gutes Zeichen baldigen Umschlags gedeutet. Die alte Reichsgräfin ließ jetzt auf goldenem Teller ein Kästchen herbeitragen, welches von dem reinsten durchsichtigen Bernstein gefertigt und mit Purpursammt ausgefüttert war, und als sie es öffnete, erblickten die um sie Versammelten eine Anzahl einzelner, mit einem schwarzen schmalen Seidenbändchen gebundener greiser Locken. Sehen Sie hier, meine allerhöchsten und allergnädigsten Gäste, sprach die Matrone mit Ernst und Würde: eine geweihte Reliquie, über welche freilich nicht der Papst seinen Segen gesprochen hat. Sie ist geweiht mit dem Blute des gesalbten Hauptes, das diese Locken trug, diese Locken, die einst blond waren, und die der Kerker in kurzer Frist weiß färbte. Eine treue Hand setzte sich in den Besitz dieses Haares und übergab es der meinen, und die meinige soll nicht weniger treu befunden werden. Sie alle, meine hochverehrtesten Verwandte und Freunde, deren gemeinsame Abstammung aus dem uralten Königshause Capet Sie dem Hause Bourbon verbindet, sollen von mir, wie von ihr, der Unvergeßlichen, eine dieser Locken zum Andenken empfangen; es ist das Haar Ihrer unglücklichen Königin, es ist das Haar Marie Antoinettens von Frankreich! Jede einzelne Locke lag in einem großen goldenen Medaillon zwischen zwei feingeschliffenen ovalen Platten von Bergkrystall hermetisch verschlossen, und in das Gold am untern Rande war auf der einen Seite die Chiffre MA und darunter die verhängnißvolle Jahrzahl, auf der andern aber der einfache Namenszug der Geberin, wie sie gewöhnlich zu unterzeichnen pflegte, und die Jahrzahl 1795 eingegraben. Prinz Talmont stand bei der Reichsgräfin und bei Georgine, und sprach ernst über die ernste Zeit. Georgine, welcher im hohen Grade die Schattenseite der Emigranten aufgefallen war, die bei dem Prinzen Talmont wenig, und noch am Wenigsten bei dem jüngeren Prinzen Condé hervortrat, bekämpfte die eitle Selbsttäuschung, welcher die Emigranten sich hingaben, indem sie sagte: Ich muß Ihnen eine Stelle unseres Thomson mittheilen, mein Prinz, nicht um Ihr Gefühl <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0238" n="234"/> an die man sich zu klammern versuchte. Daß bei dem furchtbaren Mangel an baarem Gelde und Lebensmitteln die Abgeordneten des National-Convents ihre Diäten auf 36 Livres erhöhten und dadurch die geld- und besitzlose Menge gegen sich aufbrachten, wurde voreilig genug als ein gutes Zeichen baldigen Umschlags gedeutet.</p> <p>Die alte Reichsgräfin ließ jetzt auf goldenem Teller ein Kästchen herbeitragen, welches von dem reinsten durchsichtigen Bernstein gefertigt und mit Purpursammt ausgefüttert war, und als sie es öffnete, erblickten die um sie Versammelten eine Anzahl einzelner, mit einem schwarzen schmalen Seidenbändchen gebundener greiser Locken.</p> <p>Sehen Sie hier, meine allerhöchsten und allergnädigsten Gäste, sprach die Matrone mit Ernst und Würde: eine geweihte Reliquie, über welche freilich nicht der Papst seinen Segen gesprochen hat. Sie ist geweiht mit dem Blute des gesalbten Hauptes, das diese Locken trug, diese Locken, die einst blond waren, und die der Kerker in kurzer Frist weiß färbte. Eine treue Hand setzte sich in den Besitz dieses Haares und übergab es der meinen, und die meinige soll nicht weniger treu befunden werden. Sie alle, meine hochverehrtesten Verwandte und Freunde, deren gemeinsame Abstammung aus dem uralten Königshause Capet Sie dem Hause Bourbon verbindet, sollen von mir, wie von ihr, der Unvergeßlichen, eine dieser Locken zum Andenken empfangen; es ist das Haar Ihrer unglücklichen Königin, es ist das Haar Marie Antoinettens von Frankreich!