opponirende Auftreten des Bauernstandes verursachte allmälig nicht blos, daß den Städten ihre Privilegien und Freiheiten genommen wurden, und der Wohlstand derselben sank, sondern auch, daß mit Verwischung des früheren gewerblichen Unterschiedes neben den Städte- auch Landgemeinden hervortraten. Beiden aber ge- riethen diese und die nachfolgenden Veränderungen insoferne zum Nachtheile, als die Staatsgewalt, die Gemeinden zu Staats- anstalten machend, sie auch ihrer Selbstständigkeit beraubte, mit Druck und Ungerechtigkeit zu ihren willkührlichen Zwecken benutzte, und deren Verfassung und Verwaltung unter die Staatsvor- mundschaft stellte, unter welchem Titel Eingriffe in dieselben geschahen, die vor dem Rechts-, Sittlichkeits- und Klugheits- gesetze als gleich verwerflich erscheinen2). Man glaubte sich aber, die persönliche Schlechtigkeit einzelner Staats- und Gemeinde- beamten abgerechnet, zur Anlegung jenes Zügels der Vormund- schaft um so mehr berechtigt, als der Zweck der Gemeinden als ein dem Staatszwecke entgegenwirkender erschien3). In diesem Stande der Unterdrückung wanderten die Gemeinden aus dem vorigen in dieses gegenwärtige Jahrhundert, und das Maaß der Zerrüttung des Gemeindewesens wurde noch vollends gefüllt durch die verhee- renden Kriege, welche die französische Revolution geboren hat. Der Aufklärung des jetzigen Zeitabschnittes konnte diese Verirrung von Wahrheit, Recht und Klugheit nicht entgehen. Man sah die Identität des Staats- und Gemeindezweckes ein und erkannte den Wohlstand der Gemeinden als einen Grundpfeiler des Staats- wohles an. Die Wiedereinsetzung derselben in ihre Selbstständig- keit als eine moralische Person mit bestimmtem Eigenthume und Rechte, und die Wiedererstattung der alten Befugnisse, insoweit sie sich mit dem Geiste der Zeit vertragen, erschien als das beste Heilmittel gegen die vielen Gemeindeübel. Das Königreich Preußen schritt damit voran4) und es folgten nach einander mehrere andere Staaten5). So weit gekommen, muß die Gemeindeverwaltung nicht blos von allen altherkömmlichen Mängeln befreit, sondern es müssen Grundsätze und Regeln von wissenschaftlicher und praktischer Begründung aufgestellt werden, woran sich die selbstständigen Ge- meindebeamten in der Verwaltung des Gemeindevermögens und Einkommens halten können6).
1) S. darüber die oben §. 14. Note 4. angeführte Schrift von Wilda und die beiden andern von Hüllmann und Raynouard.
2) Aus diesem Bedrückungsgange entwickelte sich dann die grundfalsche Ansicht, daß die Gemeinde eine Anstalt des Staats, und erst von diesem durch Abtheilungen gebildet und blos mit übertragener Gewalt versehen sei. Im Gegentheile, der Staat ist ein Verband Einzelner durch Gemeinden und Einzelner für sich, die nicht
opponirende Auftreten des Bauernſtandes verurſachte allmälig nicht blos, daß den Städten ihre Privilegien und Freiheiten genommen wurden, und der Wohlſtand derſelben ſank, ſondern auch, daß mit Verwiſchung des früheren gewerblichen Unterſchiedes neben den Städte- auch Landgemeinden hervortraten. Beiden aber ge- riethen dieſe und die nachfolgenden Veränderungen inſoferne zum Nachtheile, als die Staatsgewalt, die Gemeinden zu Staats- anſtalten machend, ſie auch ihrer Selbſtſtändigkeit beraubte, mit Druck und Ungerechtigkeit zu ihren willkührlichen Zwecken benutzte, und deren Verfaſſung und Verwaltung unter die Staatsvor- mundſchaft ſtellte, unter welchem Titel Eingriffe in dieſelben geſchahen, die vor dem Rechts-, Sittlichkeits- und Klugheits- geſetze als gleich verwerflich erſcheinen2). Man glaubte ſich aber, die perſönliche Schlechtigkeit einzelner Staats- und Gemeinde- beamten abgerechnet, zur Anlegung jenes Zügels der Vormund- ſchaft um ſo mehr berechtigt, als der Zweck der Gemeinden als ein dem Staatszwecke entgegenwirkender erſchien3). In dieſem Stande der Unterdrückung wanderten die Gemeinden aus dem vorigen in dieſes gegenwärtige Jahrhundert, und das Maaß der Zerrüttung des Gemeindeweſens wurde noch vollends gefüllt durch die verhee- renden Kriege, welche die franzöſiſche Revolution geboren hat. Der Aufklärung des jetzigen Zeitabſchnittes konnte dieſe Verirrung von Wahrheit, Recht und Klugheit nicht entgehen. Man ſah die Identität des Staats- und Gemeindezweckes ein und erkannte den Wohlſtand der Gemeinden als einen Grundpfeiler des Staats- wohles an. Die Wiedereinſetzung derſelben in ihre Selbſtſtändig- keit als eine moraliſche Perſon mit beſtimmtem Eigenthume und Rechte, und die Wiedererſtattung der alten Befugniſſe, inſoweit ſie ſich mit dem Geiſte der Zeit vertragen, erſchien als das beſte Heilmittel gegen die vielen Gemeindeübel. Das Königreich Preußen ſchritt damit voran4) und es folgten nach einander mehrere andere Staaten5). So weit gekommen, muß die Gemeindeverwaltung nicht blos von allen altherkömmlichen Mängeln befreit, ſondern es müſſen Grundſätze und Regeln von wiſſenſchaftlicher und praktiſcher Begründung aufgeſtellt werden, woran ſich die ſelbſtſtändigen Ge- meindebeamten in der Verwaltung des Gemeindevermögens und Einkommens halten können6).
