Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

daß das Ausschließungssystem im Geiste der damaligen, das Um-
fassungs- und Freiheitssystem im Geiste der jetzigen Zeit liegt.
Es kommt dazu, daß noch jetzt jene Zünfte und Gilden, obschon
nicht in der alten Schroffheit mit diesem neuern Gewerbsgeiste und
mit diesen freien Gesellschaften in Concurrenz stehen. Allein sie
sind mit dem Prinzipe der Verkehrsfreiheit unverträglich und deß-
halb bedeutenden Modificationen zu unterwerfen. Sie hatten bei
ihrer Entstehung im Mittelalter außer dem Zwecke der politischen
Reaction (damals der bedeutendste, jetzt aber völlig nichtig, aus-
genommen in den momentanen Vereinigungen der Arbeiter unserer
Zeit), noch die besondern wirthschaftlichen der Sicherheit des
Unterhalts der Handwerksklasse, der Erhaltung und Erhöhung der
Gewerkskunst, und den moralischen der Pflege der Sittlichkeit und
des Gemeinsinnes der Meister, Gesellen und Jungen. Allein so
gut auch diese Zwecke an und für sich waren, so liegt doch wenig-
stens in jetziger Zeit in den dazu angewendeten Mitteln zum Theile
unmittelbarer Schaden, zum Theile aber auch der Fehler, daß sie
die vorgesetzten Zwecke nicht ganz erreichen. Denn 1) was die
Sicherheit des Unterhaltes anbelangt, so spricht gegen die
Zunftsatzungen der Umstand, daß sich der Absatz der Gewerkspro-
ducte aus verschiedenen Ursachen bei einem Meister sehr erweitern
kann und in Modehandwerken immer erweitert, indem er bei an-
dern sinkt und ganz verschwindet, daher auch die Festsetzung einer
bestimmten Meisterzahl die Sicherheit ihrer Unterhaltung nicht
bewirkt, und, wenn auch vielleicht einmal für die Gegenwart, doch
nicht für die Zukunft. Die Beschränkungen der Erwerbung des
Meisterrechtes erreichen wegen der vielen Mißbräuche dabei ihren
Zweck nicht und schaden noch insoferne, als sie die Concurrenz ver-
mindern, woraus nicht selten Verschlechterung, stets aber Ver-
theuerung der Producte hervorgeht. Was 2) die Erhaltung und
Erhöhung der Geschicklichkeit
anbelangt, so ist bei manchen
Gewerken die Lehrzeit zu lang, der Unterricht mangelhaft, die
Behandlung der Lehrlinge schlecht, der Gewerbswechsel erschwert,
die Einführung von Maschinen gehindert, und das Wandern zwar
nützlich, aber die Prüfung durch das Meisterstück unzureichend und
zu viele Partheilichkeit vorherrschend, so daß geschickte Männer
verdrängt, dagegen viele ungeschickte zugelassen werden. 3) Die
moralischen Zwecke sind ohne Zweifel sehr gut, allein der er-
wünschte Gemeinsinn geht in einem verwünschten Corporationsgeist
über und manche Mittel dazu, als Abhaltung der unehelichen
Kinder und Juden vom Handwerke, sinnlose und unsittliche Ge-
bräuche der Bruderschaft, Oppositionsgeist u. dgl., widersprechen

daß das Ausſchließungsſyſtem im Geiſte der damaligen, das Um-
faſſungs- und Freiheitsſyſtem im Geiſte der jetzigen Zeit liegt.
