Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_614.001 pba_614.010 Solch einem Ausspruch muß man glauben und vertraun; pba_614.019 Und traut' ich minder, dennoch muß die That geschehn; pba_614.020 Vielfacher Antrieb strömt vereint auf mich herein, pba_614.021 Des Gottes Auftrag, meines Vaters große Schmach, pba_614.022 Des eignen Lebens Dürftigkeit, das alles läßt pba_614.023 Mich meine Bürger, aller Zeit berühmteste, pba_614.024 Die Überwinder Jlions in Heldenkraft, pba_614.025 Nicht länger unterthänig zween Weibern sehn; pba_614.026 Denn weibisch ist er; ist er's nicht, bald sehen wir's! pba_614.027 Jhr gewaltigen Moiren, mit Zeus' Beistand pba_614.032 Werd' so es vollbracht, pba_614.033 Wie das Recht mitwandelnd den Pfad zeigt! pba_614.034 "Für feindliches Wort sei feindliches Wort." pba_614.035 Also ruft Dike, die lautere, laut, pba_614.036 Wenn die schuldige Buße sie eintreibt! pba_614.037 "Für blutigen Mord sei blutiger Mord! pba_614.038 Wer that, muß leiden!" so heißt das Gesetz pba_614.039 Jn den heiligen Sprüchen der Väter! pba_614.040 pba_614.001 pba_614.010 Solch einem Ausspruch muß man glauben und vertraun; pba_614.019 Und traut' ich minder, dennoch muß die That geschehn; pba_614.020 Vielfacher Antrieb strömt vereint auf mich herein, pba_614.021 Des Gottes Auftrag, meines Vaters große Schmach, pba_614.022 Des eignen Lebens Dürftigkeit, das alles läßt pba_614.023 Mich meine Bürger, aller Zeit berühmteste, pba_614.024 Die Überwinder Jlions in Heldenkraft, pba_614.025 Nicht länger unterthänig zween Weibern sehn; pba_614.026 Denn weibisch ist er; ist er's nicht, bald sehen wir's! pba_614.027 Jhr gewaltigen Moiren, mit Zeus' Beistand pba_614.032 Werd' so es vollbracht, pba_614.033 Wie das Recht mitwandelnd den Pfad zeigt! pba_614.034 „Für feindliches Wort sei feindliches Wort.“ pba_614.035 Also ruft Dike, die lautere, laut, pba_614.036 Wenn die schuldige Buße sie eintreibt! pba_614.037 „Für blutigen Mord sei blutiger Mord! pba_614.038 Wer that, muß leiden!“ so heißt das Gesetz pba_614.039 Jn den heiligen Sprüchen der Väter! pba_614.040 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0632" n="614"/><lb n="pba_614.001"/> niedergelegt. Nun entwickelt sich die Handlung, schnurgerade zum Ziel <lb n="pba_614.002"/> vorschreitend. Sie behält den Charakter der <hi rendition="#g">einfachen</hi> Anlage, obwohl <lb n="pba_614.003"/> sie gleich mit einer „Erkennung“ beginnt. Allein Äschylus hat <lb n="pba_614.004"/> auf die dramatische Ausnutzung dieses Verwickelungsmotivs verzichtet; <lb n="pba_614.005"/> die Erkennung erfolgt geradehin, ohne Erregung von Spannung, mit, <lb n="pba_614.006"/> wie es scheint absichtlich, ganz kunstlosen, fast naiv gewählten Mitteln, <lb n="pba_614.007"/> so daß Euripides, in seiner vermeintlichen Überlegenheit, sich durch dieselben <lb n="pba_614.008"/> zu jener befremdlichen technischen Kritik veranlaßt sah, die neben <lb n="pba_614.009"/> vielen andern Ungeheuerlichkeiten sein Stück interessant macht.</p> <p><lb n="pba_614.010"/> Zu dem allgewaltigen Zeus wendet sich nun das Gebet der wieder <lb n="pba_614.011"/> vereinten Geschwister, hülfreich auf ihr Beginnen herabzuschauen; „nicht <lb n="pba_614.012"/> bleibt dir, wenn das Geschlecht des Adlers du vertilgst, zu senden glaubhaft <lb n="pba_614.013"/> Zeichen an die Sterblichen;“ „Sei unser Hort! Vom Boden richt' <lb n="pba_614.014"/> ein hoch Geschlecht empor, das jetzt gar tief dahingesunken scheint!