pba_540.001 seine Abhandlung nicht wesentlich gefördert. Etwas ganz anderes ist, pba_540.002 daß umgekehrt seine dramatischen Schöpfungen eine neue reich pba_540.003 strömende und unversiegbare Quelle für diese Erkenntnis eröffneten.
pba_540.004 Die Richtigkeit dieser Ausführungen erprobt sich auf Schritt und pba_540.005 Tritt, wenn man die einfachen Grundsätze der aristotelischen Theorie pba_540.006 zum Maßstabe für die Kritik der Schillerschen Aufsätze über die Tragödie pba_540.007 erwählt. Während diese Kritik sonst ins Grenzenlose philosophischer pba_540.008 Spekulation führen muß, entdeckt sich hier jede Krümme der Bahn pba_540.009 von selbst.
pba_540.010 Um den Widerspruch zwischen Vergnügen und Sittlichkeit zu heben, pba_540.011 setzt Schiller das "freie Vergnügen", das nur durch "moralischepba_540.012 Mittel erreicht werden könne". Die "Kunst müsse durch Moralitätpba_540.013 ihren Weg nehmen" und dennoch dabei ihre "Freiheit" behaupten, pba_540.014 ohne welche sie ihre höchste Wirkung nicht ausüben könne. Diese "Freiheit" pba_540.015 ist also zunächst lediglich negativ bestimmt: sie bedeutet die Abwesenheit pba_540.016 der moralischen Tendenz, durch welche das "Spiel" der Kunst pba_540.017 in ein ernsthaftes Geschäft verwandelt werden würde. Zugleich aber pba_540.018 wird schon hier angedeutet, daß der Verfasser ihr auch einen positiven pba_540.019 Jnhalt zu geben beabsichtigt: "eine bündige Theorie des Vergnügens" pba_540.020 würde ergeben, daß das "freie Vergnügen" der Kunst durchaus auf pba_540.021 moralischen Bedingungen beruhe. Die Unklarheit und der Fehler pba_540.022 dieses Satzes werden sofort offenbar, wenn man ihm die aristotelische pba_540.023 Grundlehre gegenüberstellt: der Kunst liegt es ob, reine, d. h. richtige pba_540.024 Empfindungen nachzuahmen. Auch die höchste Moralität setzt dieselben pba_540.025 voraus, dadurch werden reine Empfindungen aber noch keineswegs zu pba_540.026 moralischen. Das Moralische ist ohne Willensaktion undenkbar; pba_540.027 gerade aber die Bestimmung des Willens soll die Aufgabe der Kunst pba_540.028 nicht sein, weil sie damit ihre Freiheit verlieren würde.
pba_540.029 Gleich der nächste Satz verstärkt den Jrrtum Schillers. "Jedes pba_540.030 Vergnügen, insofern es aus sittlichen Quellen fließt, verbessert den Menschen pba_540.031 sittlich: die Kunst wirkt also nicht deswegen allein sittlich, weil pba_540.032 sie durch sittliche Mittel ergötzt, sondern auch deswegen, weil das Vergnügen pba_540.033 selbst, das die Kunst gewährt, ein Mittel zur Sittlichkeit pba_540.034 wird." Ein unrichtiger Schluß! Das sittliche Vergnügen pba_540.035 ist dasjenige, welches die pflichtgemäße Thätigkeit des Willens begleitet; pba_540.036 ihm verwandt ist das Vergnügen an den durch die Anschauung pflichtgemäß pba_540.037 bestimmter Entschlüsse und Handlungen eben um dieser willenpba_540.038 erregten Empfindungen, die Kant "moralische Gefühle" nennt: aber pba_540.039 weder das eine noch das andere ist identisch mit dem Vergnügen, "das pba_540.040 die Kunst gewährt". Die ersten sind ihr ganz fremd, die zweiten
pba_540.001 seine Abhandlung nicht wesentlich gefördert. Etwas ganz anderes ist, pba_540.002 daß umgekehrt seine dramatischen Schöpfungen eine neue reich pba_540.003 strömende und unversiegbare Quelle für diese Erkenntnis eröffneten.
