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Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

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Wahlkreisgeometrie, die sie übe, sei eine Vergewaltigung der großen Mehrheit des
bayerischen Volkes." Und ebenso führte Grillenberger in einer seiner Reden in
der Session des Landtages von 1893 auf 1894 eine Reihe drastischer Beispiele
an, durch die er klar nachwies, daß die Wahlkreisgeometrie dazu diene, einen
großen Theil der Wähler um sein Wahlrecht zu prellen. Einmal wird die Wahl-
kreisgeometrie im Großen betrieben bei der Abgrenzung der Wahlkreise, dann wieder
im Kleinen innerhalb der Wahlkreise durch die Abgrenzung der Urwahlbezirke.

Obgleich nun diese Wahlkreisgeometrie offen zu Tage liegt und die schärfste
Kritik herausfordert, auch Niemand dieselbe zu vertheidigen vermag, so konnten
sich doch bisher die maßgebenden Parteien, Liberale und Zentrum, nicht über eine
Wahlreform einigen. Diese bedeutet in Bayern eine Verfassungsänderung, die eine
Zweidrittelmajorität der zweiten Kammer erfordert. Keine Partei will durch eine
vom Gesetz festgelegte Wahlkreiseintheilung zu Schaden kommen, jede will viel-
mehr möglichst viel dabei herausschlagen, und bei diesem kleinlichen Kampf werden
die wichtigsten Jnteressen des Volks hintangesetzt und die Regierung triumphirt.
Neuerdings ist es, wie überall so auch in Bayern, die Furcht vor der Sozial-
demokratie, welche die herrschenden Parteien nebst der Regierung abhält, eine Wahl-
reform vorzunehmen.

Die Wahl ist indirekt. Wahlberechtigt als Urwähler ist jeder volljährige
(über 21 Jahre alte) Staatsangehörige, der den Verfassungseid geleistet
hat
und dem Staate seit mindestens 6 Monaten eine direkte Steuer entrichtet.
Für die Ausschließung vom Wahlrecht gelten die gleichen Bestimmungen, wie bei
der Ausschließung vom Reichstagswahlrecht. Wahlmann kann nur werden, wer
alle Bedingungen als Urwähler besitzt und mindestens das 25. Lebensjahr zurück-
gelegt hat. Die Wahlmänner haben vor der Wahl der Abgeordneten einen so-
genannten Wählereid zu leisten. Jn Bayern sieht man offenbar das Wahl-
geschäft als ein sehr frommes Geschäft an, zu dessen Verrichtung es erst der
Leistung zweier Eide bedarf. Aehnliches existirt nirgends in Deutschland. Zum
Abgeordneten kann gewählt werden, wer die Qualifikation als Urwähler besitzt
und mindestens 30 Jahre alt ist.

Fast alle Einzelstaaten schreiben als wahlfähiges Alter für die Abgeordneten
das vollendete 30. Lebensjahr vor, wohingegen für die Wahl zum Reichstags-
abgeordneten - ohne Schaden für die Qualität derselben - das 25. Lebensjahr
vorgeschrieben ist.

Die Qualifikation als Wahlmann oder Abgeordneter geht verloren, sobald
eine der nöthigen Vorbedingungen verloren ist. Zur giltigen Wahl eines Ab-
geordneten ist die Anwesenheit von zwei Dritteln der Wahlmänner erforderlich.
Die Wahl erfolgt durch absolute Majorität.

Zur Geschichte des jetzt bestehenden Wahlgesetzes sei Folgendes bemerkt. Jm
Jahre 1854 versuchte das reaktionäre Ministerium v. d. Pfordten, einen Gesetz-
entwurf, betreffend die Bildung der zweiten Kammer, durchzudrücken, der eine
Rückrevidirung auf ständischer Grundlage bezweckte und die Ausübung vom Be-
kenntniß zur christlichen Religion abhängig machte. Aber dieser Gesetzentwurf
erhielt nicht die nothwendige, für Verfassungsänderungen vorgeschriebene Zwei-
drittel-Majorität. Herr v. d. Pfordten versuchte es nun mit zweimaliger Auf-
lösung der Kammer, aber die Opposition kam verstärkt zurück. Der Sturz des
Ministeriums (1858) machte dem grausamen Spiel ein Ende.

Jm April 1870 legte das Ministerium v. Braun der Kammer einen neuen
Wahlgesetzentwurf vor, der als wesentliche Verbesserung die Einführung direkter
Wahlen enthielt. Stimmberechtigt sollte jeder Staatsangehörige sein, der das
25. Lebensjahr vollendet hatte und eine direkte Staatssteuer entrichtete. Für die
Wahl zum Abgeordneten war wie bisher das vollendete 30. Lebensjahr vor-
gesehen und wurde eine mindestens dreijährige Staatsangehörigkeit verlangt.