Es kommt dazu, daß noch jetzt jene Zünfte und Gilden, obſchon
nicht in der alten Schroffheit mit dieſem neuern Gewerbsgeiſte und
mit dieſen freien Geſellſchaften in Concurrenz ſtehen. Allein ſie
ſind mit dem Prinzipe der Verkehrsfreiheit unverträglich und deß-
halb bedeutenden Modificationen zu unterwerfen. Sie hatten bei
ihrer Entſtehung im Mittelalter außer dem Zwecke der politiſchen
Reaction (damals der bedeutendſte, jetzt aber völlig nichtig, aus-
genommen in den momentanen Vereinigungen der Arbeiter unſerer
Zeit), noch die beſondern wirthſchaftlichen der Sicherheit des
Unterhalts der Handwerksklaſſe, der Erhaltung und Erhöhung der
Gewerkskunſt, und den moraliſchen der Pflege der Sittlichkeit und
des Gemeinſinnes der Meiſter, Geſellen und Jungen. Allein ſo
gut auch dieſe Zwecke an und für ſich waren, ſo liegt doch wenig-
ſtens in jetziger Zeit in den dazu angewendeten Mitteln zum Theile
unmittelbarer Schaden, zum Theile aber auch der Fehler, daß ſie
die vorgeſetzten Zwecke nicht ganz erreichen. Denn 1) was die
Sicherheit des Unterhaltes anbelangt, ſo ſpricht gegen die
Zunftſatzungen der Umſtand, daß ſich der Abſatz der Gewerkspro-
ducte aus verſchiedenen Urſachen bei einem Meiſter ſehr erweitern
kann und in Modehandwerken immer erweitert, indem er bei an-
dern ſinkt und ganz verſchwindet, daher auch die Feſtſetzung einer
beſtimmten Meiſterzahl die Sicherheit ihrer Unterhaltung nicht
bewirkt, und, wenn auch vielleicht einmal für die Gegenwart, doch
nicht für die Zukunft. Die Beſchränkungen der Erwerbung des
Meiſterrechtes erreichen wegen der vielen Mißbräuche dabei ihren
Zweck nicht und ſchaden noch inſoferne, als ſie die Concurrenz ver-
mindern, woraus nicht ſelten Verſchlechterung, ſtets aber Ver-
theuerung der Producte hervorgeht. Was 2) die Erhaltung und
Erhöhung der Geſchicklichkeit
anbelangt, ſo iſt bei manchen
Gewerken die Lehrzeit zu lang, der Unterricht mangelhaft, die
Behandlung der Lehrlinge ſchlecht, der Gewerbswechſel erſchwert,
die Einführung von Maſchinen gehindert, und das Wandern zwar
nützlich, aber die Prüfung durch das Meiſterſtück unzureichend und
zu viele Partheilichkeit vorherrſchend, ſo daß geſchickte Männer
verdrängt, dagegen viele ungeſchickte zugelaſſen werden. 3) Die
moraliſchen Zwecke ſind ohne Zweifel ſehr gut, allein der er-
wünſchte Gemeinſinn geht in einem verwünſchten Corporationsgeiſt
über und manche Mittel dazu, als Abhaltung der unehelichen
Kinder und Juden vom Handwerke, ſinnloſe und unſittliche Ge-
bräuche der Bruderſchaft, Oppoſitionsgeiſt u. dgl., widerſprechen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0694" n="672"/>
daß das Aus&#x017F;chließungs&#x017F;y&#x017F;tem im Gei&#x017F;te der damaligen, das Um-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ungs- und Freiheits&#x017F;y&#x017F;tem im Gei&#x017F;te der jetzigen Zeit liegt.<lb/>
Es kommt dazu, daß noch jetzt jene Zünfte und Gilden, ob&#x017F;chon<lb/>
nicht in der alten Schroffheit mit die&#x017F;em neuern Gewerbsgei&#x017F;te und<lb/>
