Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Dienst zu leisten, hat mir zugesagt, dir nützlich sein zu wollen. Sieh, lieber Vetter, ich glaube dich nicht falsch zu beurtheilen, wenn ich meine, daß du nicht für den Kriegerstand geboren bist. Dir sagt wohl mehr, wie du von Jugend auf es geführt hast, ein beschauliches Stillleben zu, und ich möchte dich glücklich wissen, denn du weißt, und ich weiß, was ich dir Alles danke. Was soll dir dieser Krieg und besonders die Art, wie er jetzt in diesem Lande geführt wird? Man spricht nicht von Schlachten, in denen ein junges Heldenherz sich Lorbeeren erkämpfen kann, sondern von Winterquartieren, man denkt nicht auf Vorzüge, sondern auf Rückzüge, man ficht nicht mit der Waffe der tapfern Hand, sondern nur mit grobem Geschütz. Zum Vorrücken in höheren Dienstrang ist keine Gelegenheit, und für was solltest du dein Leben auf das Spiel setzen? Du bist in Deutschland geboren, weshalb solltest du für Holland kämpfen? Daher bin ich der Meinung, du weilest nicht länger hier unter dem rauhen und doch so nutzlosen Getöse der Waffen, sondern versuchst in einer andern Laufbahn dein Glück, versuchst wenigstens in ihr den Grund einer zukünftigen ehrenvollen Stellung im Leben zu legen. Unser Windt ist ein trefflicher, lieber, edeldenkender Mann, ich schätze ihn außerordentlich, und seine Frau ist ja überaus brav und rechtlich, allein beide sind doch auf die Dauer kein Umgang für dich; du mußt eintreten in höhere Lebenskreise. Dein Blick muß geschärft, deine Ansicht vom Leben und dessen höchsten Aufgaben geläutert und festgestellt, ja selbst dein Herz muß geprüft und gebildet werden durch höheren Umgang. Sage selbst, ob ich nicht Recht habe? Ja, du hast Recht, Vetter, sprach Ludwig, doch so schwankend, als erwache er aus einem Traume. Mag Paris jetzt vielen Frommen als ein Sündenpfuhl, ein Sodom und Gomorrha, Andern als eine Löwengrube, noch Andern als Niniveh und Babylon erscheinen, welches demnächst der Zorn des Höchsten zertrümmern wird -- dem Auge des vorurtheilfreien Weltmannes erscheint es anders, erscheint es immer als die europäische Weltstadt, in der das gesellige Leben seinen höchsten Blüthenstand erreicht, in der dasselbe am heißesten pulst, und das stets die höchste Bildung über alle Lebenskreise ausstrahlt. Der Herr Gesandte geht in diesen Tagen nach Paris ab, und ist so sehr gütig, dich als Attache Dienst zu leisten, hat mir zugesagt, dir nützlich sein zu wollen. Sieh, lieber Vetter, ich glaube dich nicht falsch zu beurtheilen, wenn ich meine, daß du nicht für den Kriegerstand geboren bist. Dir sagt wohl mehr, wie du von Jugend auf es geführt hast, ein beschauliches Stillleben zu, und ich möchte dich glücklich wissen, denn du weißt, und ich weiß, was ich dir Alles danke. Was soll dir dieser Krieg und besonders die Art, wie er jetzt in diesem Lande geführt wird? Man spricht nicht von Schlachten, in denen ein junges Heldenherz sich Lorbeeren erkämpfen kann, sondern von Winterquartieren, man denkt nicht auf Vorzüge, sondern auf Rückzüge, man ficht nicht mit der Waffe der tapfern Hand, sondern nur mit grobem Geschütz. Zum Vorrücken in höheren Dienstrang ist keine Gelegenheit, und für was solltest du dein Leben auf das Spiel setzen? Du bist in Deutschland geboren, weshalb solltest du für Holland kämpfen? Daher bin ich der Meinung, du weilest nicht länger hier unter dem rauhen und doch so nutzlosen Getöse der Waffen, sondern versuchst in einer andern Laufbahn dein Glück, versuchst wenigstens in ihr den Grund einer zukünftigen ehrenvollen Stellung im Leben zu legen. Unser Windt ist ein trefflicher, lieber, edeldenkender Mann, ich schätze ihn außerordentlich, und seine Frau ist ja überaus brav und rechtlich, allein beide sind doch auf die Dauer kein Umgang für dich; du mußt eintreten in höhere Lebenskreise. Dein Blick muß geschärft, deine Ansicht vom Leben und dessen höchsten Aufgaben geläutert und festgestellt, ja selbst dein Herz muß geprüft und gebildet werden durch höheren Umgang. Sage selbst, ob ich nicht Recht habe? Ja, du hast Recht, Vetter, sprach Ludwig, doch so schwankend, als erwache er aus einem Traume. Mag Paris jetzt vielen Frommen als ein Sündenpfuhl, ein Sodom und Gomorrha, Andern als eine Löwengrube, noch Andern als Niniveh und Babylon erscheinen, welches demnächst der Zorn des Höchsten zertrümmern wird — dem Auge des vorurtheilfreien Weltmannes erscheint es anders, erscheint es immer als die