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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Väter." Noch folgt ein allseitiger zärtlicher Abschied, namentlich die pba_651.002
höchst rührend in die Breite gezogene Trennungsscene zwischen Orestes pba_651.003
und Elektra. Dann schließt das Stück, indem zuletzt noch die Dioskuren pba_651.004
ihre Legitimation zu dem etwas tumultuarischen Verfahren vorweisen, pba_651.005
mit dem sie den Streit Apollons und der Erinnyen präjudiziert pba_651.006
haben: "Wer Heiligkeit nur und Gerechtigkeit stets im Leben geliebt, pba_651.007
dem stehen wir bei, aus quälender Drangsal retten wir ihn. Drum pba_651.008
möge vor Unrecht jeder sich scheun, er geselle sich nie Meineidigen bei: pba_651.009
so ruf ich den Menschen, ein Gott, zu!"

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Und der Chor, der das ganze Stück nur so wenig zur Sache zu pba_651.011
bemerken gehabt hat, was kann er angesichts dieser glatten und im pba_651.012
ganzen doch immerhin vergnüglichen Lösung einer recht bedenklich verwickelt pba_651.013
scheinenden Angelegenheit Verständigeres thun, als, nachdem pba_651.014
Orestes, der eben noch seinem Freunde Pylades und seiner Elektra Glück pba_651.015
gewünscht hat, unter vorläufiger Verfolgung der Erinnyen entflohen ist, pba_651.016
den Zurückbleibenden zuzurufen:

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Lebt, freut euch! Wer sich zu freuen vermag, pba_651.018
Und des Unglücks Macht nie trauernd empfand, pba_651.019
Er lebt ein seliges Leben.

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Es ist zuzugeben, daß die "Elektra" vielleicht das schlechteste der pba_651.021
uns erhaltenen Stücke des Euripides ist; aber die Fehler desselben, pba_651.022
wenn auch nicht in so auffälligem, bis an die Grenze der Parodie pba_651.023
gehenden Grade, wiederholen sich auch in seinen übrigen Tragödien. pba_651.024
Faßte man das Wesen derselben in ein Wort zusammen, so müßte das pba_651.025
lauten: Die eigentliche Kraft der tiefen, tragischen Wirkung pba_651.026
ist ihm unbekannt; statt ihrer wendet er seine Kunst dem pba_651.027
einzelnen Rührungsaffekt zu.
So mag er sich den billigen Ruhm pba_651.028
des "Tragikotatos", des "allertragischten" Dichters erworben pba_651.029
haben, nicht indem er es verstand, die Aufgabe der Tragödie, die pba_651.030
Katharsis der tragischen Affekte zu bewirken, am würdigsten pba_651.031
zu lösen, sondern indem er auf Kosten des Ernstes und der Wahrheit pba_651.032
des großen Schicksalzusammenhanges seine Zuschauer an der reich besetzten pba_651.033
Tafel des herzzerreißenden Jammers über fremde Leiden sich satt pba_651.034
schwelgen ließ.

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Zum Beschluß noch ein Wort über die obengenannte "Hamlet"- pba_651.036
Tragödie Shakespeares, nicht um auf dieses an Rätseln reiche Stück pba_651.037
näher einzugehen, sondern nur um nachzuweisen, inwiefern es mit den pba_651.038
die Orestie behandelnden Tragödien in Vergleich zu stellen wäre, und pba_651.039
welches Resultat ein solcher Vergleich ergibt.

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Väter.“ Noch folgt ein allseitiger zärtlicher Abschied, namentlich die pba_651.002
höchst rührend in die Breite gezogene Trennungsscene zwischen Orestes pba_651.003
und Elektra. Dann schließt das Stück, indem zuletzt noch die Dioskuren pba_651.004
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möge vor Unrecht jeder sich scheun, er geselle sich nie Meineidigen bei: pba_651.009
so ruf ich den Menschen, ein Gott, zu!“

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Und der Chor, der das ganze Stück nur so wenig zur Sache zu pba_651.011
bemerken gehabt hat, was kann er angesichts dieser glatten und im pba_651.012
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Orestes, der eben noch seinem Freunde Pylades und seiner Elektra Glück pba_651.015
gewünscht hat, unter vorläufiger Verfolgung der Erinnyen entflohen ist, pba_651.016
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Lebt, freut euch! Wer sich zu freuen vermag, pba_651.018
Und des Unglücks Macht nie trauernd empfand, pba_651.019
Er lebt ein seliges Leben.

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Es ist zuzugeben, daß die „Elektra“ vielleicht das schlechteste der pba_651.021
uns erhaltenen Stücke des Euripides ist; aber die Fehler desselben, pba_651.022
wenn auch nicht in so auffälligem, bis an die Grenze der Parodie pba_651.023
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Faßte man das Wesen derselben in ein Wort zusammen, so müßte das pba_651.025
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ist ihm unbekannt; statt ihrer wendet er seine Kunst dem pba_651.027
einzelnen Rührungsaffekt zu.
So mag er sich den billigen Ruhm pba_651.028
des „Tragikotatos“, des „allertragischten“ Dichters erworben pba_651.029
haben, nicht indem er es verstand, die Aufgabe der Tragödie, die pba_651.030
Katharsis der tragischen Affekte zu bewirken, am würdigsten pba_651.031
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Tafel des herzzerreißenden Jammers über fremde Leiden sich satt pba_651.034
schwelgen ließ.

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Zum Beschluß noch ein Wort über die obengenannte „Hamlet“- pba_651.036
Tragödie Shakespeares, nicht um auf dieses an Rätseln reiche Stück pba_651.037
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/669>, abgerufen am 22.11.2024.