Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Er versprach weiter darauf zurückzukommen, wenn die Wahlreform-Vorlage
vorliege und hoffte, daß man zu einer Verständigung kommen werde.

Nun! Die Wahlrechtsvorlage kam! Die Vorlage der Regierung war aber weit
entfernt davon, dem plutokratischen Charakter, den das Wahlrecht für die erste und
zweite Wählerklasse erlangt hatte, abzuhelfen. Sie schlug zwar, wie schon erwähnt,
vor, daß für die Berechnung der Steuerbeträge in den Wahlbezirken nicht mehr
die Drittelung, sondern die Zwölftelung maßgebend sein sollte, dergestalt, daß
von dem Gesammtsteuerertrag eines Bezirks die erste Klasse 5, die zweite 4, die
dritte 3 Zwölftel aufzubringen habe. Aber die neue Eintheilung veränderte nur
in sehr unbedeutendem Maße die Zahl der Wähler in der ersten und zweiten
Klasse und hatte für die dritte Klasse gar keinen Werth, da diese nach wie vor
die enorme Mehrzahl der Wähler umschloß. Das zeigten schlagend die Er-
hebungen, welche die Regierung über den Einfluß der Zwölftelung in einigen
Probewahlkreisen vornehmen ließ, um ein Urtheil über die Wirkung des Systems
zu bekommen. Ausgewählt wurden für die Großstädte: Berlin II. und Köln; für
größere und kleinere Mittelstädte: Krefeld-Neisse und Greifswald; für ländliche
Kreise mit überwiegendem Großgrundbesitz: Grimmen-Greifswald, mit überwiegendem
bäuerlichem Grundbesitz: Schlawe-Rummelsburg. Wir stellen die Ergebnisse hier
neben einander, indem für 1888 die thatsächliche Gestaltung der Wahlen, für
1892 die unveränderte Anwendung des Gesetzes von 1891 und das System der
Zwölftelung, beides unter der Annahme von Dreimark-Wählern vorausgesetzt wird

System der DrittelungSystem
der Zwölftelung
18881892 (bezirksweise)
I.II.III.I.II.III.I.II.III.
Schlawe-Rummelsburg3,3511,8384,823,5814,1782,255,1319,8974,98
Grimmen-Greifswald2,788,8288,402,678,6088,733,9012,1283,98
Stadt Greifswald3,0310,0186,963,5810,1086,325,2013,0181,79
Stadtkreis Köln2,218,8188,982,268,3289,423,4111,7584,84
Stadtkreis Krefeld2,548,4788,992,368,5889,063,6112,3084,09
Stadtkreis Berlin II.1,256,7592,001,597,1391,282,3111,3586,34
Neisse-Grottkau3,388,7587,873,6010,7285,685,2114,4280,37
Stadt Neisse4,0310,4285,553,779,9786,265,3712,5882,05

Das Resultat der Zwölftelung im Gesetz wäre also gewesen, daß die
Wählerzahl in der ersten und zweiten Klasse ein wenig größer, und dementsprechend
die Wählerzahl der 3. Klasse ein wenig kleiner geworden wäre. Aber was hat
es für einen Einfluß auf den Ausgang der Wahl, wenn künftig statt 82,25 pCt.
der gesammten Wählerschaft 74,98 pCt. - das ist der stärkste Unterschied, der
sich bei der Probeaufstellung ergab - zur dritten Klasse gehört? Jn den sieben
anderen Probewahlkreisen sind die Unterschiede noch weit geringer. Es erscheint
als ein schlechter Scherz, das eine "Reform" zu nennen. Als dann das Herrenhaus
die Drittelung wieder hergestellt hatte, der schließlich das Abgeordnetenhaus zu-
stimmte, beeilte sich die Regierung ebenfalls, diese Aenderung mit den anderen, welche
sowohl den plutokratischen wie den agrarischen Charakter der Wahlrechtsvertheilung
auf die höchste Spitze trieben, zu akzeptiren. Sie nahm das neue Gesetz sogar
mit einer Eile in die Gesetzessammlung auf, die im höchsten Grade auffällig war.

Von einer Opposition des Herrn Miquel gegen den plutokratisch-agrarischen
Charakter des neuen Gesetzes hörte man nichts. Wer will auch von einem Dorn-
strauch Feigen lesen?

