Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.brodlos und war zuletzt froh, ein kleines Stellchen bei der geheimen Polizei zu erhalten. Dies war die Zeit, wo ich die Ehre hatte, Sie, meine Herren, als verkleidete Ausländer in Carmagnolentracht zu entdecken und die gute Absicht hegte, Sie als Spione des Auslandes, für welche ich Sie hielt, unter das Beil zu liefern. Die nicht eben tapfere That Ihres Begleiters vereitelte mein Vorhaben und hatte für mich sehr trübe Folgen. Einer meiner Collegen -- befehligt, gleich mir, auch auf jeden Mouchard, der ihm bekannt war, ein scharfes Augenmerk zu richten -- stand am jenseitigen Ufer der Seine, blickte nach mir herüber und sah mich plötzlich den unfreiwilligen Saltomortale herab in die Seine machen. Er gab mich an, und ich wurde, nachdem man mich verhört hatte, mit dem Prädicat eines grenzenlosen Dummkopfs und dem Rathe, ohne Verzug das Weichbild der guten Stadt Paris zu verlassen und es nie wieder zu betreten, meines Aemtchens entsetzt, und hatte nun zu dem vielen Wasser, das Sie mich hatten schlucken lassen, nicht einmal trockenes Brod. Der Hunger mehr noch als der Durst trieb mich jetzt zur Armee, und so kam ich in diese Gegend. Wie es den armen Soldaten geht, werden Sie wissen, meine Herren, Hunger, Durst und Kälte und feindliche Kugeln, das sind die ganzen Annehmlichkeiten, die heut zu Tage ein tapferer Franzose zu erwarten und zu genießen hat, der für die glorreiche Republik kämpft. Ich eignete mir eine Flasche Cognac zu, um eine Schutzwaffe gegen zeitweiligen Durst und die unerträgliche Kälte zu haben, und der Eigenthümer derselben wagte die Behauptung, daß ich dies heimlich gethan, erklärte auch einige Zehnlivresstücke, die sich in meiner Tasche fanden, für die seinigen, ja, er steigerte sogar seine schändlichen Anklagen zu solcher Höhe, daß er behauptete, diese schlechten Hosen, welche ich hier anhabe, seien auch die seinigen. Darauf hin war man so über alle Maßen grausam, mich henken lassen zu wollen, und es kostete mir unsägliche Mühe, bevor der Strick um meinen Hals wirklich zugezogen wurde, mich einer so entehrenden Behandlung ganz zu entziehen, indem ich nämlich durchging, eine Sache, in welcher meine theatralische Laufbahn mir jene Ausbildung verliehen, welche meine Muttersprache mit dem trefflichen Worte Routine bezeichnet. Ich ging zu einer andern Heeresabtheilung über, bei der ich mich als Auskundschafter meldete, und als solcher willkommen war. Als solcher mischte ich mich unter brodlos und war zuletzt froh, ein kleines Stellchen bei der geheimen Polizei zu erhalten. Dies war die Zeit, wo ich die Ehre hatte, Sie, meine Herren, als verkleidete Ausländer in Carmagnolentracht zu entdecken und die gute Absicht hegte, Sie als Spione des Auslandes, für welche ich Sie hielt, unter das Beil zu liefern. Die nicht eben tapfere That Ihres Begleiters vereitelte mein Vorhaben und hatte für mich sehr trübe Folgen. Einer meiner Collegen — befehligt, gleich mir, auch auf jeden Mouchard, der ihm bekannt war, ein scharfes Augenmerk zu richten — stand am jenseitigen Ufer der Seine, blickte nach mir herüber und sah mich plötzlich den unfreiwilligen Saltomortale herab in die Seine machen. Er gab mich an, und ich wurde, nachdem man mich verhört hatte, mit dem Prädicat eines grenzenlosen Dummkopfs und dem Rathe, ohne Verzug das Weichbild der guten Stadt Paris zu verlassen und es nie wieder zu betreten, meines Aemtchens entsetzt, und hatte nun zu dem vielen Wasser, das Sie mich hatten schlucken lassen, nicht einmal trockenes Brod. Der Hunger mehr noch als der Durst trieb mich jetzt zur Armee, und so kam ich in diese Gegend. Wie es den armen Soldaten geht, werden Sie wissen, meine Herren, Hunger, Durst und Kälte und feindliche Kugeln, das sind die ganzen Annehmlichkeiten, die heut zu Tage ein tapferer Franzose zu erwarten und zu genießen hat, der für die glorreiche Republik kämpft. Ich eignete mir eine Flasche Cognac zu, um eine Schutzwaffe gegen zeitweiligen Durst und die unerträgliche Kälte zu haben, und der Eigenthümer derselben wagte die Behauptung, daß ich dies heimlich gethan, erklärte auch einige Zehnlivresstücke, die sich in meiner Tasche fanden, für die seinigen, ja, er steigerte sogar seine schändlichen Anklagen zu solcher Höhe, daß er behauptete, diese schlechten Hosen, welche ich hier anhabe, seien auch die seinigen. Darauf hin war man so über alle Maßen grausam, mich henken lassen zu wollen, und es kostete mir unsägliche Mühe, bevor der Strick um meinen Hals wirklich zugezogen wurde, mich einer so entehrenden Behandlung ganz zu entziehen, indem ich nämlich durchging, eine Sache, in welcher meine theatralische Laufbahn mir jene Ausbildung verliehen, welche meine Muttersprache mit dem trefflichen Worte Routine bezeichnet. Ich ging zu einer andern Heeresabtheilung über, bei der ich mich als Auskundschafter meldete, und als solcher willkommen war. Als solcher mischte ich