1) S. darüber die oben §. 14. Note 4. angeführte Schrift von Wilda und die beiden andern von Hüllmann und Raynouard.
2) Aus dieſem Bedrückungsgange entwickelte ſich dann die grundfalſche Anſicht, daß die Gemeinde eine Anſtalt des Staats, und erſt von dieſem durch Abtheilungen gebildet und blos mit übertragener Gewalt verſehen ſei. Im Gegentheile, der Staat iſt ein Verband Einzelner durch Gemeinden und Einzelner für ſich, die nicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0529"n="507"/>
opponirende Auftreten des Bauernſtandes verurſachte allmälig nicht<lb/>
blos, daß den Städten ihre Privilegien und Freiheiten genommen<lb/>
wurden, und der Wohlſtand derſelben ſank, ſondern auch, daß mit<lb/>
Verwiſchung des früheren gewerblichen Unterſchiedes neben den<lb/><hirendition="#g">Städte</hi>- auch <hirendition="#g">Landgemeinden</hi> hervortraten. Beiden aber ge-<lb/>
riethen dieſe und die nachfolgenden Veränderungen inſoferne zum<lb/>
Nachtheile, als die Staatsgewalt, die Gemeinden zu Staats-<lb/>
anſtalten machend, ſie auch ihrer Selbſtſtändigkeit beraubte, mit<lb/>
Druck und Ungerechtigkeit zu ihren willkührlichen Zwecken benutzte,<lb/>
und deren Verfaſſung und Verwaltung unter die <hirendition="#g">Staatsvor</hi>-<lb/><hirendition="#g">mundſchaft</hi>ſtellte, unter welchem Titel Eingriffe in dieſelben<lb/>
geſchahen, die vor dem Rechts-, Sittlichkeits- und Klugheits-<lb/>
geſetze als gleich verwerflich erſcheinen<hirendition="#sup">2</hi>). Man glaubte ſich aber,<lb/>
die perſönliche Schlechtigkeit einzelner Staats- und Gemeinde-<lb/>
beamten abgerechnet, zur Anlegung jenes Zügels der Vormund-<lb/>ſchaft um ſo mehr berechtigt, als der Zweck der Gemeinden als ein<lb/>
dem Staatszwecke entgegenwirkender erſchien<hirendition="#sup">3</hi>). In dieſem Stande<lb/>
der Unterdrückung wanderten die Gemeinden aus dem vorigen in<lb/>
dieſes gegenwärtige Jahrhundert, und das Maaß der Zerrüttung<lb/>
des Gemeindeweſens wurde noch vollends gefüllt durch die verhee-<lb/>
renden Kriege, welche die franzöſiſche Revolution geboren hat.<lb/>
Der Aufklärung des jetzigen Zeitabſchnittes konnte dieſe Verirrung<lb/>
von Wahrheit, Recht und Klugheit nicht entgehen. Man ſah die<lb/>
Identität des Staats- und Gemeindezweckes ein und erkannte den<lb/>
Wohlſtand der Gemeinden als einen Grundpfeiler des Staats-<lb/>
wohles an. Die Wiedereinſetzung derſelben in ihre Selbſtſtändig-<lb/>
keit als eine moraliſche Perſon mit beſtimmtem Eigenthume und<lb/>
Rechte, und die Wiedererſtattung der alten Befugniſſe, inſoweit<lb/>ſie ſich mit dem Geiſte der Zeit vertragen, erſchien als das beſte<lb/>
Heilmittel gegen die vielen Gemeindeübel. Das Königreich <hirendition="#g">Preußen</hi><lb/>ſchritt damit voran<hirendition="#sup">4</hi>) und es folgten nach einander mehrere andere<lb/>
Staaten<hirendition="#sup">5</hi>). So weit gekommen, muß die Gemeindeverwaltung<lb/>
nicht blos von allen altherkömmlichen Mängeln befreit, ſondern es<lb/>
müſſen Grundſätze und Regeln von wiſſenſchaftlicher und praktiſcher<lb/>
Begründung aufgeſtellt werden, woran ſich die ſelbſtſtändigen Ge-<lb/>
meindebeamten in der Verwaltung des Gemeindevermögens und<lb/>
Einkommens halten können<hirendition="#sup">6</hi>).</p><lb/><noteplace="end"n="1)">S. darüber die oben §. 14. Note 4. angeführte Schrift von <hirendition="#g">Wilda</hi> und<lb/>
