Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Alles kündete Außergewöhnliches an; sollte das ihm, sollte es der Feier seiner Rückkehr in das elterliche Haus allein gelten? Nur alljährlich zwei-, höchstens dreimal wurde große Abendgesellschaft gegeben, bei welcher in dieser Weise Glanz und Reichthum des Hauses van der Valck sich kundgeben durfte; außerdem lebte die Familie bürgerlich einfach, gab höchstens einmal unter der Hand einen kleinen Abendkreis, in welchem der alte Herr gemüthlich sein Pfeifchen schmauchte, ohne sich Zwang anzuthun, und zu welchem nur die nächsten Anverwandten gezogen wurden. Anges war tief verlegen; sie fühlte mit weiblichem Scharfblick heraus, daß ihr Anzug, obschon sie völlig passend und keineswegs ärmlich gekleidet erschien, in diese Räume und was dieselben erwarten ließen, nicht passe, und noch verlegener wurde sie, als der alte Herr, nachdem die Hausfrau sie ehrfurchtsvoll beknixt, sie mit Frau Gräfin Excellenz anredete, sich unendlich schmeichelte, endlich die Gnade zu genießen, sie in seinem geringen Hause begrüßen zu dürfen, und in eine Ueberfülle von Lob über die Schönheit des Kindes ausbrach. War das nur die Frucht der Täuschung, daß Ludwig sie als seine Verwandte angemeldet hatte? Hielt der alte Mann sie wirklich für Ludwig's Verwandte, die Frau eines seiner Vettern? Konnte, durfte sie seinen Irrthum sogleich widerlegen? Und mußte nicht das beschämende Gefühl sie zu Boden drücken, hier vor diesen würdigen, hochachtbaren alten Leuten als eine landflüchtige Lügnerin und Betrügerin zu stehen? Oder war Alles nur Hohn und Spott, und lauerte auf sie die schmerzlichste Demüthigung? -- Während in Anges diese Gefühle kämpften, hatte Leonardus den Freund seiner Mutter Maria Johanna, geborene van Moorsel, einer ebenso freundlichen als ehrwürdigen Matrone, vorgestellt, und diese war in helle Verwunderung ausgebrochen, als sie Ludwig's Aehnlichkeit mit ihrem einzigen Sohne entdeckte. Als Ludwig sich zu dem alten Herrn wandte, sprach Leonardus die Mutter an: Aber Mutter, was ist das? Wen erwartet Ihr? Wirst es sehen, wirst es schon sehen, mein Sohn, min Vlugteling! antwortete sie lächelnd. Magst du deine Tante etwa nicht sehen? Nicht deinen Herrn Vetter, den jungen geistlichen Herrn Vincentius Martinus van der Valck? Das wird einmal ein Mann, sag' ich dir, Leonardus, das wird ein wahrer Priester und ein Rüstzeug des Herrn und unserer geheiligten Kirche! Und deine schönen Nichten? Hast du denn gar Alles kündete Außergewöhnliches an; sollte das ihm, sollte es der Feier seiner Rückkehr in das elterliche Haus allein gelten? Nur alljährlich zwei-, höchstens dreimal wurde große Abendgesellschaft gegeben, bei welcher in dieser Weise Glanz und Reichthum des Hauses van der Valck sich kundgeben durfte; außerdem lebte die Familie bürgerlich einfach, gab höchstens einmal unter der Hand einen kleinen Abendkreis, in welchem der alte Herr gemüthlich sein Pfeifchen schmauchte, ohne sich Zwang anzuthun, und zu welchem nur die nächsten Anverwandten gezogen wurden. Angés war tief verlegen; sie fühlte mit weiblichem Scharfblick heraus, daß ihr Anzug, obschon sie völlig passend und keineswegs ärmlich gekleidet erschien, in diese Räume und was dieselben erwarten ließen, nicht passe, und noch verlegener wurde sie, als der alte Herr, nachdem die Hausfrau sie ehrfurchtsvoll