“ <lb n="pba_614.015"/> Auf das Gebot des Loxias beruft sich Orestes und auf den grauenhaften <lb n="pba_614.016"/> Fluch, mit dem er den Ungehorsam gegen seinen Spruch bedroht <lb n="pba_614.017"/> hat:</p> <lb n="pba_614.018"/> <lg> <l>Solch einem Ausspruch muß man glauben und vertraun;</l> <lb n="pba_614.019"/> <l>Und traut' ich minder, dennoch muß die That geschehn;</l> <lb n="pba_614.020"/> <l>Vielfacher Antrieb strömt vereint auf mich herein,</l> <lb n="pba_614.021"/> <l>Des Gottes Auftrag, meines Vaters große Schmach,</l> <lb n="pba_614.022"/> <l>Des eignen Lebens Dürftigkeit, das alles läßt</l> <lb n="pba_614.023"/> <l>Mich meine Bürger, aller Zeit berühmteste,</l> <lb n="pba_614.024"/> <l>Die Überwinder Jlions in Heldenkraft,</l> <lb n="pba_614.025"/> <l>Nicht länger unterthänig zween Weibern sehn;</l> <lb n="pba_614.026"/> <l>Denn weibisch ist er; ist er's nicht, bald sehen wir's!</l> </lg> <p><lb n="pba_614.027"/> Die stärksten eigenen Motive also unterstützen das Gebot des <lb n="pba_614.028"/> Götterspruchs; aber die Verantwortung der ungeheuren That ruht ganz <lb n="pba_614.029"/> auf diesem. Hier setzt nun der Chor mit aller Macht ein, die Stimme <lb n="pba_614.030"/> des Orakelspruchs zu verstärken:</p> <lb n="pba_614.031"/> <lg> <l>Jhr gewaltigen Moiren, mit Zeus' Beistand</l> <lb n="pba_614.032"/> <l> Werd' so es vollbracht,</l> <lb n="pba_614.033"/> <l> Wie das Recht mitwandelnd den Pfad zeigt!</l> <lb n="pba_614.034"/> <l>„Für feindliches Wort sei feindliches Wort.“</l> <lb n="pba_614.035"/> <l>Also ruft Dike, die lautere, laut,</l> <lb n="pba_614.036"/> <l> Wenn die schuldige Buße sie eintreibt!</l> <lb n="pba_614.037"/> <l>„Für blutigen Mord sei blutiger Mord!</l> <lb n="pba_614.038"/> <l>Wer that, muß leiden!“ so heißt das Gesetz</l> <lb n="pba_614.039"/> <l> Jn den heiligen Sprüchen der Väter!</l> </lg> <p><lb n="pba_614.040"/> Er mahnt an des Toten Seele, die nicht durch die Glut bewältigt <lb n="pba_614.041"/> wird, an den zürnenden Schatten, der mit lautem Schmerzschrei Gericht </p> </div> </body> </text> </TEI> [614/0632]
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niedergelegt. Nun entwickelt sich die Handlung, schnurgerade zum Ziel pba_614.002
vorschreitend. Sie behält den Charakter der einfachen Anlage, obwohl pba_614.003
sie gleich mit einer „Erkennung“ beginnt. Allein Äschylus hat pba_614.004
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wie es scheint absichtlich, ganz kunstlosen, fast naiv gewählten Mitteln, pba_614.007
so daß Euripides, in seiner vermeintlichen Überlegenheit, sich durch dieselben pba_614.008
zu jener befremdlichen technischen Kritik veranlaßt sah, die neben pba_614.009
vielen andern Ungeheuerlichkeiten sein Stück interessant macht.
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Zu dem allgewaltigen Zeus wendet sich nun das Gebet der wieder pba_614.011
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ein hoch Geschlecht empor, das jetzt gar tief dahingesunken scheint!“ pba_614.015
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Fluch, mit dem er den Ungehorsam gegen seinen Spruch bedroht pba_614.017
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Solch einem Ausspruch muß man glauben und vertraun; pba_614.019
Und traut' ich minder, dennoch muß die That geschehn; pba_614.020
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Denn weibisch ist er; ist er's nicht, bald sehen wir's!
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Die stärksten eigenen Motive also unterstützen das Gebot des pba_614.028
Götterspruchs; aber die Verantwortung der ungeheuren That ruht ganz pba_614.029
auf diesem. Hier setzt nun der Chor mit aller Macht ein, die Stimme pba_614.030
des Orakelspruchs zu verstärken:
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Jhr gewaltigen Moiren, mit Zeus' Beistand pba_614.032
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Er mahnt an des Toten Seele, die nicht durch die Glut bewältigt pba_614.041
wird, an den zürnenden Schatten, der mit lautem Schmerzschrei Gericht
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