europäische Weltstadt, in der das gesellige Leben seinen höchsten Blüthenstand erreicht, in der dasselbe am heißesten pulst, und das stets die höchste Bildung über alle Lebenskreise ausstrahlt. Der Herr Gesandte geht in diesen Tagen nach Paris ab, und ist so sehr gütig, dich als Attaché <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0215" n="211"/> Dienst zu leisten, hat mir zugesagt, dir nützlich sein zu wollen. Sieh, lieber Vetter, ich glaube dich nicht falsch zu beurtheilen, wenn ich meine, daß du nicht für den Kriegerstand geboren bist. Dir sagt wohl mehr, wie du von Jugend auf es geführt hast, ein beschauliches Stillleben zu, und ich möchte dich glücklich wissen, denn du weißt, und ich weiß, was ich dir Alles danke. Was soll dir dieser Krieg und besonders die Art, wie er jetzt in diesem Lande geführt wird? Man spricht nicht von Schlachten, in denen ein junges Heldenherz sich Lorbeeren erkämpfen kann, sondern von Winterquartieren, man denkt nicht auf Vorzüge, sondern auf Rückzüge, man ficht nicht mit der Waffe der tapfern Hand, sondern nur mit grobem Geschütz. Zum Vorrücken in höheren Dienstrang ist keine Gelegenheit, und für was solltest du dein Leben auf das Spiel setzen? Du bist in Deutschland geboren, weshalb solltest du für Holland kämpfen? Daher bin ich der Meinung, du weilest nicht länger hier unter dem rauhen und doch so nutzlosen Getöse der Waffen, sondern versuchst in einer andern Laufbahn dein Glück, versuchst wenigstens in ihr den Grund einer zukünftigen ehrenvollen Stellung im Leben zu legen. Unser Windt ist ein trefflicher, lieber, edeldenkender Mann, ich schätze ihn außerordentlich, und seine Frau ist ja überaus brav und rechtlich, allein beide sind doch auf die Dauer kein Umgang für dich; du mußt eintreten in höhere Lebenskreise. Dein Blick muß geschärft, deine Ansicht vom Leben und dessen höchsten Aufgaben geläutert und festgestellt, ja selbst dein Herz muß geprüft und gebildet werden durch höheren Umgang. 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Dienst zu leisten, hat mir zugesagt, dir nützlich sein zu wollen. Sieh, lieber Vetter, ich glaube dich nicht falsch zu beurtheilen, wenn ich meine, daß du nicht für den Kriegerstand geboren bist. Dir sagt wohl mehr, wie du von Jugend auf es geführt hast, ein beschauliches Stillleben zu, und ich möchte dich glücklich wissen, denn du weißt, und ich weiß, was ich dir Alles danke. Was soll dir dieser Krieg und besonders die Art, wie er jetzt in diesem Lande geführt wird? Man spricht nicht von Schlachten, in denen ein junges Heldenherz sich Lorbeeren erkämpfen kann, sondern von Winterquartieren, man denkt nicht auf Vorzüge, sondern auf Rückzüge, man ficht nicht mit der Waffe der tapfern Hand, sondern nur mit grobem Geschütz. Zum Vorrücken in höheren Dienstrang ist keine Gelegenheit, und für was solltest du dein Leben auf das Spiel setzen? Du bist in Deutschland geboren, weshalb solltest du für Holland kämpfen? Daher bin ich der Meinung, du weilest nicht länger hier unter dem rauhen und doch so nutzlosen Getöse der Waffen, sondern versuchst in einer andern Laufbahn dein Glück, versuchst wenigstens in ihr den Grund einer zukünftigen ehrenvollen Stellung im Leben zu legen. Unser Windt ist ein trefflicher, lieber, edeldenkender Mann, ich schätze ihn außerordentlich, und seine Frau ist ja überaus brav und rechtlich, allein beide sind doch auf die Dauer kein Umgang für dich; du mußt eintreten in höhere Lebenskreise. Dein Blick muß geschärft, deine Ansicht vom Leben und dessen höchsten Aufgaben geläutert und festgestellt, ja selbst dein Herz muß geprüft und gebildet werden durch höheren Umgang. Sage selbst, ob ich nicht Recht habe?
Ja, du hast Recht, Vetter, sprach Ludwig, doch so schwankend, als erwache er aus einem Traume.
Mag Paris jetzt vielen Frommen als ein Sündenpfuhl, ein Sodom und Gomorrha, Andern als eine Löwengrube, noch Andern als Niniveh und Babylon erscheinen, welches demnächst der Zorn des Höchsten zertrümmern wird — dem Auge des vorurtheilfreien Weltmannes erscheint es anders, erscheint es immer als die europäische Weltstadt, in der das gesellige Leben seinen höchsten Blüthenstand erreicht, in der dasselbe am heißesten pulst, und das stets die höchste Bildung über alle Lebenskreise ausstrahlt. Der Herr Gesandte geht in diesen Tagen nach Paris ab, und ist so sehr gütig, dich als Attaché
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/215>, abgerufen am 22.07.2024. |