beknixt, sie mit Frau Gräfin Excellenz anredete, sich unendlich schmeichelte, endlich die Gnade zu genießen, sie in seinem geringen Hause begrüßen zu dürfen, und in eine Ueberfülle von Lob über die Schönheit des Kindes ausbrach. War das nur die Frucht der Täuschung, daß Ludwig sie als seine Verwandte angemeldet hatte? Hielt der alte Mann sie wirklich für Ludwig’s Verwandte, die Frau eines seiner Vettern? Konnte, durfte sie seinen Irrthum sogleich widerlegen? Und mußte nicht das beschämende Gefühl sie zu Boden drücken, hier vor diesen würdigen, hochachtbaren alten Leuten als eine landflüchtige Lügnerin und Betrügerin zu stehen? Oder war Alles nur Hohn und Spott, und lauerte auf sie die schmerzlichste Demüthigung? — Während in Angés diese Gefühle kämpften, hatte Leonardus den Freund seiner Mutter Maria Johanna, geborene van Moorsel, einer ebenso freundlichen als ehrwürdigen Matrone, vorgestellt, und diese war in helle Verwunderung ausgebrochen, als sie Ludwig’s Aehnlichkeit mit ihrem einzigen Sohne entdeckte. Als Ludwig sich zu dem alten Herrn wandte, sprach Leonardus die Mutter an: Aber Mutter, was ist das? Wen erwartet Ihr? Wirst es sehen, wirst es schon sehen, mein Sohn, min Vlugteling! antwortete sie lächelnd. Magst du deine Tante etwa nicht sehen? Nicht deinen Herrn Vetter, den jungen geistlichen Herrn Vincentius Martinus van der Valck? Das wird einmal ein Mann, sag’ ich dir, Leonardus, das wird ein wahrer Priester und ein Rüstzeug des Herrn und unserer geheiligten Kirche! Und deine schönen Nichten? Hast du denn gar <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0112" n="108"/> Alles kündete Außergewöhnliches an; sollte das ihm, sollte es der Feier seiner Rückkehr in das elterliche Haus allein gelten? Nur alljährlich zwei-, höchstens dreimal wurde große Abendgesellschaft gegeben, bei welcher in dieser Weise Glanz und Reichthum des Hauses van der Valck sich kundgeben durfte; außerdem lebte die Familie bürgerlich einfach, gab höchstens einmal unter der Hand einen kleinen Abendkreis, in welchem der alte Herr gemüthlich sein Pfeifchen schmauchte, ohne sich Zwang anzuthun, und zu welchem nur die nächsten Anverwandten gezogen wurden. Angés war tief verlegen; sie fühlte mit weiblichem Scharfblick heraus, daß ihr Anzug, obschon sie völlig passend und keineswegs ärmlich gekleidet erschien, in diese Räume und was dieselben erwarten ließen, nicht passe, und noch verlegener wurde sie, als der alte Herr, nachdem die Hausfrau sie ehrfurchtsvoll beknixt, sie mit Frau Gräfin Excellenz anredete, sich unendlich schmeichelte, endlich die Gnade zu genießen, sie in seinem geringen Hause begrüßen zu dürfen, und in eine Ueberfülle von Lob über die Schönheit des Kindes ausbrach. War das nur die Frucht der Täuschung, daß Ludwig sie als seine Verwandte angemeldet hatte? Hielt der alte Mann sie wirklich für Ludwig’s Verwandte, die Frau eines seiner Vettern? Konnte, durfte sie seinen Irrthum sogleich widerlegen? Und mußte nicht das beschämende Gefühl sie zu Boden drücken, hier vor diesen würdigen, hochachtbaren alten Leuten als eine landflüchtige Lügnerin und Betrügerin zu stehen? Oder war Alles nur Hohn und Spott, und lauerte auf sie die schmerzlichste Demüthigung? — Während in Angés diese Gefühle kämpften, hatte Leonardus den Freund seiner Mutter Maria Johanna, geborene van Moorsel, einer ebenso freundlichen als ehrwürdigen Matrone, vorgestellt, und diese war in helle Verwunderung ausgebrochen, als sie Ludwig’s Aehnlichkeit mit ihrem einzigen Sohne entdeckte. Als Ludwig sich zu dem alten Herrn wandte, sprach Leonardus die Mutter an: Aber Mutter, was ist das? Wen erwartet Ihr?</p> <p>Wirst es sehen, wirst es schon sehen, mein Sohn, <hi rendition="#aq">min Vlugteling!</hi> antwortete sie lächelnd. Magst du deine Tante etwa nicht sehen? Nicht deinen Herrn Vetter, den jungen geistlichen Herrn Vincentius Martinus van der Valck? Das wird einmal ein Mann, sag’ ich dir, Leonardus, das wird ein wahrer Priester und ein Rüstzeug des Herrn und unserer geheiligten Kirche! Und deine schönen Nichten? Hast du denn gar </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0112]
Alles kündete Außergewöhnliches an; sollte das ihm, sollte es der Feier seiner Rückkehr in das elterliche Haus allein gelten? Nur alljährlich zwei-, höchstens dreimal wurde große Abendgesellschaft gegeben, bei welcher in dieser Weise Glanz und Reichthum des Hauses van der Valck sich kundgeben durfte; außerdem lebte die Familie bürgerlich einfach, gab höchstens einmal unter der Hand einen kleinen Abendkreis, in welchem der alte Herr gemüthlich sein Pfeifchen schmauchte, ohne sich Zwang anzuthun, und zu welchem nur die nächsten Anverwandten gezogen wurden. Angés war tief verlegen; sie fühlte mit weiblichem Scharfblick heraus, daß ihr Anzug, obschon sie völlig passend und keineswegs ärmlich gekleidet erschien, in diese Räume und was dieselben erwarten ließen, nicht passe, und noch verlegener wurde sie, als der alte Herr, nachdem die Hausfrau sie ehrfurchtsvoll beknixt, sie mit Frau Gräfin Excellenz anredete, sich unendlich schmeichelte, endlich die Gnade zu genießen, sie in seinem geringen Hause begrüßen zu dürfen, und in eine Ueberfülle von Lob über die Schönheit des Kindes ausbrach. War das nur die Frucht der Täuschung, daß Ludwig sie als seine Verwandte angemeldet hatte? Hielt der alte Mann sie wirklich für Ludwig’s Verwandte, die Frau eines seiner Vettern? Konnte, durfte sie seinen Irrthum sogleich widerlegen? Und mußte nicht das beschämende Gefühl sie zu Boden drücken, hier vor diesen würdigen, hochachtbaren alten Leuten als eine landflüchtige Lügnerin und Betrügerin zu stehen? Oder war Alles nur Hohn und Spott, und lauerte auf sie die schmerzlichste Demüthigung? — Während in Angés diese Gefühle kämpften, hatte Leonardus den Freund seiner Mutter Maria Johanna, geborene van Moorsel, einer ebenso freundlichen als ehrwürdigen Matrone, vorgestellt, und diese war in helle Verwunderung ausgebrochen, als sie Ludwig’s Aehnlichkeit mit ihrem einzigen Sohne entdeckte. Als Ludwig sich zu dem alten Herrn wandte, sprach Leonardus die Mutter an: Aber Mutter, was ist das? Wen erwartet Ihr?
Wirst es sehen, wirst es schon sehen, mein Sohn, min Vlugteling! antwortete sie lächelnd. Magst du deine Tante etwa nicht sehen? Nicht deinen Herrn Vetter, den jungen geistlichen Herrn Vincentius Martinus van der Valck? Das wird einmal ein Mann, sag’ ich dir, Leonardus, das wird ein wahrer Priester und ein Rüstzeug des Herrn und unserer geheiligten Kirche! Und deine schönen Nichten? Hast du denn gar
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/112 |
Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/112>, abgerufen am 16.02.2025. |