Anmelden (DTAQ)

DWDS dlexDB CLARIN-D

Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683].

Bild:

<< vorherige Seite

nächste Seite >>

Seelen-Weißheit

31. Phil. Es sind dennoch viel/ welche die Ursach aller
Ursachen nicht erkennen wollen/ noch können/ sondern
öffentlich gestehen/ daß kein GOtt sey/ wo-
her kömmt solchen dieses?

Psych. Gleichwie die Dämpffe des Leibes aus ei-
ner intemperie, oder verrücktem Sinn/ der Seel
die Klarheit ihres Geistes verfinstern können/ daß
sie auf eine Zeit selbsten nicht weiß/ daß sie in oder
ausser dem Leibe ist/ also kan die Phantasey/ Nar-
rethey oder Fauten der innerlichen Sinnen die
Seel an der ersten Ursach und derer Erkäntnüs
irrend machen. So lang aber die Seel in dem
Stande ist/ daß sie erkennt/ daß sie selbsten sey/ so
lang muß sie nothwendig erkennen/ daß sie von et-
was herrühre/ oder darfür halten/ daß sie ewig ge-
wesen sey/ das Letzte kan nicht seyn/ dieweil die
Seel keine Kennung in sich findet/ daß sie sich
erinnert/ daß sie ewig gewesen/ oder was sie gethan/
ehe sie in den Leib kommen/ hingegen verstehet sie
gar leicht/ daß sie von etwas herkommen/ welches
höher als sie/ und entweder aller Sachen End o-
der Anfang seyn müsse.

32. Was hält aber die Seel davon/ ob GOtt das
Ende oder Anfang aller Sachen sey?

Psych. Daß von allen Geschöpffen und Naturen
eine sichere Ausstrahlung gehe/ welche eine allge-
meine Harmonie mache/ ist unleugbar. Daß sol-
che Harmonie aber GOtt sey/ die Ursach aller Ur-
sachen/ ist darum nicht möglich/ dieweil dennoch

wie-

Seelen-Weißheit

31. Phil. Es ſind dennoch viel/ welche die Urſach aller
Urſachen nicht erkennen wollen/ noch koͤnnen/ ſondern
oͤffentlich geſtehen/ daß kein GOtt ſey/ wo-
her koͤmmt ſolchen dieſes?

Pſych. Gleichwie die Daͤmpffe des Leibes aus ei-
ner intemperie, oder verruͤcktem Sinn/ der Seel
die Klarheit ihres Geiſtes verfinſtern koͤnnen/ daß
ſie auf eine Zeit ſelbſten nicht weiß/ daß ſie in oder
auſſer dem Leibe iſt/ alſo kan die Phantaſey/ Nar-
rethey oder Fauten der innerlichen Sinnen die
Seel an der erſten Urſach und derer Erkaͤntnuͤs
irrend machen. So lang aber die Seel in dem
Stande iſt/ daß ſie erkennt/ daß ſie ſelbſten ſey/ ſo
lang muß ſie nothwendig erkennen/ daß ſie von et-
was herruͤhre/ oder darfuͤr halten/ daß ſie ewig ge-
weſen ſey/ das Letzte kan nicht ſeyn/ dieweil die
Seel keine Kennung in ſich findet/ daß ſie ſich
erinnert/ daß ſie ewig geweſen/ oder was ſie gethan/
ehe ſie in den Leib kommen/ hingegen verſtehet ſie
gar leicht/ daß ſie von etwas herkommen/ welches
hoͤher als ſie/ und entweder aller Sachen End o-
der Anfang ſeyn muͤſſe.

32. Was haͤlt aber die Seel davon/ ob GOtt das
Ende oder Anfang aller Sachen ſey?

Pſych. Daß von allen Geſchoͤpffen und Naturen
eine ſichere Ausſtrahlung gehe/ welche eine allge-
meine Harmonie mache/ iſt unleugbar. Daß ſol-
che Harmonie aber GOtt ſey/ die Urſach aller Ur-
ſachen/ iſt darum nicht moͤglich/ dieweil dennoch

wie-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0079" n="21"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Seelen-Weißheit</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>31. <hi rendition="#aq">Phil.</hi> Es &#x017F;ind dennoch viel/ welche die Ur&#x017F;ach aller<lb/>
Ur&#x017F;achen nicht erkennen wollen/ noch ko&#x0364;nnen/ &#x017F;ondern<lb/>
o&#x0364;ffentlich ge&#x017F;tehen/ daß kein GOtt &#x017F;ey/ wo-<lb/>
her ko&#x0364;mmt &#x017F;olchen die&#x017F;es?</head><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">P&#x017F;ych.</hi> Gleichwie die Da&#x0364;mpffe des Leibes aus ei-<lb/>
ner <hi rendition="#aq">intemperie,</hi> oder verru&#x0364;cktem Sinn/ der Seel<lb/>
die Klarheit ihres Gei&#x017F;tes verfin&#x017F;tern ko&#x0364;nnen/ daß<lb/>
&#x017F;ie auf eine Zeit &#x017F;elb&#x017F;ten nicht weiß/ daß &#x017F;ie in oder<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er dem Leibe i&#x017F;t/ al&#x017F;o kan die Phanta&#x017F;ey/ Nar-<lb/>
rethey oder Fauten der innerlichen Sinnen die<lb/>
Seel an der er&#x017F;ten Ur&#x017F;ach und derer Erka&#x0364;ntnu&#x0364;s<lb/>
irrend machen. So lang aber die Seel in dem<lb/>
Stande i&#x017F;t/ daß &#x017F;ie erkennt/ daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;ten &#x017F;ey/ &#x017F;o<lb/>
lang muß &#x017F;ie nothwendig erkennen/ daß &#x017F;ie von et-<lb/>
was herru&#x0364;hre/ oder darfu&#x0364;r halten/ daß &#x017F;ie ewig ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;ey/ das Letzte kan nicht &#x017F;eyn/ dieweil die<lb/>
Seel keine Kennung in &#x017F;ich findet/ daß &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
erinnert/ daß &#x017F;ie ewig gewe&#x017F;en/ oder was &#x017F;ie gethan/<lb/>
ehe &#x017F;ie in den Leib kommen/ hingegen ver&#x017F;tehet &#x017F;ie<lb/>
gar leicht/ daß &#x017F;ie von etwas herkommen/ welches<lb/>
ho&#x0364;her als &#x017F;ie/ und entweder aller Sachen End o-<lb/>
der Anfang &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>32. Was ha&#x0364;lt aber die Seel davon/ ob GOtt das<lb/>
Ende oder Anfang aller Sachen &#x017F;ey?</head><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">P&#x017F;ych.</hi> Daß von allen Ge&#x017F;cho&#x0364;pffen und Naturen<lb/>
eine &#x017F;ichere Aus&#x017F;trahlung gehe/ welche eine allge-<lb/>
meine Harmonie mache/ i&#x017F;t unleugbar. Daß &#x017F;ol-<lb/>
che Harmonie aber GOtt &#x017F;ey/ die Ur&#x017F;ach aller Ur-<lb/>
&#x017F;achen/ i&#x017F;t darum nicht mo&#x0364;glich/ dieweil dennoch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wie-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>

[21/0079] Seelen-Weißheit 31. Phil. Es ſind dennoch viel/ welche die Urſach aller Urſachen nicht erkennen wollen/ noch koͤnnen/ ſondern oͤffentlich geſtehen/ daß kein GOtt ſey/ wo- her koͤmmt ſolchen dieſes? Pſych. Gleichwie die Daͤmpffe des Leibes aus ei- ner intemperie, oder verruͤcktem Sinn/ der Seel die Klarheit ihres Geiſtes verfinſtern koͤnnen/ daß ſie auf eine Zeit ſelbſten nicht weiß/ daß ſie in oder auſſer dem Leibe iſt/ alſo kan die Phantaſey/ Nar- rethey oder Fauten der innerlichen Sinnen die Seel an der erſten Urſach und derer Erkaͤntnuͤs irrend machen. So lang aber die Seel in dem Stande iſt/ daß ſie erkennt/ daß ſie ſelbſten ſey/ ſo lang muß ſie nothwendig erkennen/ daß ſie von et- was herruͤhre/ oder darfuͤr halten/ daß ſie ewig ge- weſen ſey/ das Letzte kan nicht ſeyn/ dieweil die Seel keine Kennung in ſich findet/ daß ſie ſich erinnert/ daß ſie ewig geweſen/ oder was ſie gethan/ ehe ſie in den Leib kommen/ hingegen verſtehet ſie gar leicht/ daß ſie von etwas herkommen/ welches hoͤher als ſie/ und entweder aller Sachen End o- der Anfang ſeyn muͤſſe. 32. Was haͤlt aber die Seel davon/ ob GOtt das Ende oder Anfang aller Sachen ſey? Pſych. Daß von allen Geſchoͤpffen und Naturen eine ſichere Ausſtrahlung gehe/ welche eine allge- meine Harmonie mache/ iſt unleugbar. Daß ſol- che Harmonie aber GOtt ſey/ die Urſach aller Ur- ſachen/ iſt darum nicht moͤglich/ dieweil dennoch wie-

Suche im Werk

Informationen zum Werk

Titeldaten
Verfügbarkeit Text (TEI-XML-, HTML-, TCF-, E-Book-Fassung): CC BY-SA 4.0.
Nutzungsbedingungen

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ^?

Language Resource Switchboard^?

Resource/URL übermitteln

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk:	https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683
URL zu dieser Seite:	https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683/79
Zitationshilfe:	Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683], S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683/79>, abgerufen am 29.11.2024.

Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer Creative-Commons-Lizenz. Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken. Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.

Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.

2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de.

Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.