mit die&#x017F;en freien Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften in Concurrenz &#x017F;tehen. Allein &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind mit dem Prinzipe der Verkehrsfreiheit unverträglich und deß-<lb/>
halb bedeutenden Modificationen zu unterwerfen. Sie hatten bei<lb/>
ihrer Ent&#x017F;tehung im Mittelalter außer dem Zwecke der politi&#x017F;chen<lb/>
Reaction (damals der bedeutend&#x017F;te, jetzt aber völlig nichtig, aus-<lb/>
genommen in den momentanen Vereinigungen der Arbeiter un&#x017F;erer<lb/>
Zeit), noch die be&#x017F;ondern wirth&#x017F;chaftlichen der Sicherheit des<lb/>
Unterhalts der Handwerkskla&#x017F;&#x017F;e, der Erhaltung und Erhöhung der<lb/>
Gewerkskun&#x017F;t, und den morali&#x017F;chen der Pflege der Sittlichkeit und<lb/>
des Gemein&#x017F;innes der Mei&#x017F;ter, Ge&#x017F;ellen und Jungen. Allein &#x017F;o<lb/>
gut auch die&#x017F;e Zwecke an und für &#x017F;ich waren, &#x017F;o liegt doch wenig-<lb/>
&#x017F;tens in jetziger Zeit in den dazu angewendeten Mitteln zum Theile<lb/>
unmittelbarer Schaden, zum Theile aber auch der Fehler, daß &#x017F;ie<lb/>
die vorge&#x017F;etzten Zwecke nicht ganz erreichen. Denn 1) was die<lb/><hi rendition="#g">Sicherheit des Unterhaltes</hi> anbelangt, &#x017F;o &#x017F;pricht gegen die<lb/>
Zunft&#x017F;atzungen der Um&#x017F;tand, daß &#x017F;ich der Ab&#x017F;atz der Gewerkspro-<lb/>
ducte aus ver&#x017F;chiedenen Ur&#x017F;achen bei <hi rendition="#g">einem</hi> Mei&#x017F;ter &#x017F;ehr erweitern<lb/>
kann und in Modehandwerken immer erweitert, indem er bei an-<lb/>
dern &#x017F;inkt und ganz ver&#x017F;chwindet, daher auch die Fe&#x017F;t&#x017F;etzung einer<lb/>
be&#x017F;timmten Mei&#x017F;terzahl die Sicherheit ihrer Unterhaltung nicht<lb/>
bewirkt, und, wenn auch vielleicht einmal für die Gegenwart, doch<lb/>
nicht für die Zukunft. Die Be&#x017F;chränkungen der Erwerbung des<lb/>
Mei&#x017F;terrechtes erreichen wegen der vielen Mißbräuche dabei ihren<lb/>
Zweck nicht und &#x017F;chaden noch in&#x017F;oferne, als &#x017F;ie die Concurrenz ver-<lb/>
mindern, woraus nicht &#x017F;elten Ver&#x017F;chlechterung, &#x017F;tets aber Ver-<lb/>
theuerung der Producte hervorgeht. Was 2) die <hi rendition="#g">Erhaltung und<lb/>
Erhöhung der Ge&#x017F;chicklichkeit</hi> anbelangt, &#x017F;o i&#x017F;t bei manchen<lb/>
Gewerken die Lehrzeit zu lang, der Unterricht mangelhaft, die<lb/>
Behandlung der Lehrlinge &#x017F;chlecht, der Gewerbswech&#x017F;el er&#x017F;chwert,<lb/>
die Einführung von Ma&#x017F;chinen gehindert, und das Wandern zwar<lb/>
nützlich, aber die Prüfung durch das Mei&#x017F;ter&#x017F;tück unzureichend und<lb/>
zu viele Partheilichkeit vorherr&#x017F;chend, &#x017F;o daß ge&#x017F;chickte Männer<lb/>
verdrängt, dagegen viele unge&#x017F;chickte zugela&#x017F;&#x017F;en werden. 3) Die<lb/><hi rendition="#g">morali&#x017F;chen Zwecke</hi> &#x017F;ind ohne Zweifel &#x017F;ehr gut, allein der er-<lb/>
wün&#x017F;chte Gemein&#x017F;inn geht in einem verwün&#x017F;chten Corporationsgei&#x017F;t<lb/>
über und manche Mittel dazu, als Abhaltung der unehelichen<lb/>