Der inzwischen ausbrechende Krieg gegen Frankreich ließ es zu keiner end-
giltigen Entscheidung über den Entwurf kommen. Jm Jahre 1874 brachte die

Wahlkreisgeometrie, die sie übe, sei eine Vergewaltigung der großen Mehrheit des
bayerischen Volkes.“ Und ebenso führte Grillenberger in einer seiner Reden in
der Session des Landtages von 1893 auf 1894 eine Reihe drastischer Beispiele
an, durch die er klar nachwies, daß die Wahlkreisgeometrie dazu diene, einen
großen Theil der Wähler um sein Wahlrecht zu prellen. Einmal wird die Wahl-
kreisgeometrie im Großen betrieben bei der Abgrenzung der Wahlkreise, dann wieder
im Kleinen innerhalb der Wahlkreise durch die Abgrenzung der Urwahlbezirke.

Obgleich nun diese Wahlkreisgeometrie offen zu Tage liegt und die schärfste
Kritik herausfordert, auch Niemand dieselbe zu vertheidigen vermag, so konnten
sich doch bisher die maßgebenden Parteien, Liberale und Zentrum, nicht über eine
Wahlreform einigen. Diese bedeutet in Bayern eine Verfassungsänderung, die eine
Zweidrittelmajorität der zweiten Kammer erfordert. Keine Partei will durch eine
vom Gesetz festgelegte Wahlkreiseintheilung zu Schaden kommen, jede will viel-
mehr möglichst viel dabei herausschlagen, und bei diesem kleinlichen Kampf werden
die wichtigsten Jnteressen des Volks hintangesetzt und die Regierung triumphirt.
Neuerdings ist es, wie überall so auch in Bayern, die Furcht vor der Sozial-
demokratie, welche die herrschenden Parteien nebst der Regierung abhält, eine Wahl-
reform vorzunehmen.

Die Wahl ist indirekt. Wahlberechtigt als Urwähler ist jeder volljährige
(über 21 Jahre alte) Staatsangehörige, der den Verfassungseid geleistet
hat
und dem Staate seit mindestens 6 Monaten eine direkte Steuer entrichtet.
Für die Ausschließung vom Wahlrecht gelten die gleichen Bestimmungen, wie bei
der Ausschließung vom Reichstagswahlrecht. Wahlmann kann nur werden, wer
alle Bedingungen als Urwähler besitzt und mindestens das 25. Lebensjahr zurück-
gelegt hat. Die Wahlmänner haben vor der Wahl der Abgeordneten einen so-
genannten Wählereid zu leisten. Jn Bayern sieht man offenbar das Wahl-
geschäft als ein sehr frommes Geschäft an, zu dessen Verrichtung es erst der
Leistung zweier Eide bedarf. Aehnliches existirt nirgends in Deutschland. Zum
Abgeordneten kann gewählt werden, wer die Qualifikation als Urwähler besitzt
und mindestens 30 Jahre alt ist.

Fast alle Einzelstaaten schreiben als wahlfähiges Alter für die Abgeordneten
das vollendete 30. Lebensjahr vor, wohingegen für die Wahl zum Reichstags-
abgeordneten – ohne Schaden für die Qualität derselben – das 25. Lebensjahr
vorgeschrieben ist.

Die Qualifikation als Wahlmann oder Abgeordneter geht verloren, sobald
eine der nöthigen Vorbedingungen verloren ist. Zur giltigen Wahl eines Ab-
geordneten ist die Anwesenheit von zwei Dritteln der Wahlmänner erforderlich.
Die Wahl erfolgt durch absolute Majorität.

Zur Geschichte des jetzt bestehenden Wahlgesetzes sei Folgendes bemerkt. Jm
Jahre 1854 versuchte das reaktionäre Ministerium v. d. Pfordten, einen Gesetz-
entwurf, betreffend die Bildung der zweiten Kammer, durchzudrücken, der eine
Rückrevidirung auf ständischer Grundlage bezweckte und die Ausübung vom Be-
kenntniß zur christlichen Religion abhängig machte. Aber dieser Gesetzentwurf
erhielt nicht die nothwendige, für Verfassungsänderungen vorgeschriebene Zwei-
drittel-Majorität. Herr v. d. Pfordten versuchte es nun mit zweimaliger Auf-
lösung der Kammer, aber die Opposition kam verstärkt zurück. Der Sturz des
Ministeriums (1858) machte dem grausamen Spiel ein Ende.

Jm April 1870 legte das Ministerium v. Braun der Kammer einen neuen
Wahlgesetzentwurf vor, der als wesentliche Verbesserung die Einführung direkter
Wahlen enthielt. Stimmberechtigt sollte jeder Staatsangehörige sein, der das
25. Lebensjahr vollendet hatte und eine direkte Staatssteuer entrichtete. Für die
Wahl zum Abgeordneten war wie bisher das vollendete 30. Lebensjahr vor-
gesehen und wurde eine mindestens dreijährige Staatsangehörigkeit verlangt.

