Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Leonardus! rief Anges, und schlug bebend ihre Hände zusammen. Und das um meinetwillen? Das ertrage ich nicht! Sei ruhig, liebe Anges, erwiederte Leonardus: es muß und es wird sich wohl auch ertragen lassen. Ich kann mir selbst Geld erwerben, auf den Summen der holländisch-ostindischen Compagnie ruhen ohnedies die Flüche der geknechteten Menschheit und entsetzlichen Unrechts millionenfach. Noch leben Vater und Mutter, und der Sinn der Menschen ist veränderlich. Vor der Hand meldet noch mein Vetter, daß mein Vater nicht zu seinen und unserer jungen Muhmen Gunsten testiren wolle, sondern es solle ein Theil des Vermögens an die Seitenverwandten fallen, welche zu Bochum in Westphalen wohnen; an einen Hermann Heinrich van der Valck, der aus Holland nach Deutschland übersiedelte, so viel ich weiß, eine Tochter des Namens Aloysia hat, und dessen Vorfahren mit den unsern der Sage nach, die ganze Grafschaft Valkenburg zwischen dem Hochstift Lüttich und den Herzogthümern Jülich und Limburg besessen haben sollen. -- Doch das werde, wie es wolle, mir soll darüber kein graues Haar wachsen; aber nun, liebste, theuerste Anges, höre was das Handelshaus in le Mans, an das ich mit Aufträgen mich gewendet, mir schreibt, höre es, und freue dich! Es ist das mein schönstes Angebinde zum heutigen Tage: Du bist frei! "Auf Ihr Geehrtes" , so schreiben meine Handelsfreunde: "ermangelten wir nicht, sorgfältige Erkundigung nach dem hier wohlbekannten Kaufmann Etienne Berthelmy einzuziehen. Derselbe führte als Hauptmann eine Compagnie, mit welcher er zur Armee der West-Vendee unter Charette stieß, und soll sicherem Vernehmen nach bereits am 11. October des vorigen Jahres bei der Erstürmung und Eroberung der Insel Noirmoutier geblieben sein, zum Mindesten soll sein Name auf der Todtenliste gestanden haben. Sein bejahrter Vater ist mittlerweile auch gestorben, und seine betagte Mutter lebt noch unter betrübten Umständen und nährt sich von einem kleinen Kramladen, dem alleinigen Ueberbleibsel ihres einst blühenden Geschäftes." Anges saß stumm und ernst da, und hörte diesen Bericht mit einer Fülle von Gedanken an, die sie erschütterte, endlich reichte sie jedem der beiden Freunde eine ihrer zarten Hände, und sprach: So fällt denn ein dunkler Vorhang nieder und schließt einen, ach und Leonardus! rief Angés, und schlug bebend ihre Hände zusammen. Und das um meinetwillen? Das ertrage ich nicht! Sei ruhig, liebe Angés, erwiederte Leonardus: es muß und es wird sich wohl auch ertragen lassen. Ich kann mir selbst Geld erwerben, auf den Summen der holländisch-ostindischen Compagnie ruhen ohnedies die Flüche der geknechteten Menschheit und entsetzlichen Unrechts millionenfach. Noch leben Vater und Mutter, und der Sinn der Menschen ist veränderlich. Vor der Hand meldet noch mein Vetter, daß mein Vater nicht zu seinen und unserer jungen Muhmen Gunsten testiren wolle, sondern es solle ein Theil des Vermögens an die Seitenverwandten fallen, welche zu Bochum in Westphalen wohnen; an einen Hermann Heinrich van der Valck, der aus Holland nach Deutschland übersiedelte, so viel ich weiß, eine Tochter des Namens Aloysia hat, und dessen Vorfahren mit den unsern der Sage nach, die ganze Grafschaft Valkenburg zwischen dem Hochstift Lüttich und den Herzogthümern Jülich und Limburg besessen haben sollen. — Doch das werde, wie es wolle, mir soll darüber kein graues Haar wachsen; aber nun, liebste, theuerste Angés, höre was das Handelshaus in le Mans, an das ich mit Aufträgen mich gewendet, mir schreibt, höre es, und freue dich! Es ist das mein schönstes Angebinde zum heutigen Tage: Du bist frei! „Auf Ihr Geehrtes“ , so schreiben meine Handelsfreunde: „ermangelten wir nicht, sorgfältige Erkundigung nach dem hier wohlbekannten Kaufmann Etienne Berthelmy einzuziehen. Derselbe führte als Hauptmann eine Compagnie, mit welcher er zur Armee der West-Vendée unter Charette stieß, und soll sicherem Vernehmen nach bereits am 11. October des vorigen Jahres bei der Erstürmung und Eroberung der Insel Noirmoutier geblieben sein, zum Mindesten soll sein Name auf der Todtenliste gestanden haben. Sein bejahrter Vater ist mittlerweile auch gestorben, und seine betagte Mutter lebt noch unter betrübten Umständen und nährt sich von einem kleinen Kramladen, dem alleinigen Ueberbleibsel ihres einst blühenden Geschäftes.