Abgesehen von den Reformen zu Gunsten der Kapitalisten und Agrarier,
die am Dreiklassenwahlsystem vorgenommen wurden, mußte allein schon die wirth-
schaftliche Entwicklung innerhalb der letzten Jahrzehnte das System zu Gunsten
der reichen Klassen auf Kosten der Minderbemittelten beeinflussen. Das zeigt ein
Blick auf die Einkommensvertheilung innerhalb des erwähnten Zeitraums. Nach

2

Er versprach weiter darauf zurückzukommen, wenn die Wahlreform-Vorlage
vorliege und hoffte, daß man zu einer Verständigung kommen werde.

Nun! Die Wahlrechtsvorlage kam! Die Vorlage der Regierung war aber weit
entfernt davon, dem plutokratischen Charakter, den das Wahlrecht für die erste und
zweite Wählerklasse erlangt hatte, abzuhelfen. Sie schlug zwar, wie schon erwähnt,
vor, daß für die Berechnung der Steuerbeträge in den Wahlbezirken nicht mehr
die Drittelung, sondern die Zwölftelung maßgebend sein sollte, dergestalt, daß
von dem Gesammtsteuerertrag eines Bezirks die erste Klasse 5, die zweite 4, die
dritte 3 Zwölftel aufzubringen habe. Aber die neue Eintheilung veränderte nur
in sehr unbedeutendem Maße die Zahl der Wähler in der ersten und zweiten
Klasse und hatte für die dritte Klasse gar keinen Werth, da diese nach wie vor
die enorme Mehrzahl der Wähler umschloß. Das zeigten schlagend die Er-
hebungen, welche die Regierung über den Einfluß der Zwölftelung in einigen
Probewahlkreisen vornehmen ließ, um ein Urtheil über die Wirkung des Systems
zu bekommen. Ausgewählt wurden für die Großstädte: Berlin II. und Köln; für
größere und kleinere Mittelstädte: Krefeld-Neisse und Greifswald; für ländliche
Kreise mit überwiegendem Großgrundbesitz: Grimmen-Greifswald, mit überwiegendem
bäuerlichem Grundbesitz: Schlawe-Rummelsburg. Wir stellen die Ergebnisse hier
neben einander, indem für 1888 die thatsächliche Gestaltung der Wahlen, für
1892 die unveränderte Anwendung des Gesetzes von 1891 und das System der
Zwölftelung, beides unter der Annahme von Dreimark-Wählern vorausgesetzt wird

System der DrittelungSystem
der Zwölftelung
18881892 (bezirksweise)
I.II.III.I.II.III.I.II.III.
Schlawe-Rummelsburg3,3511,8384,823,5814,1782,255,1319,8974,98
Grimmen-Greifswald2,788,8288,402,678,6088,733,9012,1283,98
Stadt Greifswald3,0310,0186,963,5810,1086,325,2013,0181,79
Stadtkreis Köln2,218,8188,982,268,3289,423,4111,7584,84
Stadtkreis Krefeld2,548,4788,992,368,5889,063,6112,3084,09
Stadtkreis Berlin II.1,256,7592,001,597,1391,282,3111,3586,34
Neisse-Grottkau3,388,7587,873,6010,7285,685,2114,4280,37
Stadt Neisse4,0310,4285,553,779,9786,265,3712,5882,05

Das Resultat der Zwölftelung im Gesetz wäre also gewesen, daß die
Wählerzahl in der ersten und zweiten Klasse ein wenig größer, und dementsprechend
die Wählerzahl der 3. Klasse ein wenig kleiner geworden wäre. Aber was hat
es für einen Einfluß auf den Ausgang der Wahl, wenn künftig statt 82,25 pCt.
der gesammten Wählerschaft 74,98 pCt. – das ist der stärkste Unterschied, der
sich bei der Probeaufstellung ergab – zur dritten Klasse gehört? Jn den sieben
anderen Probewahlkreisen sind die Unterschiede noch weit geringer. Es erscheint
als ein schlechter Scherz, das eine „Reform“ zu nennen. Als dann das Herrenhaus
die Drittelung wieder hergestellt hatte, der schließlich das Abgeordnetenhaus zu-
stimmte, beeilte sich die Regierung ebenfalls, diese Aenderung mit den anderen, welche
sowohl den plutokratischen wie den agrarischen Charakter der Wahlrechtsvertheilung
auf die höchste Spitze trieben, zu akzeptiren. Sie nahm das neue Gesetz sogar
mit einer Eile in die Gesetzessammlung auf, die im höchsten Grade auffällig war.

Von einer Opposition des Herrn Miquel gegen den plutokratisch-agrarischen
Charakter des neuen Gesetzes hörte man nichts. Wer will auch von einem Dorn-
strauch Feigen lesen?

