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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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liche, wenn nicht der verschiedene Bewegungsvorgang, den sie beide in pba_062.002
der Seele erzeugen? Was ahmen sie nach als diesen? Und gilt nicht pba_062.003
dasselbe wie von den übrigen kirchlichen Baustilen so auch von der gesamten pba_062.004
weltlichen Architektur, sofern sie nur künstlerisch frei behandelt pba_062.005
wird, also von Monumenten, Palästen, Burgen und Schlössern, ja von pba_062.006
Zimmereinrichtungen, Möbeln und Geräten? Welche bunte Menge pba_062.007
ethischer Stimmungen kann sich hier verkörpern, von der erhabenen pba_062.008
Majestät und ihren Ausartungen, dem Sinn für Ceremoniell und Etikette, pba_062.009
bis zur heiteren Prachtliebe oder dem Behagen an Ordnung und Wohlanständigkeit, pba_062.010
oder von abenteuerlichem Trotz, stolzer Kühnheit und von pba_062.011
romantischer Phantastik bis zu idyllischem Genügen und maßvoller Freude pba_062.012
an harmonischem Dasein.

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Jst das Reich der Poesie ein innerlich viel weiteres, ja universelles, pba_062.014
so ist die Wirkung der Architektur dafür desto unmittelbarer, pba_062.015
weil sie ganz sinnlich ist, während jene sich an die Vorstellungskraft pba_062.016
wenden muß. Mit stiller Gewalt bemächtigt sie sich der Seele des willig pba_062.017
hingegebenen Beschauers und in ihren größten Hervorbringungen hat sie pba_062.018
die Macht ihn ungeteilt mit dem einen Ethos zu erfüllen, das sie in pba_062.019
unvermischter Reinheit darstellt, oder doch, wo sie sich geringere Ziele pba_062.020
steckt, vermag sie unmerklich das gesamte Fühlen und Sinnen in den Bann pba_062.021
der durch sie verkörperten ethischen Haltung zu ziehen.

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Auch hier kann die Poesie nachfolgen; wie sie malerische Formen pba_062.023
sich dienstbar zu machen vermag, so kann sie auch architektonische Gebilde pba_062.024
in ihren Bereich ziehen, freilich nur Vorstellungen davon, welche pba_062.025
immer der Kraft sinnlicher Wirkungen nachstehen werden. Aber was pba_062.026
hier verloren gegeben werden muß, weiß der Dichter durch den richtigen pba_062.027
Gebrauch seiner Mittel auf einer anderen Seite einzubringen. Der pba_062.028
bildende Künstler hängt mit seiner Wirkung ganz von der Empfänglichkeit pba_062.029
des Beschauers ab, dieser muß die stummen Züge in sich lebendig pba_062.030
werden lassen, sie reden die Sprache, die er aus ihnen zu vernehmen pba_062.031
vermag; der Dichter hingegen begleitet die Vorstellungen, die er hervorruft, pba_062.032
mit dem beredtesten Ausdruck der Empfindung, des Ethos, die ihn pba_062.033
selbst beleben; ihre ganze Kraft, ihren ganzen Reichtum, die ganze Gedankenwelt, pba_062.034
die, an tausend Fäden sich anknüpfend, um den durch sie pba_062.035
gegebenen Mittelpunkt aufsteigt, überträgt er durch die Zaubermacht des pba_062.036
dichterischen Wortes in die Seelen der Hörer, die durch ihn zu erhöhtem pba_062.037
Leben erweckt, nun auch der Natur selbst und den Werken der bildenden pba_062.038
Künste mit aufgeschlossenem Sinn, mit bereiterem Empfangen gegenübertreten. pba_062.039
Ein unvergleichliches Beispiel derart ist Goethes "Wanderer".

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Doch das sind Nebenwirkungen der Poesie; ihr Hauptmittel

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liche, wenn nicht der verschiedene Bewegungsvorgang, den sie beide in pba_062.002
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dasselbe wie von den übrigen kirchlichen Baustilen so auch von der gesamten pba_062.004
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Jst das Reich der Poesie ein innerlich viel weiteres, ja universelles, pba_062.014
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Auch hier kann die Poesie nachfolgen; wie sie malerische Formen pba_062.023
sich dienstbar zu machen vermag, so kann sie auch architektonische Gebilde pba_062.024
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/80>, abgerufen am 24.11.2024.