die beiden andern von <hirendition="#g">Hüllmann</hi> und <hirendition="#g">Raynouard</hi>.</note><lb/><noteplace="end"n="2)">Aus dieſem Bedrückungsgange entwickelte ſich dann die grundfalſche Anſicht,<lb/>
daß die Gemeinde eine Anſtalt des Staats, und erſt von dieſem durch Abtheilungen<lb/>
gebildet und blos mit übertragener Gewalt verſehen ſei. Im Gegentheile, der<lb/>
Staat iſt ein Verband Einzelner durch Gemeinden und Einzelner für ſich, die nicht<lb/></note></div></div></div></div></body></text></TEI>
[507/0529]
opponirende Auftreten des Bauernſtandes verurſachte allmälig nicht
blos, daß den Städten ihre Privilegien und Freiheiten genommen
wurden, und der Wohlſtand derſelben ſank, ſondern auch, daß mit
Verwiſchung des früheren gewerblichen Unterſchiedes neben den
Städte- auch Landgemeinden hervortraten. Beiden aber ge-
riethen dieſe und die nachfolgenden Veränderungen inſoferne zum
Nachtheile, als die Staatsgewalt, die Gemeinden zu Staats-
anſtalten machend, ſie auch ihrer Selbſtſtändigkeit beraubte, mit
Druck und Ungerechtigkeit zu ihren willkührlichen Zwecken benutzte,
und deren Verfaſſung und Verwaltung unter die Staatsvor-
mundſchaft ſtellte, unter welchem Titel Eingriffe in dieſelben
geſchahen, die vor dem Rechts-, Sittlichkeits- und Klugheits-
geſetze als gleich verwerflich erſcheinen2). Man glaubte ſich aber,
die perſönliche Schlechtigkeit einzelner Staats- und Gemeinde-
beamten abgerechnet, zur Anlegung jenes Zügels der Vormund-
ſchaft um ſo mehr berechtigt, als der Zweck der Gemeinden als ein
dem Staatszwecke entgegenwirkender erſchien3). In dieſem Stande
der Unterdrückung wanderten die Gemeinden aus dem vorigen in
dieſes gegenwärtige Jahrhundert, und das Maaß der Zerrüttung
des Gemeindeweſens wurde noch vollends gefüllt durch die verhee-
renden Kriege, welche die franzöſiſche Revolution geboren hat.
Der Aufklärung des jetzigen Zeitabſchnittes konnte dieſe Verirrung
von Wahrheit, Recht und Klugheit nicht entgehen. Man ſah die
Identität des Staats- und Gemeindezweckes ein und erkannte den
Wohlſtand der Gemeinden als einen Grundpfeiler des Staats-
wohles an. Die Wiedereinſetzung derſelben in ihre Selbſtſtändig-
keit als eine moraliſche Perſon mit beſtimmtem Eigenthume und
Rechte, und die Wiedererſtattung der alten Befugniſſe, inſoweit
ſie ſich mit dem Geiſte der Zeit vertragen, erſchien als das beſte
Heilmittel gegen die vielen Gemeindeübel. Das Königreich Preußen
ſchritt damit voran4) und es folgten nach einander mehrere andere
Staaten5). So weit gekommen, muß die Gemeindeverwaltung
nicht blos von allen altherkömmlichen Mängeln befreit, ſondern es
müſſen Grundſätze und Regeln von wiſſenſchaftlicher und praktiſcher
Begründung aufgeſtellt werden, woran ſich die ſelbſtſtändigen Ge-
meindebeamten in der Verwaltung des Gemeindevermögens und
Einkommens halten können6).
¹⁾ S. darüber die oben §. 14. Note 4. angeführte Schrift von Wilda und
die beiden andern von Hüllmann und Raynouard.
²⁾ Aus dieſem Bedrückungsgange entwickelte ſich dann die grundfalſche Anſicht,
daß die Gemeinde eine Anſtalt des Staats, und erſt von dieſem durch Abtheilungen
gebildet und blos mit übertragener Gewalt verſehen ſei. Im Gegentheile, der
Staat iſt ein Verband Einzelner durch Gemeinden und Einzelner für ſich, die nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/529>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.