pba_716.001 Seele, ein Pathema derselben. Wie diese Pathemata nun auch sonst pba_716.002 beschaffen sein mögen, so scheiden sie sich in zwei Gattungen, sie sind pba_716.003 entweder wohlgefällig oder mißfällig, von Lust oder Unlust begleitet; pba_716.004 sie bestimmen daher das Begehrungsvermögen, entweder positiv oder pba_716.005 negativ, zur dioxis oder phuge, zum Streben nach einem Ziel oder zur pba_716.006 Abwendung davon. Diese Pathemata sind an sich dem vernunftlosenpba_716.007 Teil (alogon morion) der Seele zugehörig; sie sind verstand-pba_716.008 und vernunftlos, d. h. ohne Anteil an jenen beiden Vermögen, pba_716.009 nicht ihnen widersprechend. Natürlich haben nicht allein die wirklichen pba_716.010 Dinge und Vorgänge, sondern auch ihre Abbilder in der Phantasie pba_716.011 die Kraft, Pathemata (Empfindungen) hervorzurufen und durch sie pba_716.012 also auch das Begehrungsvermögen in Thätigkeit zu setzen. Mit dem pba_716.013 Spiel dieser Kräfte beginnt das Leben der Seele und mit demselben pba_716.014 gelangt sie zuerst zur Entfaltung, Sofort aber beginnen alle diese Bewegungen pba_716.015 und Reizungen nun ihren Einfluß zu üben auf die beiden pba_716.016 Vermögen der Seele, die Aristoteles in völliger Übereinstimmung mit pba_716.017 Kant als von Anbeginn in ihr vorhanden und als die Gewähr ihres pba_716.018 göttlichen Ursprungs betrachtet: auf den Logos und auf den Nous. pba_716.019 Jndem der Logos jenem Spiel zuschaut, vergleicht er nach den ihm pba_716.020 eingeborenen Wahrheitsgesetzen die Bilder der Dinge und erkennt ihr pba_716.021 Wesen als entweder der Wahrheit gemäß oder ihr widersprechend, als pba_716.022 richtig oder falsch. Ebenso beobachtet er die Pathemata oder die ihnen pba_716.023 folgenden Begehrungsbestimmungen und bejaht sie als richtig und verneint pba_716.024 sie als falsch: stellt sich also mit seinem Einfluß dem Begehren pba_716.025 entgegen oder verstärkt es durch sein Gewicht.
pba_716.026 Dieser letztere Fall ist es eben, den Kant außer acht läßt. Es pba_716.027 ist aber nach seinem eigenen System unwidersprechlich, daß, sofern das pba_716.028 "Gefühl" nach dem Grunde seiner Entstehung und nach der Art und pba_716.029 Weise seines Auftretens die Zustimmung des Logos erhält, es nun, ob pba_716.030 zwar immer nach seiner Natur noch subjektiv und an sich ohne das pba_716.031 Rechta priori Geltung zu beanspruchen, durch die Sanktion eines pba_716.032 a priori entscheidenden Vermögens als objektiv richtig angesehen und pba_716.033 demgemäß nach sicheren Kennzeichen in seiner Beschaffenheit objektiv pba_716.034 festgestellt werden kann. Derselbe Schluß ergibt aber, daß ein pba_716.035 solcherweise durch den Logos als berechtigt anerkanntes Gefühl nicht pba_716.036 allein ein an sich wohlgefälliges sein, sondern daß die dasselbe begleitende pba_716.037 Freude eine berechtigte sein müsse, und daß diese Berechtigung,pba_716.038 um mit Kant zu reden, a priorierkannt werden könne.