pba_540.004 Die Richtigkeit dieser Ausführungen erprobt sich auf Schritt und pba_540.005 Tritt, wenn man die einfachen Grundsätze der aristotelischen Theorie pba_540.006 zum Maßstabe für die Kritik der Schillerschen Aufsätze über die Tragödie pba_540.007 erwählt. Während diese Kritik sonst ins Grenzenlose philosophischer pba_540.008 Spekulation führen muß, entdeckt sich hier jede Krümme der Bahn pba_540.009 von selbst.
pba_540.010 Um den Widerspruch zwischen Vergnügen und Sittlichkeit zu heben, pba_540.011 setzt Schiller das „freie Vergnügen“, das nur durch „moralischepba_540.012 Mittel erreicht werden könne“. Die „Kunst müsse durch Moralitätpba_540.013 ihren Weg nehmen“ und dennoch dabei ihre „Freiheit“ behaupten, pba_540.014 ohne welche sie ihre höchste Wirkung nicht ausüben könne. Diese „Freiheit“ pba_540.015 ist also zunächst lediglich negativ bestimmt: sie bedeutet die Abwesenheit pba_540.016 der moralischen Tendenz, durch welche das „Spiel“ der Kunst pba_540.017 in ein ernsthaftes Geschäft verwandelt werden würde. Zugleich aber pba_540.018 wird schon hier angedeutet, daß der Verfasser ihr auch einen positiven pba_540.019 Jnhalt zu geben beabsichtigt: „eine bündige Theorie des Vergnügens“ pba_540.020 würde ergeben, daß das „freie Vergnügen“ der Kunst durchaus auf pba_540.021 moralischen Bedingungen beruhe. Die Unklarheit und der Fehler pba_540.022 dieses Satzes werden sofort offenbar, wenn man ihm die aristotelische pba_540.023 Grundlehre gegenüberstellt: der Kunst liegt es ob, reine, d. h. richtige pba_540.024 Empfindungen nachzuahmen. Auch die höchste Moralität setzt dieselben pba_540.025 voraus, dadurch werden reine Empfindungen aber noch keineswegs zu pba_540.026 moralischen. Das Moralische ist ohne Willensaktion undenkbar; pba_540.027 gerade aber die Bestimmung des Willens soll die Aufgabe der Kunst pba_540.028 nicht sein, weil sie damit ihre Freiheit verlieren würde.
pba_540.029 Gleich der nächste Satz verstärkt den Jrrtum Schillers. „Jedes pba_540.030 Vergnügen, insofern es aus sittlichen Quellen fließt, verbessert den Menschen pba_540.031 sittlich: die Kunst wirkt also nicht deswegen allein sittlich, weil pba_540.032 sie durch sittliche Mittel ergötzt, sondern auch deswegen, weil das Vergnügen pba_540.033 selbst, das die Kunst gewährt, ein Mittel zur Sittlichkeit pba_540.034 wird.“ Ein unrichtiger Schluß! Das sittliche Vergnügen pba_540.035 ist dasjenige, welches die pflichtgemäße Thätigkeit des Willens begleitet; pba_540.036 ihm verwandt ist das Vergnügen an den durch die Anschauung pflichtgemäß pba_540.037 bestimmter Entschlüsse und Handlungen eben um dieser willenpba_540.038 erregten Empfindungen, die Kant „moralische Gefühle“ nennt: aber pba_540.039 weder das eine noch das andere ist identisch mit dem Vergnügen, „das pba_540.040 die Kunst gewährt“. Die ersten sind ihr ganz fremd, die zweiten
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Die Richtigkeit dieser Ausführungen erprobt sich auf Schritt und pba_540.005
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/558>, abgerufen am 25.11.2024.
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