“ Angés saß stumm und ernst da, und hörte diesen Bericht mit einer Fülle von Gedanken an, die sie erschütterte, endlich reichte sie jedem der beiden Freunde eine ihrer zarten Hände, und sprach: So fällt denn ein dunkler Vorhang nieder und schließt einen, ach und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0166" n="162"/> <p>Leonardus! rief Angés, und schlug bebend ihre Hände zusammen. Und das um meinetwillen? Das ertrage ich nicht!</p> <p>Sei ruhig, liebe Angés, erwiederte Leonardus: es muß und es wird sich wohl auch ertragen lassen. Ich kann mir selbst Geld erwerben, auf den Summen der holländisch-ostindischen Compagnie ruhen ohnedies die Flüche der geknechteten Menschheit und entsetzlichen Unrechts millionenfach. Noch leben Vater und Mutter, und der Sinn der Menschen ist veränderlich. Vor der Hand meldet noch mein Vetter, daß mein Vater nicht zu seinen und unserer jungen Muhmen Gunsten testiren wolle, sondern es solle ein Theil des Vermögens an die Seitenverwandten fallen, welche zu Bochum in Westphalen wohnen; an einen Hermann Heinrich van der Valck, der aus Holland nach Deutschland übersiedelte, so viel ich weiß, eine Tochter des Namens Aloysia hat, und dessen Vorfahren mit den unsern der Sage nach, die ganze Grafschaft Valkenburg zwischen dem Hochstift Lüttich und den Herzogthümern Jülich und Limburg besessen haben sollen. — Doch das werde, wie es wolle, mir soll darüber kein graues Haar wachsen; aber nun, liebste, theuerste Angés, höre was das Handelshaus in le Mans, an das ich mit Aufträgen mich gewendet, mir schreibt, höre es, und freue dich! Es ist das mein schönstes Angebinde zum heutigen Tage: Du bist frei! „Auf Ihr Geehrtes“ , so schreiben meine Handelsfreunde: „ermangelten wir nicht, sorgfältige Erkundigung nach dem hier wohlbekannten Kaufmann Etienne Berthelmy einzuziehen. Derselbe führte als Hauptmann eine Compagnie, mit welcher er zur Armee der West-Vendée unter Charette stieß, und soll sicherem Vernehmen nach bereits am 11. October des vorigen Jahres bei der Erstürmung und Eroberung der Insel Noirmoutier geblieben sein, zum Mindesten soll sein Name auf der Todtenliste gestanden haben. 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Leonardus! rief Angés, und schlug bebend ihre Hände zusammen. Und das um meinetwillen? Das ertrage ich nicht!
Sei ruhig, liebe Angés, erwiederte Leonardus: es muß und es wird sich wohl auch ertragen lassen. Ich kann mir selbst Geld erwerben, auf den Summen der holländisch-ostindischen Compagnie ruhen ohnedies die Flüche der geknechteten Menschheit und entsetzlichen Unrechts millionenfach. Noch leben Vater und Mutter, und der Sinn der Menschen ist veränderlich. Vor der Hand meldet noch mein Vetter, daß mein Vater nicht zu seinen und unserer jungen Muhmen Gunsten testiren wolle, sondern es solle ein Theil des Vermögens an die Seitenverwandten fallen, welche zu Bochum in Westphalen wohnen; an einen Hermann Heinrich van der Valck, der aus Holland nach Deutschland übersiedelte, so viel ich weiß, eine Tochter des Namens Aloysia hat, und dessen Vorfahren mit den unsern der Sage nach, die ganze Grafschaft Valkenburg zwischen dem Hochstift Lüttich und den Herzogthümern Jülich und Limburg besessen haben sollen. — Doch das werde, wie es wolle, mir soll darüber kein graues Haar wachsen; aber nun, liebste, theuerste Angés, höre was das Handelshaus in le Mans, an das ich mit Aufträgen mich gewendet, mir schreibt, höre es, und freue dich! Es ist das mein schönstes Angebinde zum heutigen Tage: Du bist frei! „Auf Ihr Geehrtes“ , so schreiben meine Handelsfreunde: „ermangelten wir nicht, sorgfältige Erkundigung nach dem hier wohlbekannten Kaufmann Etienne Berthelmy einzuziehen. Derselbe führte als Hauptmann eine Compagnie, mit welcher er zur Armee der West-Vendée unter Charette stieß, und soll sicherem Vernehmen nach bereits am 11. October des vorigen Jahres bei der Erstürmung und Eroberung der Insel Noirmoutier geblieben sein, zum Mindesten soll sein Name auf der Todtenliste gestanden haben. Sein bejahrter Vater ist mittlerweile auch gestorben, und seine betagte Mutter lebt noch unter betrübten Umständen und nährt sich von einem kleinen Kramladen, dem alleinigen Ueberbleibsel ihres einst blühenden Geschäftes.“
Angés saß stumm und ernst da, und hörte diesen Bericht mit einer Fülle von Gedanken an, die sie erschütterte, endlich reichte sie jedem der beiden Freunde eine ihrer zarten Hände, und sprach: So fällt denn ein dunkler Vorhang nieder und schließt einen, ach und
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