Abgesehen von den Reformen zu Gunsten der Kapitalisten und Agrarier,
die am Dreiklassenwahlsystem vorgenommen wurden, mußte allein schon die wirth-
schaftliche Entwicklung innerhalb der letzten Jahrzehnte das System zu Gunsten
der reichen Klassen auf Kosten der Minderbemittelten beeinflussen. Das zeigt ein
Blick auf die Einkommensvertheilung innerhalb des erwähnten Zeitraums. Nach

2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0021" n="17"/>
        <p>Er versprach weiter darauf zurückzukommen, wenn die Wahlreform-Vorlage<lb/>
vorliege und hoffte, daß man zu einer Verständigung kommen werde.</p><lb/>
        <p>Nun! Die Wahlrechtsvorlage kam! Die Vorlage der Regierung war aber weit<lb/>
entfernt davon, dem plutokratischen Charakter, den das Wahlrecht für die erste und<lb/>
zweite Wählerklasse erlangt hatte, abzuhelfen. Sie schlug zwar, wie schon erwähnt,<lb/>
vor, daß für die Berechnung der Steuerbeträge in den Wahlbezirken nicht mehr<lb/>
die Drittelung, sondern die <hi rendition="#g">Zwölftelung</hi> maßgebend sein sollte, dergestalt, daß<lb/>
von dem Gesammtsteuerertrag eines Bezirks die erste Klasse 5, die zweite 4, die<lb/>
dritte 3 Zwölftel aufzubringen habe. Aber die neue Eintheilung veränderte nur<lb/>
in sehr unbedeutendem Maße die Zahl der Wähler in der ersten und zweiten<lb/>
Klasse und hatte für die dritte Klasse <hi rendition="#g">gar keinen</hi> Werth, da diese nach wie vor<lb/>
die enorme Mehrzahl der Wähler umschloß. Das zeigten schlagend die Er-<lb/>
hebungen, welche die Regierung über den Einfluß der Zwölftelung in einigen<lb/>
Probewahlkreisen vornehmen ließ, um ein Urtheil über die Wirkung des Systems<lb/>
zu bekommen. Ausgewählt wurden für die Großstädte: Berlin <hi rendition="#aq">II</hi>. und Köln; für<lb/>
größere und kleinere Mittelstädte: Krefeld-Neisse und Greifswald; für ländliche<lb/>
Kreise mit überwiegendem Großgrundbesitz: Grimmen-Greifswald, mit überwiegendem<lb/>
bäuerlichem Grundbesitz: Schlawe-Rummelsburg. Wir stellen die Ergebnisse hier<lb/>
neben einander, indem für 1888 die thatsächliche Gestaltung der Wahlen, für<lb/>
1892 die unveränderte Anwendung des Gesetzes von 1891 und das System der<lb/>
Zwölftelung, beides unter der Annahme von Dreimark-Wählern vorausgesetzt wird</p><lb/>
        <table>
          <row>
            <cell> <hi rendition="#g">System der Drittelung</hi> </cell>
            <cell rows="2" cols="1">System<lb/>
der Zwölftelung</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell/>
            <cell> <hi rendition="#g">1888</hi> </cell>
            <cell>1892 (bezirksweise)</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell/>
            <cell><hi rendition="#aq">I</hi>.</cell>
            <cell><hi rendition="#aq">II</hi>.</cell>
            <cell><hi rendition="#aq">III</hi>.</cell>
            <cell><hi rendition="#aq">I</hi>.</cell>
            <cell><hi rendition="#aq">II</hi>.</cell>
            <cell><hi rendition="#aq">III</hi>.</cell>
            <cell><hi rendition="#aq">I</hi>.</cell>
            <cell><hi rendition="#aq">II</hi>.</cell>
            <cell><hi rendition="#aq">III</hi>.</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>Schlawe-Rummelsburg</cell>
            <cell>3,35</cell>
            <cell>11,83</cell>
            <cell>84,82</cell>
            <cell>3,58</cell>
            <cell>14,17</cell>
            <cell>82,25</cell>
            <cell>5,13</cell>
            <cell>19,89</cell>
            <cell>74,98</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>Grimmen-Greifswald</cell>
            <cell>2,78</cell>
            <cell>8,82</cell>
            <cell>88,40</cell>
            <cell>2,67</cell>
            <cell>8,60</cell>
            <cell>88,73</cell>
            <cell>3,90</cell>
            <cell>12,12</cell>
            <cell>83,98</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>Stadt Greifswald</cell>
            <cell>3,03</cell>
            <cell>10,01</cell>
