Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Aufwieglern überall und dann nennen sie sich Patrioten! Und wir hier? Vom Rheine her die anrückenden Armeen der Coalition, von Frankreich her die Carmagnolen, vom Norden her die holländische Armee unter Anführung des Erbprinzen von Oranien, und außerdem noch die Engländer unter dem Herzog von York, und da sollte ich von hier fortgehen? Ein schlechter Soldat, der seine Fahne verläßt, Doorwerth ist meine Fahne! Ich bin Kommandant des Kastells; es ist meiner Obhut anvertraut, ich werde es hüten und halten! Sie sind stets der ehrenfeste treue Mann, auf den man sich verlassen kann in Noth und Gefahr, lieber Windt! belobte ihn Graf Ludwig und fragte: Doch was schreibt Ihnen die Frau Großmutter weiter? Windt durchflog murmelnd die Zeilen und begleitete das, was er daraus mittheilte, mit Glossen. Klagt über Kranksein, andere Leute sind auch krank! Sehnt sich in ein Bad -- soll doch hingehen, sie hält kein Feind ab, und kein Kriegstrouble wie mich; die Veränderung wird der bejahrten Dame wohler thun und besser bekommen, als alle Recepte und Mittel des Doctor Reimarus, welcher der Leibarzt Ihrer Excellenz in Hamburg ist. Räth mir das Archiv einpacken zu lassen -- ist bereits geschehen -- gibt einen fürchterlichen Ballast Papier -- will nicht glauben, wie es hier aussieht -- sollte nur selbst kommen! Dem Vetter schrieb der Erbherr in einigen flüchtigen Zeilen, daß er ihn noch in Doorwerth zu treffen wünsche, daß er sich aber vorbereiten möge, dann mit ihm zur Armee zu gehen, es sei ihm eine Offizierstelle beim Regiment Orange-Geldern ausgemacht; der Erbprinz wünsche, daß Graf Ludwig in so bewegter Zeit nicht müßig seine Jugend verträume, sondern vielmehr eine Laufbahn einschlage, die zu Ruhm und hoher Stellung im Leben führen könne, und er, der Erbherr, könne diesem Wunsche und dieser Ansicht nur beipflichten. Leonardus und Anges lasen still die Briefe, welche sie empfangen hatten; Wehmuthsschatten überflogen Anges' schöne Züge und voll Theilnahme blickten endlich alle zunächst auf sie, Leonardus mit einem verhaltenen Freude-Gefühl, Ludwig mit seelenvollster Zuneigung, Windt mit reinem und gütigem Wohlwollen, und Frau Juliane Windt auch mit Wohlwollen, dem aber ein Zusatz von weiblicher Neugier beigemischt war, daher sie auch zuerst wieder das Wort mit der Frage nahm: Hoffentlich empfingen Sie gute Nachrichten, verehrte Madame? Aufwieglern überall und dann nennen sie sich Patrioten! Und wir hier? Vom Rheine her die anrückenden Armeen der Coalition, von Frankreich her die Carmagnolen, vom Norden her die holländische Armee unter Anführung des Erbprinzen von Oranien, und außerdem noch die Engländer unter dem Herzog von York, und da sollte ich von hier fortgehen? Ein schlechter Soldat, der seine Fahne verläßt, Doorwerth ist meine Fahne! Ich bin Kommandant des Kastells; es ist meiner Obhut anvertraut, ich werde es hüten und halten! Sie sind stets der ehrenfeste treue Mann, auf den man sich verlassen kann in Noth und Gefahr, lieber Windt! belobte ihn Graf Ludwig und fragte: Doch was schreibt Ihnen die Frau Großmutter weiter? Windt durchflog murmelnd die Zeilen und begleitete das, was er daraus mittheilte, mit Glossen. Klagt über Kranksein, andere Leute sind auch krank! Sehnt sich in ein Bad — soll doch hingehen, sie hält kein Feind ab, und kein Kriegstrouble wie mich; die Veränderung wird der bejahrten Dame wohler thun und besser bekommen, als alle Recepte und Mittel des Doctor Reimarus, welcher der Leibarzt Ihrer Excellenz in Hamburg ist. Räth mir das Archiv einpacken zu lassen — ist bereits geschehen — gibt einen fürchterlichen Ballast Papier — will nicht glauben, wie es hier aussieht — sollte nur selbst kommen! Dem Vetter schrieb der Erbherr in einigen flüchtigen Zeilen, daß er ihn noch in Doorwerth zu treffen wünsche, daß er sich aber vorbereiten möge, dann mit ihm zur Armee zu gehen, es sei ihm eine Offizierstelle beim Regiment Orange-Geldern ausgemacht; der Erbprinz wünsche, daß Graf Ludwig in so bewegter Zeit nicht müßig seine Jugend verträume, sondern vielmehr eine Laufbahn einschlage, die zu Ruhm und hoher Stellung im Leben führen könne, und er, der Erbherr, könne diesem Wunsche und dieser Ansicht nur beipflichten. Leonardus und Angés lasen still die Briefe, welche sie empfangen hatten; Wehmuthsschatten überflogen Angés’ schöne Züge und voll Theilnahme blickten endlich alle zunächst auf sie, Leonardus mit einem verhaltenen Freude-Gefühl, Ludwig mit seelenvollster Zuneigung, Windt mit reinem und gütigem Wohlwollen, und Frau Juliane Windt auch mit Wohlwollen, dem aber ein Zusatz von weiblicher Neugier beigemischt war, daher sie auch zuerst wieder das Wort mit der Frage nahm: Hoffentlich empfingen Sie gute Nachrichten, verehrte Madame? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0163" n="159"/> Aufwieglern überall und dann nennen sie sich Patrioten! Und wir hier? Vom Rheine her die anrückenden Armeen der Coalition, von Frankreich her die Carmagnolen, vom Norden her die holländische Armee unter Anführung des Erbprinzen von Oranien, und außerdem noch die Engländer unter dem Herzog von York, und da sollte ich von hier fortgehen? Ein schlechter Soldat, der seine Fahne verläßt, Doorwerth ist meine Fahne! Ich bin Kommandant des Kastells; es ist meiner Obhut anvertraut, ich werde es hüten und halten!</p> <p>Sie sind stets der ehrenfeste treue Mann, auf den man sich verlassen kann in Noth und Gefahr, lieber Windt! belobte ihn Graf Ludwig und fragte: Doch was schreibt Ihnen die Frau Großmutter weiter?</p> <p>Windt durchflog murmelnd die Zeilen und begleitete das, was er daraus mittheilte, mit Glossen. Klagt über Kranksein, andere Leute sind auch krank! Sehnt sich in ein Bad — soll doch hingehen, sie hält kein Feind ab, und kein Kriegstrouble wie mich; die Veränderung wird der bejahrten Dame wohler thun und besser bekommen, als alle Recepte und Mittel des Doctor Reimarus, welcher der Leibarzt Ihrer Excellenz in Hamburg ist. Räth mir das Archiv einpacken zu lassen — ist bereits geschehen — gibt einen fürchterlichen Ballast Papier — will nicht glauben, wie es hier aussieht — sollte nur selbst kommen!</p> <p>Dem Vetter schrieb der Erbherr in einigen flüchtigen Zeilen, daß er ihn noch in Doorwerth zu treffen wünsche, daß er sich aber vorbereiten möge, dann mit ihm zur Armee zu gehen, es sei ihm eine Offizierstelle beim Regiment Orange-Geldern ausgemacht; der Erbprinz wünsche, daß Graf Ludwig in so bewegter Zeit nicht müßig seine Jugend verträume, sondern vielmehr eine Laufbahn einschlage, die zu Ruhm und hoher Stellung im Leben führen könne, und er, der Erbherr, könne diesem Wunsche und dieser Ansicht nur beipflichten.</p> <p>Leonardus und Angés lasen still die Briefe, welche sie empfangen hatten; Wehmuthsschatten überflogen Angés’ schöne Züge und voll Theilnahme blickten endlich alle zunächst auf sie, Leonardus mit einem verhaltenen Freude-Gefühl, Ludwig mit seelenvollster Zuneigung, Windt mit reinem und gütigem Wohlwollen, und Frau Juliane Windt auch mit Wohlwollen, dem aber ein Zusatz von weiblicher Neugier beigemischt war, daher sie auch zuerst wieder das Wort mit der Frage nahm: Hoffentlich empfingen Sie gute Nachrichten, verehrte Madame?</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [159/0163]
Aufwieglern überall und dann nennen sie sich Patrioten! Und wir hier? Vom Rheine her die anrückenden Armeen der Coalition, von Frankreich her die Carmagnolen, vom Norden her die holländische Armee unter Anführung des Erbprinzen von Oranien, und außerdem noch die Engländer unter dem Herzog von York, und da sollte ich von hier fortgehen? Ein schlechter Soldat, der seine Fahne verläßt, Doorwerth ist meine Fahne! Ich bin Kommandant des Kastells; es ist meiner Obhut anvertraut, ich werde es hüten und halten!
Sie sind stets der ehrenfeste treue Mann, auf den man sich verlassen kann in Noth und Gefahr, lieber Windt! belobte ihn Graf Ludwig und fragte: Doch was schreibt Ihnen die Frau Großmutter weiter?
Windt durchflog murmelnd die Zeilen und begleitete das, was er daraus mittheilte, mit Glossen. Klagt über Kranksein, andere Leute sind auch krank! Sehnt sich in ein Bad — soll doch hingehen, sie hält kein Feind ab, und kein Kriegstrouble wie mich; die Veränderung wird der bejahrten Dame wohler thun und besser bekommen, als alle Recepte und Mittel des Doctor Reimarus, welcher der Leibarzt Ihrer Excellenz in Hamburg ist. Räth mir das Archiv einpacken zu lassen — ist bereits geschehen — gibt einen fürchterlichen Ballast Papier — will nicht glauben, wie es hier aussieht — sollte nur selbst kommen!
Dem Vetter schrieb der Erbherr in einigen flüchtigen Zeilen, daß er ihn noch in Doorwerth zu treffen wünsche, daß er sich aber vorbereiten möge, dann mit ihm zur Armee zu gehen, es sei ihm eine Offizierstelle beim Regiment Orange-Geldern ausgemacht; der Erbprinz wünsche, daß Graf Ludwig in so bewegter Zeit nicht müßig seine Jugend verträume, sondern vielmehr eine Laufbahn einschlage, die zu Ruhm und hoher Stellung im Leben führen könne, und er, der Erbherr, könne diesem Wunsche und dieser Ansicht nur beipflichten.
Leonardus und Angés lasen still die Briefe, welche sie empfangen hatten; Wehmuthsschatten überflogen Angés’ schöne Züge und voll Theilnahme blickten endlich alle zunächst auf sie, Leonardus mit einem verhaltenen Freude-Gefühl, Ludwig mit seelenvollster Zuneigung, Windt mit reinem und gütigem Wohlwollen, und Frau Juliane Windt auch mit Wohlwollen, dem aber ein Zusatz von weiblicher Neugier beigemischt war, daher sie auch zuerst wieder das Wort mit der Frage nahm: Hoffentlich empfingen Sie gute Nachrichten, verehrte Madame?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |