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Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683].

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Seelen-Weißheit.
der von anderer Leute Gesundheit-sauffen/ sein
Leben selbsten auffgesetzt hat. Gleichwie nun
solcher gestalt viel Menschen selbsten sich um-
bringen/ und wol wissend den Tod successive ein-
sauffen/ und dennoch vor der Welt reputirlich
sterben; Also sind nicht alle die jenigen vor unehr-
lich zu erklären/ welche sich selbsten umbbringen/
es geschicht öffters auß Melancholy/ auß
Kranckheit/ auß unleidlichen Schmertzen und
allzugrosser Noth/ allwo dann solche Leute mehr
zu betrauren/ als zu schelten seyn.

144. Phil.

Du gibst mir eben ein rechtes Argument
in die Hand/ solte sich einer nicht selbsten dürffen
umbbringen/ wann er auff der Folter so grausam
gemartert wird/ daß er gestehen muß/ er hab den Tod
verdienet/ und muß durch des Henckers Hand ster-
ben/ wann er gleich nichts übels gethan hat/ son-
dern unschuldig ist/ auff solchen Fall/ weil er ja ster-
ben muß/ so ist es ja besser/ ohne Peinigung durch ei-
gene Hand/ als nach erlittener so grausamer Peini-
gung/ endlich doch durch des Henckers Hand zu
sterben/ dann der Richter wil doch haben/ daß man
sterben muß/ ob es nun durch e gene oder andere
Hände geschehe/ kan ich wenig Unter-
scheid darinnen finden.

Psych. Das Foltern ist freylich ein gefährliches/
grausames und ungewisses Werck/ die Warheit
zu erfahren/ dann wo weiß ein solcher Menschen-
Peiniger und Hencker/ was dieser oder jener vor
eine Natur hat/ ob er viel oder wenig ertragen

könne/

Seelen-Weißheit.
der von anderer Leute Geſundheit-ſauffen/ ſein
Leben ſelbſten auffgeſetzt hat. Gleichwie nun
ſolcher geſtalt viel Menſchen ſelbſten ſich um-
bringen/ und wol wiſſend den Tod ſucceſſive ein-
ſauffen/ und dennoch vor der Welt reputirlich
ſterben; Alſo ſind nicht alle die jenigen vor unehr-
lich zu erklaͤren/ welche ſich ſelbſten umbbringen/
es geſchicht oͤffters auß Melancholy/ auß
Kranckheit/ auß unleidlichen Schmertzen und
allzugroſſer Noth/ allwo dann ſolche Leute mehr
zu betrauren/ als zu ſchelten ſeyn.

144. Phil.

Du gibſt mir eben ein rechtes Argument
in die Hand/ ſolte ſich einer nicht ſelbſten duͤrffen
umbbringen/ wann er auff der Folter ſo grauſam
gemartert wird/ daß er geſtehen muß/ er hab den Tod
verdienet/ und muß durch des Henckers Hand ſter-
ben/ wann er gleich nichts uͤbels gethan hat/ ſon-
dern unſchuldig iſt/ auff ſolchen Fall/ weil er ja ſter-
ben muß/ ſo iſt es ja beſſer/ ohne Peinigung durch ei-
gene Hand/ als nach erlittener ſo grauſamer Peini-
gung/ endlich doch durch des Henckers Hand zu
ſterben/ dann der Richter wil doch haben/ daß man
ſterben muß/ ob es nun durch e gene oder andere
Haͤnde geſchehe/ kan ich wenig Unter-
ſcheid darinnen finden.

Pſych. Das Foltern iſt freylich ein gefaͤhrliches/
grauſames und ungewiſſes Werck/ die Warheit
zu erfahren/ dann wo weiß ein ſolcher Menſchen-
Peiniger und Hencker/ was dieſer oder jener vor
eine Natur hat/ ob er viel oder wenig ertragen

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[279/0337] Seelen-Weißheit. der von anderer Leute Geſundheit-ſauffen/ ſein Leben ſelbſten auffgeſetzt hat. Gleichwie nun ſolcher geſtalt viel Menſchen ſelbſten ſich um- bringen/ und wol wiſſend den Tod ſucceſſive ein- ſauffen/ und dennoch vor der Welt reputirlich ſterben; Alſo ſind nicht alle die jenigen vor unehr- lich zu erklaͤren/ welche ſich ſelbſten umbbringen/ es geſchicht oͤffters auß Melancholy/ auß Kranckheit/ auß unleidlichen Schmertzen und allzugroſſer Noth/ allwo dann ſolche Leute mehr zu betrauren/ als zu ſchelten ſeyn. 144. Phil. Du gibſt mir eben ein rechtes Argument in die Hand/ ſolte ſich einer nicht ſelbſten duͤrffen umbbringen/ wann er auff der Folter ſo grauſam gemartert wird/ daß er geſtehen muß/ er hab den Tod verdienet/ und muß durch des Henckers Hand ſter- ben/ wann er gleich nichts uͤbels gethan hat/ ſon- dern unſchuldig iſt/ auff ſolchen Fall/ weil er ja ſter- ben muß/ ſo iſt es ja beſſer/ ohne Peinigung durch ei- gene Hand/ als nach erlittener ſo grauſamer Peini- gung/ endlich doch durch des Henckers Hand zu ſterben/ dann der Richter wil doch haben/ daß man ſterben muß/ ob es nun durch e gene oder andere Haͤnde geſchehe/ kan ich wenig Unter- ſcheid darinnen finden. Pſych. Das Foltern iſt freylich ein gefaͤhrliches/ grauſames und ungewiſſes Werck/ die Warheit zu erfahren/ dann wo weiß ein ſolcher Menſchen- Peiniger und Hencker/ was dieſer oder jener vor eine Natur hat/ ob er viel oder wenig ertragen koͤnne/

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Zitationshilfe: Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683], S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683/337>, abgerufen am 22.11.2024.