pba_716.039 Dasselbe Schlußverfahren findet seine Anwendung auf das Verhältnis pba_716.040 zwischen den "Gefühlen" und dem Nous, dem praktischen
pba_716.001 Seele, ein Pathema derselben. Wie diese Pathemata nun auch sonst pba_716.002 beschaffen sein mögen, so scheiden sie sich in zwei Gattungen, sie sind pba_716.003 entweder wohlgefällig oder mißfällig, von Lust oder Unlust begleitet; pba_716.004 sie bestimmen daher das Begehrungsvermögen, entweder positiv oder pba_716.005 negativ, zur δίωξις oder φυγή, zum Streben nach einem Ziel oder zur pba_716.006 Abwendung davon. Diese Pathemata sind an sich dem vernunftlosenpba_716.007 Teil (ἄλογον μορίον) der Seele zugehörig; sie sind verstand-pba_716.008 und vernunftlos, d. h. ohne Anteil an jenen beiden Vermögen, pba_716.009 nicht ihnen widersprechend. Natürlich haben nicht allein die wirklichen pba_716.010 Dinge und Vorgänge, sondern auch ihre Abbilder in der Phantasie pba_716.011 die Kraft, Pathemata (Empfindungen) hervorzurufen und durch sie pba_716.012 also auch das Begehrungsvermögen in Thätigkeit zu setzen. Mit dem pba_716.013 Spiel dieser Kräfte beginnt das Leben der Seele und mit demselben pba_716.014 gelangt sie zuerst zur Entfaltung, Sofort aber beginnen alle diese Bewegungen pba_716.015 und Reizungen nun ihren Einfluß zu üben auf die beiden pba_716.016 Vermögen der Seele, die Aristoteles in völliger Übereinstimmung mit pba_716.017 Kant als von Anbeginn in ihr vorhanden und als die Gewähr ihres pba_716.018 göttlichen Ursprungs betrachtet: auf den Logos und auf den Nous. pba_716.019 Jndem der Logos jenem Spiel zuschaut, vergleicht er nach den ihm pba_716.020 eingeborenen Wahrheitsgesetzen die Bilder der Dinge und erkennt ihr pba_716.021 Wesen als entweder der Wahrheit gemäß oder ihr widersprechend, als pba_716.022 richtig oder falsch. Ebenso beobachtet er die Pathemata oder die ihnen pba_716.023 folgenden Begehrungsbestimmungen und bejaht sie als richtig und verneint pba_716.024 sie als falsch: stellt sich also mit seinem Einfluß dem Begehren pba_716.025 entgegen oder verstärkt es durch sein Gewicht.
pba_716.026 Dieser letztere Fall ist es eben, den Kant außer acht läßt. Es pba_716.027 ist aber nach seinem eigenen System unwidersprechlich, daß, sofern das pba_716.028 „Gefühl“ nach dem Grunde seiner Entstehung und nach der Art und pba_716.029 Weise seines Auftretens die Zustimmung des Logos erhält, es nun, ob pba_716.030 zwar immer nach seiner Natur noch subjektiv und an sich ohne das pba_716.031 Rechta priori Geltung zu beanspruchen, durch die Sanktion eines pba_716.032 a priori entscheidenden Vermögens als objektiv richtig angesehen und pba_716.033 demgemäß nach sicheren Kennzeichen in seiner Beschaffenheit objektiv pba_716.034 festgestellt werden kann. Derselbe Schluß ergibt aber, daß ein pba_716.035 solcherweise durch den Logos als berechtigt anerkanntes Gefühl nicht pba_716.036 allein ein an sich wohlgefälliges sein, sondern daß die dasselbe begleitende pba_716.037 Freude eine berechtigte sein müsse, und daß diese Berechtigung,pba_716.038 um mit Kant zu reden, a priorierkannt werden könne.
pba_716.039 Dasselbe Schlußverfahren findet seine Anwendung auf das Verhältnis pba_716.040 zwischen den „Gefühlen“ und dem Nous, dem praktischen
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Seele, ein Pathema derselben. Wie diese Pathemata nun auch sonst pba_716.002
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Abwendung davon. Diese Pathemata sind an sich dem vernunftlosen pba_716.007
Teil (ἄλογον μορίον) der Seele zugehörig; sie sind verstand- pba_716.008
und vernunftlos, d. h. ohne Anteil an jenen beiden Vermögen, pba_716.009
nicht ihnen widersprechend. Natürlich haben nicht allein die wirklichen pba_716.010
Dinge und Vorgänge, sondern auch ihre Abbilder in der Phantasie pba_716.011
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pba_716.039
Dasselbe Schlußverfahren findet seine Anwendung auf das Verhältnis pba_716.040
zwischen den „Gefühlen“ und dem Nous, dem praktischen
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 716. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/734>, abgerufen am 22.11.2024.
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