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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Die Sache liegt also seltsam genug so: Schiller macht den schlimmsten pba_553.002
Jrrtum des Dubos mit, er hält nämlich die durch die Tragödie pba_553.003
bei den Zuschauern erregten Hauptaffekte für mitgeteilte, nachempfundene, pba_553.004
statt zu erkennen, daß Mitleid wie Furcht, von der er pba_553.005
freilich gar nicht spricht, erste, ursprüngliche Empfindungen seien, pba_553.006
was schon von Lessing mit Nachdruck hervorgehoben war; dann aber ist pba_553.007
er nahe daran, diesen Jrrtum wenigstens in seinen Folgen zu korrigieren, pba_553.008
wenn er den falschen Schluß ablehnt, daß die angenommene pba_553.009
sekundäre Natur des Mitleids das Schmerzliche desselben in ein Wohlgefälliges pba_553.010
verwandeln werde. Denn auf diese Weise wird die Frage, pba_553.011
wie diese Umwandlung erfolgt, wieder eine offene. Aber er greift auch pba_553.012
hier wieder sofort zu dem moralischen Surrogat, das nun einmal seiner pba_553.013
sittlich so hoch gespannten Natur zunächst lag. So verschließt er sich pba_553.014
denn den Weg zu der einfachen, klaren, ästhetischen Auffassung um so pba_553.015
fester, als eine gewisse Ähnlichkeit der Resultate ihn in der Täuschung pba_553.016
befestigt, eine Ähnlichkeit, die jedoch die Fehlerhaftigkeit der Theorie in pba_553.017
keinem Punkte zu verhüten vermag. Denn natürlich ist der richtige pba_553.018
Affekt
derselbe, ob er nun unmittelbar, rein ästhetisch, als solcher entsteht pba_553.019
oder doch durch bloße Einwirkung sinnlicher Wahrnehmung, also pba_553.020
durch rein ästhetische Mittel zuwege gebracht wird, oder ob durch bewußte pba_553.021
Einwirkung von Vernunftvorstellungen, durch das Gegengewicht pba_553.022
sittlicher Erziehung diese Arbeit geleistet wird. Wenn es aber darauf pba_553.023
ankommt, gerade jene ästhetischen Mittel und die Art ihrer pba_553.024
Anwendung zu bestimmen,
so leuchtet es ein, daß die Annahme, pba_553.025
die Veredelung des Affektes sei eine moralische Leistung, genügend pba_553.026
ist, um den Erfolg einer von diesem Princip geleiteten Untersuchung pba_553.027
von vornherein zu vereiteln.

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Gerade so aber verfährt Schiller. Seine Sätze sind an sich vollkommen pba_553.029
korrekt, nur gehören sie ausschließlich dem Gebiet der Ethik an pba_553.030
und haben mit der Frage nach der unmittelbaren Wirkung der pba_553.031
Kunst nichts zu thun. Er leitet Lust und Unlust der Affekte von ihrer pba_553.032
Beziehung auf unser sinnliches oder sittliches Vermögen her. Die Freiheit, pba_553.033
die dem Affekte gegenüber behauptet wird, rührt her von dem pba_553.034
Übergewicht "des moralischen Sinnes über die eigennützige Anhänglichkeit pba_553.035
an das individuelle Jch", von "der Obergewalt des allgemeinen pba_553.036
Vernunftgesetzes über den Glückseligkeitstrieb". "Eine solche Verfassung pba_553.037
des Gemüts ist am fähigsten, das Vergnügen des Mitleids zu pba_553.038
genießen und selbst den ursprünglichen Affekt in den Schranken des pba_553.039
Mitleids zu erhalten," wobei also Schiller, seinem Grundirrtum zufolge, pba_553.040
das Mitleid als "mitgeteilten" Affekt mit dem Schmerz über

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Die Sache liegt also seltsam genug so: Schiller macht den schlimmsten pba_553.002
Jrrtum des Dubos mit, er hält nämlich die durch die Tragödie pba_553.003
bei den Zuschauern erregten Hauptaffekte für mitgeteilte, nachempfundene, pba_553.004
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verwandeln werde. Denn auf diese Weise wird die Frage, pba_553.011
wie diese Umwandlung erfolgt, wieder eine offene. Aber er greift auch pba_553.012
hier wieder sofort zu dem moralischen Surrogat, das nun einmal seiner pba_553.013
sittlich so hoch gespannten Natur zunächst lag. So verschließt er sich pba_553.014
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oder doch durch bloße Einwirkung sinnlicher Wahrnehmung, also pba_553.020
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die Veredelung des Affektes sei eine moralische Leistung, genügend pba_553.026
ist, um den Erfolg einer von diesem Princip geleiteten Untersuchung pba_553.027
von vornherein zu vereiteln.

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Gerade so aber verfährt Schiller. Seine Sätze sind an sich vollkommen pba_553.029
korrekt, nur gehören sie ausschließlich dem Gebiet der Ethik an pba_553.030
und haben mit der Frage nach der unmittelbaren Wirkung der pba_553.031
Kunst nichts zu thun. Er leitet Lust und Unlust der Affekte von ihrer pba_553.032
Beziehung auf unser sinnliches oder sittliches Vermögen her. Die Freiheit, pba_553.033
die dem Affekte gegenüber behauptet wird, rührt her von dem pba_553.034
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an das individuelle Jch“, von „der Obergewalt des allgemeinen pba_553.036
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genießen und selbst den ursprünglichen Affekt in den Schranken des pba_553.039
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/571>, abgerufen am 25.11.2024.