            <cell>86,96</cell>
            <cell>3,58</cell>
            <cell>10,10</cell>
            <cell>86,32</cell>
            <cell>5,20</cell>
            <cell>13,01</cell>
            <cell>81,79</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>Stadtkreis Köln</cell>
            <cell>2,21</cell>
            <cell>8,81</cell>
            <cell>88,98</cell>
            <cell>2,26</cell>
            <cell>8,32</cell>
            <cell>89,42</cell>
            <cell>3,41</cell>
            <cell>11,75</cell>
            <cell>84,84</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>Stadtkreis Krefeld</cell>
            <cell>2,54</cell>
            <cell>8,47</cell>
            <cell>88,99</cell>
            <cell>2,36</cell>
            <cell>8,58</cell>
            <cell>89,06</cell>
            <cell>3,61</cell>
            <cell>12,30</cell>
            <cell>84,09</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>Stadtkreis Berlin <hi rendition="#aq">II</hi>.</cell>
            <cell>1,25</cell>
            <cell>6,75</cell>
            <cell>92,00</cell>
            <cell>1,59</cell>
            <cell>7,13</cell>
            <cell>91,28</cell>
            <cell>2,31</cell>
            <cell>11,35</cell>
            <cell>86,34</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>Neisse-Grottkau</cell>
            <cell>3,38</cell>
            <cell>8,75</cell>
            <cell>87,87</cell>
            <cell>3,60</cell>
            <cell>10,72</cell>
            <cell>85,68</cell>
            <cell>5,21</cell>
            <cell>14,42</cell>
            <cell>80,37</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>Stadt Neisse</cell>
            <cell>4,03</cell>
            <cell>10,42</cell>
            <cell>85,55</cell>
            <cell>3,77</cell>
            <cell>9,97</cell>
            <cell>86,26</cell>
            <cell>5,37</cell>
            <cell>12,58</cell>
            <cell>82,05</cell>
          </row><lb/>
        </table>
        <p>Das Resultat der Zwölftelung im Gesetz wäre also gewesen, daß die<lb/>
Wählerzahl in der ersten und zweiten Klasse ein wenig größer, und dementsprechend<lb/>
die Wählerzahl der 3. Klasse ein wenig kleiner geworden wäre. Aber was hat<lb/>
es für einen Einfluß auf den Ausgang der Wahl, wenn künftig statt 82,25 pCt.<lb/>
der gesammten Wählerschaft 74,98 pCt. &#x2013; das ist der stärkste Unterschied, der<lb/>
sich bei der Probeaufstellung ergab &#x2013; zur dritten Klasse gehört? Jn den sieben<lb/>
anderen Probewahlkreisen sind die Unterschiede noch weit geringer. Es erscheint<lb/>
als ein schlechter Scherz, das eine &#x201E;Reform&#x201C; zu nennen. Als dann das Herrenhaus<lb/>
die Drittelung wieder hergestellt hatte, der schließlich das Abgeordnetenhaus zu-<lb/>
stimmte, beeilte sich die Regierung ebenfalls, diese Aenderung mit den anderen, welche<lb/>
sowohl den plutokratischen wie den agrarischen Charakter der Wahlrechtsvertheilung<lb/>
auf die höchste Spitze trieben, zu akzeptiren. Sie nahm das neue Gesetz sogar<lb/>
mit einer Eile in die Gesetzessammlung auf, die im höchsten Grade auffällig war.</p><lb/>
        <p>Von einer Opposition des Herrn Miquel gegen den plutokratisch-agrarischen<lb/>
Charakter des neuen Gesetzes hörte man nichts. Wer will auch von einem Dorn-<lb/>
strauch Feigen lesen?</p><lb/>
        <p>Abgesehen von den Reformen zu Gunsten der Kapitalisten und Agrarier,<lb/>
die am Dreiklassenwahlsystem vorgenommen wurden, mußte allein schon die wirth-<lb/>
schaftliche Entwicklung innerhalb der letzten Jahrzehnte das System zu Gunsten<lb/>
der reichen Klassen auf Kosten der Minderbemittelten beeinflussen. Das zeigt ein<lb/>