Der inzwischen ausbrechende Krieg gegen Frankreich ließ es zu keiner end-
giltigen Entscheidung über den Entwurf kommen. Jm Jahre 1874 brachte die

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[31/0035] Wahlkreisgeometrie, die sie übe, sei eine Vergewaltigung der großen Mehrheit des bayerischen Volkes.“ Und ebenso führte Grillenberger in einer seiner Reden in der Session des Landtages von 1893 auf 1894 eine Reihe drastischer Beispiele an, durch die er klar nachwies, daß die Wahlkreisgeometrie dazu diene, einen großen Theil der Wähler um sein Wahlrecht zu prellen. Einmal wird die Wahl- kreisgeometrie im Großen betrieben bei der Abgrenzung der Wahlkreise, dann wieder im Kleinen innerhalb der Wahlkreise durch die Abgrenzung der Urwahlbezirke. Obgleich nun diese Wahlkreisgeometrie offen zu Tage liegt und die schärfste Kritik herausfordert, auch Niemand dieselbe zu vertheidigen vermag, so konnten sich doch bisher die maßgebenden Parteien, Liberale und Zentrum, nicht über eine Wahlreform einigen. Diese bedeutet in Bayern eine Verfassungsänderung, die eine Zweidrittelmajorität der zweiten Kammer erfordert. Keine Partei will durch eine vom Gesetz festgelegte Wahlkreiseintheilung zu Schaden kommen, jede will viel- mehr möglichst viel dabei herausschlagen, und bei diesem kleinlichen Kampf werden die wichtigsten Jnteressen des Volks hintangesetzt und die Regierung triumphirt. Neuerdings ist es, wie überall so auch in Bayern, die Furcht vor der Sozial- demokratie, welche die herrschenden Parteien nebst der Regierung abhält, eine Wahl- reform vorzunehmen. Die Wahl ist indirekt. Wahlberechtigt als Urwähler ist jeder volljährige (über 21 Jahre alte) Staatsangehörige, der den Verfassungseid geleistet hat und dem Staate seit mindestens 6 Monaten eine direkte Steuer entrichtet. Für die Ausschließung vom Wahlrecht gelten die gleichen Bestimmungen, wie bei der Ausschließung vom Reichstagswahlrecht. Wahlmann kann nur werden, wer alle Bedingungen als Urwähler besitzt und mindestens das 25. Lebensjahr zurück- gelegt hat. Die Wahlmänner haben vor der Wahl der Abgeordneten einen so- genannten Wählereid zu leisten. Jn Bayern sieht man offenbar das Wahl- geschäft als ein sehr frommes Geschäft an, zu dessen Verrichtung es erst der Leistung zweier Eide bedarf. Aehnliches existirt nirgends in Deutschland. Zum Abgeordneten kann gewählt werden, wer die Qualifikation als Urwähler besitzt und mindestens 30 Jahre alt ist. Fast alle Einzelstaaten schreiben als wahlfähiges Alter für die Abgeordneten das vollendete 30. Lebensjahr vor, wohingegen für die Wahl zum Reichstags- abgeordneten – ohne Schaden für die Qualität derselben – das 25. Lebensjahr vorgeschrieben ist. Die Qualifikation als Wahlmann oder Abgeordneter geht verloren, sobald eine der nöthigen Vorbedingungen verloren ist. Zur giltigen Wahl eines Ab- geordneten ist die Anwesenheit von zwei Dritteln der Wahlmänner erforderlich. Die Wahl erfolgt durch absolute Majorität. Zur Geschichte des jetzt bestehenden Wahlgesetzes sei Folgendes bemerkt. Jm Jahre 1854 versuchte das reaktionäre Ministerium v. d. Pfordten, einen Gesetz- entwurf, betreffend die Bildung der zweiten Kammer, durchzudrücken, der eine Rückrevidirung auf ständischer Grundlage bezweckte und die Ausübung vom Be- kenntniß zur christlichen Religion abhängig machte. Aber dieser Gesetzentwurf erhielt nicht die nothwendige, für Verfassungsänderungen vorgeschriebene Zwei- drittel-Majorität. Herr v. d. Pfordten versuchte es nun mit zweimaliger Auf- lösung der Kammer, aber die Opposition kam verstärkt zurück. Der Sturz des Ministeriums (1858) machte dem grausamen Spiel ein Ende. Jm April 1870 legte das Ministerium v. Braun der Kammer einen neuen Wahlgesetzentwurf vor, der als wesentliche Verbesserung die Einführung direkter Wahlen enthielt. Stimmberechtigt sollte jeder Staatsangehörige sein, der das 25. Lebensjahr vollendet hatte und eine direkte Staatssteuer entrichtete. Für die Wahl zum Abgeordneten war wie bisher das vollendete 30. Lebensjahr vor- gesehen und wurde eine mindestens dreijährige Staatsangehörigkeit verlangt. Der inzwischen ausbrechende Krieg gegen Frankreich ließ es zu keiner end- giltigen Entscheidung über den Entwurf kommen. Jm Jahre 1874 brachte die

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-10-30T15:09:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-10-30T15:09:45Z)

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Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/35>, abgerufen am 24.11.2024.