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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Dichtung
" ein Bild entwirft, das seine wenig schmeichelhafte Ähnlichkeit pba_588.002
mit den wirklichen Zuständen noch nicht verloren hat: "Jn dem pba_588.003
Tempel Thaliens und Melpomenens, so wie er bei uns bestellt ist, pba_588.004
thront die geliebte Göttin, empfängt in ihrem weiten Schoß den stumpfsinnigen pba_588.005
Gelehrten und den erschöpften Geschäftsmann und wiegt den pba_588.006
Geist in einen magnetischen Schlaf, indem sie die erstarrten Sinne erwärmt pba_588.007
und die Einbildungskraft in einer süßen Bewegung schaukelt." pba_588.008
Und wie sehr trifft diese Schilderung vollends auf dem Gebiet der pba_588.009
heutigen Romandichtung zu: "Der Last des Denkens sind sie hier auf pba_588.010
einmal entledigt, und die losgespannte Natur darf sich im seligen Genuß pba_588.011
des Nichts auf dem weichen Polster der Platitüde pflegen!"

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Aber, wenn Schiller auch mit allen Kräften gegen die Auffassung pba_588.013
der Poesie ankämpft, die sie in den Dienst des "bloß sinnlichen pba_588.014
Bedürfnisses der Erholung" stellen will, so sehen wir ihn doch jetzt pba_588.015
"gerade umgekehrt" bemüht "den viel zu weiten Umfang einzuschränken, pba_588.016
den man dem Begriff der Veredelung durch die Poesie pba_588.017
gegeben hatte, weil man sie zu einseitig nach der bloßen Jdee pba_588.018
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". Der Dichter soll sich hüten, dabei "den Begriff der pba_588.019
Menschheit aufzuheben und ihre notwendigen Grenzen zu verrücken". pba_588.020
Es war der Einfluß Goethes, der ihn die Forderung sinnlicher pba_588.021
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in der Kunst fortan als diejenige erkennen ließ, von deren pba_588.022
Erfüllung ihre Wirkung überhaupt vor allem andern abhängig ist.

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Kein Weg aber schien ihm ungeeigneter dieses Ziel zu erreichen, pba_588.024
ja keiner, sie weiter von ihrer eigentlichen und höchsten Aufgabe zu pba_588.025
entfernen, als der Weg der "gemeinen Naturnachahmung", jenes pba_588.026
falsche Bestreben in der getreuesten Wiederholung der Wirklichkeit ein pba_588.027
künstlerisches Verdienst zu suchen. Jm Prolog zum "Wallenstein" pba_588.028
hat er seine Meinung hierüber ausgesprochen; er verlangt von der Poesie: pba_588.029
"daß sie das Bild der Wahrheit in das heitere Reich der Kunst hinüberspielt, pba_588.030
die Täuschung, die sie schafft, aufrichtig selbst zerstört und ihren pba_588.031
Schein der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt." Wie nun aber diese pba_588.032
Richtung auf seine Ansichten von der dramatischen Technik wirkte, davon pba_588.033
gibt eine interessante Stelle der Briefe Zeugnis, die er mit Goethe über pba_588.034
die Unterschiede des Dramas vom Epos wechselte. Er schrieb dem pba_588.035
Freunde am 29. Dezember 1797: "Wenn das Drama wirklich durch pba_588.036
einen so schlechten Hang des Zeitalters in Schutz genommen wird, wie pba_588.037
ich nicht zweifle, so müßte man die Reform beim Drama anfangen und pba_588.038
durch Verdrängung der gemeinen Naturnachahmung der Kunst Luft und pba_588.039
Licht verschaffen. Und dies, deucht mir, möchte unter anderm am besten pba_588.040
durch Einführung symbolischer Behelfe geschehen, die in allem dem,

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“ ein Bild entwirft, das seine wenig schmeichelhafte Ähnlichkeit pba_588.002
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Tempel Thaliens und Melpomenens, so wie er bei uns bestellt ist, pba_588.004
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einmal entledigt, und die losgespannte Natur darf sich im seligen Genuß pba_588.011
des Nichts auf dem weichen Polster der Platitüde pflegen!“

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Aber, wenn Schiller auch mit allen Kräften gegen die Auffassung pba_588.013
der Poesie ankämpft, die sie in den Dienst des „bloß sinnlichen pba_588.014
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“. Der Dichter soll sich hüten, dabei „den Begriff der pba_588.019
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Wirkung
in der Kunst fortan als diejenige erkennen ließ, von deren pba_588.022
Erfüllung ihre Wirkung überhaupt vor allem andern abhängig ist.

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Kein Weg aber schien ihm ungeeigneter dieses Ziel zu erreichen, pba_588.024
ja keiner, sie weiter von ihrer eigentlichen und höchsten Aufgabe zu pba_588.025
entfernen, als der Weg der „gemeinen Naturnachahmung“, jenes pba_588.026
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künstlerisches Verdienst zu suchen. Jm Prolog zum „Wallensteinpba_588.028
hat er seine Meinung hierüber ausgesprochen; er verlangt von der Poesie: pba_588.029
„daß sie das Bild der Wahrheit in das heitere Reich der Kunst hinüberspielt, pba_588.030
die Täuschung, die sie schafft, aufrichtig selbst zerstört und ihren pba_588.031
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/606>, abgerufen am 22.11.2024.