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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Es steckt ja in allen den Jngredienzien, aus denen sich das romantische pba_073.002
Element zusammensetzt, ein Kern, wodurch sie dem allgemein Menschlichen pba_073.003
angehörig und eben deshalb auch allen Zeiten verständlich sind; aber pba_073.004
was der Mischung die ganz singuläre Färbung gibt, das ist einmal die pba_073.005
excessive Qualität und sodann die Ausschließlichkeit, womit sie darin pba_073.006
vorherrschen. Nur ganz vereinzelten Dichtern der gesamten romantischen pba_073.007
Periode und auch diesen nur in seltenen glücklichen Momenten war es pba_073.008
gegeben sich hiervon frei zu machen und in ihren besten Leistungen sich pba_073.009
zu dem rein Menschlichen und daher Unvergänglichen -- dem Klassischen pba_073.010
-- zu erheben; im Uebrigen steht uns die Sinnesart jener Zeit als eine pba_073.011
exceptionelle, uns fremde gegenüber. Das gilt in unserer deutschen pba_073.012
Litteratur ebenso in betreff des romantisch-ritterlichen Epos als des pba_073.013
Minnegesanges, mit Ausnahme der besten Lieder Walthers; das deutsche pba_073.014
Volksepos freilich nimmt seinem Kern und Wesen nach eine ganz andere pba_073.015
Stellung ein.

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Die in liedartiger Haltung vermittelst der Andeutung pba_073.017
eines Vorganges, der Umrisse einer Handlung erfolgte pba_073.018
Nachahmung jenes romantischen Ethos wäre also eine Romanze.
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Je mehr dieser Zweck durch die bloß skizzenhafte Behandlung pba_073.020
der äußeren Geschehnisse erreicht wird, diese also nur als Mittel verwendet pba_073.021
sind, je mehr demgemäß der Liedescharakter der Dichtung zur pba_073.022
Geltung kommt, desto vollkommener ist die Romanze. Doch ergibt sich pba_073.023
hier eine weitere wesentliche Verschiedenheit der Romanze von der Ballade: pba_073.024
jene höchste Forderung konnte nur erfüllt werden, solange die Romanze pba_073.025
noch der lebendige Ausdruck des bestehenden Gesellschaftszustandes war, pba_073.026
und selbst da nur annähernd, weil sie ihrem Jnhalte nach das phantastisch pba_073.027
Gekünstelte dieses Zustandes naturgemäß noch überbieten mußte. pba_073.028
Dazu bedurfte sie fester gezeichneter Konturen, einer ausgeführten Erzählung pba_073.029
der Handlung; um wie viel mußte dieses Bedürfnis sich aber pba_073.030
steigern, wenn in den modernen Nachbildungen der Romanze der ganze pba_073.031
Kreis, der dem romantischen Ethos als Voraussetzung dienenden besondern pba_073.032
Umstände und exceptionellen Verhältnisse erst durch die Erzählung in der pba_073.033
Anschauung hervorzubringen war! Es ist der Boden des Abenteuerlichen, pba_073.034
auf welchem die Romanzenstimmung erwächst, deshalb wird die pba_073.035
Romanze, wie sie nicht vermögend ist die mächtige lyrische Wirkungskraft pba_073.036
der Grundaffekte des menschlichen Gemütes in sich aufzunehmen, sondern pba_073.037
dieselben immer nur unter einer künstlichen Beleuchtung zeigen kann, pba_073.038
auch niemals die großartige Einfachheit der Ballade erreichen können, pba_073.039
und was ihr an Allgemeinheit und Tiefe der lyrischen Wirkung abgeht, pba_073.040
durch das glänzende Kolorit der äußeren Erzählung zu ersetzen suchen.

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Es steckt ja in allen den Jngredienzien, aus denen sich das romantische pba_073.002
Element zusammensetzt, ein Kern, wodurch sie dem allgemein Menschlichen pba_073.003
angehörig und eben deshalb auch allen Zeiten verständlich sind; aber pba_073.004
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Periode und auch diesen nur in seltenen glücklichen Momenten war es pba_073.008
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exceptionelle, uns fremde gegenüber. Das gilt in unserer deutschen pba_073.012
Litteratur ebenso in betreff des romantisch-ritterlichen Epos als des pba_073.013
Minnegesanges, mit Ausnahme der besten Lieder Walthers; das deutsche pba_073.014
Volksepos freilich nimmt seinem Kern und Wesen nach eine ganz andere pba_073.015
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Die in liedartiger Haltung vermittelst der Andeutung pba_073.017
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Nachahmung jenes romantischen Ethos wäre also eine Romanze.
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Je mehr dieser Zweck durch die bloß skizzenhafte Behandlung pba_073.020
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sind, je mehr demgemäß der Liedescharakter der Dichtung zur pba_073.022
Geltung kommt, desto vollkommener ist die Romanze. Doch ergibt sich pba_073.023
hier eine weitere wesentliche Verschiedenheit der Romanze von der Ballade: pba_073.024
jene höchste Forderung konnte nur erfüllt werden, solange die Romanze pba_073.025
noch der lebendige Ausdruck des bestehenden Gesellschaftszustandes war, pba_073.026
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Gekünstelte dieses Zustandes naturgemäß noch überbieten mußte. pba_073.028
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/91>, abgerufen am 24.11.2024.