mich unter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0208" n="204"/> brodlos und war zuletzt froh, ein kleines Stellchen bei der geheimen Polizei zu erhalten. Dies war die Zeit, wo ich die Ehre hatte, Sie, meine Herren, als verkleidete Ausländer in Carmagnolentracht zu entdecken und die gute Absicht hegte, Sie als Spione des Auslandes, für welche ich Sie hielt, unter das Beil zu liefern. Die nicht eben tapfere That Ihres Begleiters vereitelte mein Vorhaben und hatte für mich sehr trübe Folgen. Einer meiner Collegen — befehligt, gleich mir, auch auf jeden Mouchard, der ihm bekannt war, ein scharfes Augenmerk zu richten — stand am jenseitigen Ufer der Seine, blickte nach mir herüber und sah mich plötzlich den unfreiwilligen Saltomortale herab in die Seine machen. Er gab mich an, und ich wurde, nachdem man mich verhört hatte, mit dem Prädicat eines grenzenlosen Dummkopfs und dem Rathe, ohne Verzug das Weichbild der guten Stadt Paris zu verlassen und es nie wieder zu betreten, meines Aemtchens entsetzt, und hatte nun zu dem vielen Wasser, das Sie mich hatten schlucken lassen, nicht einmal trockenes Brod. Der Hunger mehr noch als der Durst trieb mich jetzt zur Armee, und so kam ich in diese Gegend. Wie es den armen Soldaten geht, werden Sie wissen, meine Herren, Hunger, Durst und Kälte und feindliche Kugeln, das sind die ganzen Annehmlichkeiten, die heut zu Tage ein tapferer Franzose zu erwarten und zu genießen hat, der für die glorreiche Republik kämpft. Ich eignete mir eine Flasche Cognac zu, um eine Schutzwaffe gegen zeitweiligen Durst und die unerträgliche Kälte zu haben, und der Eigenthümer derselben wagte die Behauptung, daß ich dies heimlich gethan, erklärte auch einige Zehnlivresstücke, die sich in meiner Tasche fanden, für die seinigen, ja, er steigerte sogar seine schändlichen Anklagen zu solcher Höhe, daß er behauptete, diese schlechten Hosen, welche ich hier anhabe, seien auch die seinigen. Darauf hin war man so über alle Maßen grausam, mich henken lassen zu wollen, und es kostete mir unsägliche Mühe, bevor der Strick um meinen Hals wirklich zugezogen wurde, mich einer so entehrenden Behandlung ganz zu entziehen, indem ich nämlich durchging, eine Sache, in welcher meine theatralische Laufbahn mir jene Ausbildung verliehen, welche meine Muttersprache mit dem trefflichen Worte <hi rendition="#aq">Routine</hi> bezeichnet. 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brodlos und war zuletzt froh, ein kleines Stellchen bei der geheimen Polizei zu erhalten. Dies war die Zeit, wo ich die Ehre hatte, Sie, meine Herren, als verkleidete Ausländer in Carmagnolentracht zu entdecken und die gute Absicht hegte, Sie als Spione des Auslandes, für welche ich Sie hielt, unter das Beil zu liefern. Die nicht eben tapfere That Ihres Begleiters vereitelte mein Vorhaben und hatte für mich sehr trübe Folgen. Einer meiner Collegen — befehligt, gleich mir, auch auf jeden Mouchard, der ihm bekannt war, ein scharfes Augenmerk zu richten — stand am jenseitigen Ufer der Seine, blickte nach mir herüber und sah mich plötzlich den unfreiwilligen Saltomortale herab in die Seine machen. Er gab mich an, und ich wurde, nachdem man mich verhört hatte, mit dem Prädicat eines grenzenlosen Dummkopfs und dem Rathe, ohne Verzug das Weichbild der guten Stadt Paris zu verlassen und es nie wieder zu betreten, meines Aemtchens entsetzt, und hatte nun zu dem vielen Wasser, das Sie mich hatten schlucken lassen, nicht einmal trockenes Brod. Der Hunger mehr noch als der Durst trieb mich jetzt zur Armee, und so kam ich in diese Gegend. Wie es den armen Soldaten geht, werden Sie wissen, meine Herren, Hunger, Durst und Kälte und feindliche Kugeln, das sind die ganzen Annehmlichkeiten, die heut zu Tage ein tapferer Franzose zu erwarten und zu genießen hat, der für die glorreiche Republik kämpft. Ich eignete mir eine Flasche Cognac zu, um eine Schutzwaffe gegen zeitweiligen Durst und die unerträgliche Kälte zu haben, und der Eigenthümer derselben wagte die Behauptung, daß ich dies heimlich gethan, erklärte auch einige Zehnlivresstücke, die sich in meiner Tasche fanden, für die seinigen, ja, er steigerte sogar seine schändlichen Anklagen zu solcher Höhe, daß er behauptete, diese schlechten Hosen, welche ich hier anhabe, seien auch die seinigen. Darauf hin war man so über alle Maßen grausam, mich henken lassen zu wollen, und es kostete mir unsägliche Mühe, bevor der Strick um meinen Hals wirklich zugezogen wurde, mich einer so entehrenden Behandlung ganz zu entziehen, indem ich nämlich durchging, eine Sache, in welcher meine theatralische Laufbahn mir jene Ausbildung verliehen, welche meine Muttersprache mit dem trefflichen Worte Routine bezeichnet. Ich ging zu einer andern Heeresabtheilung über, bei der ich mich als Auskundschafter meldete, und als solcher willkommen war. Als solcher mischte ich mich unter
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