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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Vorsatz völlig zu überwinden, ja sogar den Antrieb dazu ganz auszulöschen. pba_654.002
Daher sein Zögern und Schwanken! Und daher das Tragische pba_654.003
dieses Schwankens und das Tragische seines verderblichen pba_654.004
Ausgangs: denn die Ursache desselben liegt nicht in einer physischen oder pba_654.005
moralischen Schwäche, die wir geringschätzen müßten, sondern in einer pba_654.006
entgegenstehenden hochbedeutenden Kraft, deren Berechtigung wir anzuerkennen pba_654.007
nicht umhin können, die an sich selbst unsere Bewunderung pba_654.008
in hohem Grade erregt, während wir doch zugleich in der Fehlerhaftigkeit pba_654.009
des durch ihr Dazwischentreten weder kräftig geförderten noch pba_654.010
entschieden sistierten Handelns die Quelle einer Kette von schweren pba_654.011
Leidensschicksalen mit voller Klarheit erkennen.

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Das, wodurch Hamlet in der Vollziehung der Rachethat sich gehemmt pba_654.013
fühlt, ist ihm selbst ein Problem; darin liegt das Rätsel, pba_654.014
das die Kontroverse über diese Tragödie nicht zur Ruhe kommen läßt pba_654.015
und das auch Goethe bei seinem tiefen Blick in das Jnnere des Stückes pba_654.016
nicht zu voller Befriedigung und zum Abschluß gelangen ließ.1

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Keiner seiner Nachfolger hat das liebevolle Verständnis für die pba_654.018
Wahrheit und den Adel von Hamlets Natur gehabt, wie es Goethe pba_654.019
empfunden und ausgesprochen hat. Nur ein weniges fehlt in seiner pba_654.020
Schilderung, das dem Zünglein der Wage verwehrt zur Ruhe zu gelangen. pba_654.021
Zu sehr stellt er das Hemmnis in Hamlets Natur als einen pba_654.022
Mangel an Kraft, "an sinnlicher Stärke, die den Helden macht", dar, pba_654.023
zu wenig als eine notwendige Äußerung der in ihm strömenden Kräfte. pba_654.024
Zu wenig ferner bringt er die gerade diesen Charakter notwendig so pba_654.025
furchtbar belastende Natur der ihm bereiteten Schicksalssituation in Anschlag. pba_654.026
Jn dem Zusammenwirken dieser beiden Hauptfaktoren liegt das pba_654.027
Tragische des Stückes: die sinnliche Stärke des Helden fehlt dem pba_654.028
Dänenprinzen nicht an sich, sie fehlt ihm bei dieser Aufgabe, pba_654.029
vor die das Schicksal gerade ihn gestellt hat; sie fehlt ihm gerade um pba_654.030
der Eigenschaften willen, welche dem Menschen wie dem künftigen Könige pba_654.031
die höchste Zierde versprachen. Das Tragische dieser Gestalt und pba_654.032
dieser ganzen Dichtung, das ihr eine so unvergleichliche Macht über das pba_654.033
moderne Empfinden verleiht, ist, daß sie zeigt, wie in dieser groß, edel pba_654.034
und reich angelegten Seele vermöge jener, durch die Schicksalsverwickelung pba_654.035
in ihr hervorgebrachten, inneren Hemmung mit furchtbarer Rapidität pba_654.036
eine schwere Erkrankung
sich entwickelt: die Lähmung der

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Ausführlicher ist der Gegenstand vom Verfasser in einer besondern Schrift pba_654.038
behandelt, die von der Polemik gegen K. Werders "Hamletvorlesungen" ausgeht: pba_654.039
"Die Hamlettragödie und ihre Kritik." (Königsberg 1877.)

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Vorsatz völlig zu überwinden, ja sogar den Antrieb dazu ganz auszulöschen. pba_654.002
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Leidensschicksalen mit voller Klarheit erkennen.

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Das, wodurch Hamlet in der Vollziehung der Rachethat sich gehemmt pba_654.013
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Keiner seiner Nachfolger hat das liebevolle Verständnis für die pba_654.018
Wahrheit und den Adel von Hamlets Natur gehabt, wie es Goethe pba_654.019
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 654. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/672>, abgerufen am 22.11.2024.