Blick auf die Einkommensvertheilung innerhalb des erwähnten Zeitraums. Nach<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0021] Er versprach weiter darauf zurückzukommen, wenn die Wahlreform-Vorlage vorliege und hoffte, daß man zu einer Verständigung kommen werde. Nun! Die Wahlrechtsvorlage kam! Die Vorlage der Regierung war aber weit entfernt davon, dem plutokratischen Charakter, den das Wahlrecht für die erste und zweite Wählerklasse erlangt hatte, abzuhelfen. Sie schlug zwar, wie schon erwähnt, vor, daß für die Berechnung der Steuerbeträge in den Wahlbezirken nicht mehr die Drittelung, sondern die Zwölftelung maßgebend sein sollte, dergestalt, daß von dem Gesammtsteuerertrag eines Bezirks die erste Klasse 5, die zweite 4, die dritte 3 Zwölftel aufzubringen habe. Aber die neue Eintheilung veränderte nur in sehr unbedeutendem Maße die Zahl der Wähler in der ersten und zweiten Klasse und hatte für die dritte Klasse gar keinen Werth, da diese nach wie vor die enorme Mehrzahl der Wähler umschloß. Das zeigten schlagend die Er- hebungen, welche die Regierung über den Einfluß der Zwölftelung in einigen Probewahlkreisen vornehmen ließ, um ein Urtheil über die Wirkung des Systems zu bekommen. Ausgewählt wurden für die Großstädte: Berlin II. und Köln; für größere und kleinere Mittelstädte: Krefeld-Neisse und Greifswald; für ländliche Kreise mit überwiegendem Großgrundbesitz: Grimmen-Greifswald, mit überwiegendem bäuerlichem Grundbesitz: Schlawe-Rummelsburg. Wir stellen die Ergebnisse hier neben einander, indem für 1888 die thatsächliche Gestaltung der Wahlen, für 1892 die unveränderte Anwendung des Gesetzes von 1891 und das System der Zwölftelung, beides unter der Annahme von Dreimark-Wählern vorausgesetzt wird System der Drittelung System der Zwölftelung 1888 1892 (bezirksweise) I. II. III. I. II. III. I. II. III. Schlawe-Rummelsburg 3,35 11,83 84,82 3,58 14,17 82,25 5,13 19,89 74,98 Grimmen-Greifswald 2,78 8,82 88,40 2,67 8,60 88,73 3,90 12,12 83,98 Stadt Greifswald 3,03 10,01 86,96 3,58 10,10 86,32 5,20 13,01 81,79 Stadtkreis Köln 2,21 8,81 88,98 2,26 8,32 89,42 3,41 11,75 84,84 Stadtkreis Krefeld 2,54 8,47 88,99 2,36 8,58 89,06 3,61 12,30 84,09 Stadtkreis Berlin II. 1,25 6,75 92,00 1,59 7,13 91,28 2,31 11,35 86,34 Neisse-Grottkau 3,38 8,75 87,87 3,60 10,72 85,68 5,21 14,42 80,37 Stadt Neisse 4,03 10,42 85,55 3,77 9,97 86,26 5,37 12,58 82,05 Das Resultat der Zwölftelung im Gesetz wäre also gewesen, daß die Wählerzahl in der ersten und zweiten Klasse ein wenig größer, und dementsprechend die Wählerzahl der 3. Klasse ein wenig kleiner geworden wäre. Aber was hat es für einen Einfluß auf den Ausgang der Wahl, wenn künftig statt 82,25 pCt. der gesammten Wählerschaft 74,98 pCt. – das ist der stärkste Unterschied, der sich bei der Probeaufstellung ergab – zur dritten Klasse gehört? Jn den sieben anderen Probewahlkreisen sind die Unterschiede noch weit geringer. Es erscheint als ein schlechter Scherz, das eine „Reform“ zu nennen. Als dann das Herrenhaus die Drittelung wieder hergestellt hatte, der schließlich das Abgeordnetenhaus zu- stimmte, beeilte sich die Regierung ebenfalls, diese Aenderung mit den anderen, welche sowohl den plutokratischen wie den agrarischen Charakter der Wahlrechtsvertheilung auf die höchste Spitze trieben, zu akzeptiren. Sie nahm das neue Gesetz sogar mit einer Eile in die Gesetzessammlung auf, die im höchsten Grade auffällig war. Von einer Opposition des Herrn Miquel gegen den plutokratisch-agrarischen Charakter des neuen Gesetzes hörte man nichts. Wer will auch von einem Dorn- strauch Feigen lesen? Abgesehen von den Reformen zu Gunsten der Kapitalisten und Agrarier, die am Dreiklassenwahlsystem vorgenommen wurden, mußte allein schon die wirth- schaftliche Entwicklung innerhalb der letzten Jahrzehnte das System zu Gunsten der reichen Klassen auf Kosten der Minderbemittelten beeinflussen. Das zeigt ein Blick auf die Einkommensvertheilung innerhalb des erwähnten Zeitraums. Nach 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-10-30T15:09:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-10-30T15:09:45Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/21
Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/21>, abgerufen am 24.11.2024.