Kinder und Juden vom Handwerke, &#x017F;innlo&#x017F;e und un&#x017F;ittliche Ge-<lb/>
bräuche der Bruder&#x017F;chaft, Oppo&#x017F;itionsgei&#x017F;t u. dgl., wider&#x017F;prechen<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[672/0694] daß das Ausſchließungsſyſtem im Geiſte der damaligen, das Um- faſſungs- und Freiheitsſyſtem im Geiſte der jetzigen Zeit liegt. Es kommt dazu, daß noch jetzt jene Zünfte und Gilden, obſchon nicht in der alten Schroffheit mit dieſem neuern Gewerbsgeiſte und mit dieſen freien Geſellſchaften in Concurrenz ſtehen. Allein ſie ſind mit dem Prinzipe der Verkehrsfreiheit unverträglich und deß- halb bedeutenden Modificationen zu unterwerfen. Sie hatten bei ihrer Entſtehung im Mittelalter außer dem Zwecke der politiſchen Reaction (damals der bedeutendſte, jetzt aber völlig nichtig, aus- genommen in den momentanen Vereinigungen der Arbeiter unſerer Zeit), noch die beſondern wirthſchaftlichen der Sicherheit des Unterhalts der Handwerksklaſſe, der Erhaltung und Erhöhung der Gewerkskunſt, und den moraliſchen der Pflege der Sittlichkeit und des Gemeinſinnes der Meiſter, Geſellen und Jungen. Allein ſo gut auch dieſe Zwecke an und für ſich waren, ſo liegt doch wenig- ſtens in jetziger Zeit in den dazu angewendeten Mitteln zum Theile unmittelbarer Schaden, zum Theile aber auch der Fehler, daß ſie die vorgeſetzten Zwecke nicht ganz erreichen. Denn 1) was die Sicherheit des Unterhaltes anbelangt, ſo ſpricht gegen die Zunftſatzungen der Umſtand, daß ſich der Abſatz der Gewerkspro- ducte aus verſchiedenen Urſachen bei einem Meiſter ſehr erweitern kann und in Modehandwerken immer erweitert, indem er bei an- dern ſinkt und ganz verſchwindet, daher auch die Feſtſetzung einer beſtimmten Meiſterzahl die Sicherheit ihrer Unterhaltung nicht bewirkt, und, wenn auch vielleicht einmal für die Gegenwart, doch nicht für die Zukunft. Die Beſchränkungen der Erwerbung des Meiſterrechtes erreichen wegen der vielen Mißbräuche dabei ihren Zweck nicht und ſchaden noch inſoferne, als ſie die Concurrenz ver- mindern, woraus nicht ſelten Verſchlechterung, ſtets aber Ver- theuerung der Producte hervorgeht. Was 2) die Erhaltung und Erhöhung der Geſchicklichkeit anbelangt, ſo iſt bei manchen Gewerken die Lehrzeit zu lang, der Unterricht mangelhaft, die Behandlung der Lehrlinge ſchlecht, der Gewerbswechſel erſchwert, die Einführung von Maſchinen gehindert, und das Wandern zwar nützlich, aber die Prüfung durch das Meiſterſtück unzureichend und zu viele Partheilichkeit vorherrſchend, ſo daß geſchickte Männer verdrängt, dagegen viele ungeſchickte zugelaſſen werden. 3) Die moraliſchen Zwecke ſind ohne Zweifel ſehr gut, allein der er- wünſchte Gemeinſinn geht in einem verwünſchten Corporationsgeiſt über und manche Mittel dazu, als Abhaltung der unehelichen Kinder und Juden vom Handwerke, ſinnloſe und unſittliche Ge- bräuche der Bruderſchaft, Oppoſitionsgeiſt u. dgl., widerſprechen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/694
Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/694>, abgerufen am 21.11.2024.