</p> <p>Jede einzelne Locke lag in einem großen goldenen Medaillon zwischen zwei feingeschliffenen ovalen Platten von Bergkrystall hermetisch verschlossen, und in das Gold am untern Rande war auf der einen Seite die Chiffre <hi rendition="#aq">MA</hi> und darunter die verhängnißvolle Jahrzahl, auf der andern aber der einfache Namenszug der Geberin, wie sie gewöhnlich zu unterzeichnen pflegte, und die Jahrzahl 1795 eingegraben.</p> <p>Prinz Talmont stand bei der Reichsgräfin und bei Georgine, und sprach ernst über die ernste Zeit. Georgine, welcher im hohen Grade die Schattenseite der Emigranten aufgefallen war, die bei dem Prinzen Talmont wenig, und noch am Wenigsten bei dem jüngeren Prinzen Condé hervortrat, bekämpfte die eitle Selbsttäuschung, welcher die Emigranten sich hingaben, indem sie sagte: Ich muß Ihnen eine Stelle unseres Thomson mittheilen, mein Prinz, nicht um Ihr Gefühl </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [234/0238]
an die man sich zu klammern versuchte. Daß bei dem furchtbaren Mangel an baarem Gelde und Lebensmitteln die Abgeordneten des National-Convents ihre Diäten auf 36 Livres erhöhten und dadurch die geld- und besitzlose Menge gegen sich aufbrachten, wurde voreilig genug als ein gutes Zeichen baldigen Umschlags gedeutet.
Die alte Reichsgräfin ließ jetzt auf goldenem Teller ein Kästchen herbeitragen, welches von dem reinsten durchsichtigen Bernstein gefertigt und mit Purpursammt ausgefüttert war, und als sie es öffnete, erblickten die um sie Versammelten eine Anzahl einzelner, mit einem schwarzen schmalen Seidenbändchen gebundener greiser Locken.
Sehen Sie hier, meine allerhöchsten und allergnädigsten Gäste, sprach die Matrone mit Ernst und Würde: eine geweihte Reliquie, über welche freilich nicht der Papst seinen Segen gesprochen hat. Sie ist geweiht mit dem Blute des gesalbten Hauptes, das diese Locken trug, diese Locken, die einst blond waren, und die der Kerker in kurzer Frist weiß färbte. Eine treue Hand setzte sich in den Besitz dieses Haares und übergab es der meinen, und die meinige soll nicht weniger treu befunden werden. Sie alle, meine hochverehrtesten Verwandte und Freunde, deren gemeinsame Abstammung aus dem uralten Königshause Capet Sie dem Hause Bourbon verbindet, sollen von mir, wie von ihr, der Unvergeßlichen, eine dieser Locken zum Andenken empfangen; es ist das Haar Ihrer unglücklichen Königin, es ist das Haar Marie Antoinettens von Frankreich!
Jede einzelne Locke lag in einem großen goldenen Medaillon zwischen zwei feingeschliffenen ovalen Platten von Bergkrystall hermetisch verschlossen, und in das Gold am untern Rande war auf der einen Seite die Chiffre MA und darunter die verhängnißvolle Jahrzahl, auf der andern aber der einfache Namenszug der Geberin, wie sie gewöhnlich zu unterzeichnen pflegte, und die Jahrzahl 1795 eingegraben.
Prinz Talmont stand bei der Reichsgräfin und bei Georgine, und sprach ernst über die ernste Zeit. Georgine, welcher im hohen Grade die Schattenseite der Emigranten aufgefallen war, die bei dem Prinzen Talmont wenig, und noch am Wenigsten bei dem jüngeren Prinzen Condé hervortrat, bekämpfte die eitle Selbsttäuschung, welcher die Emigranten sich hingaben, indem sie sagte: Ich muß Ihnen eine Stelle unseres Thomson mittheilen, mein Prinz, nicht um Ihr Gefühl
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