pba_532.001 pathetikon emon), und sie thun dies um so mehr, je vollständiger pba_532.002 sie ihrer dichterischen Aufgabe genügen. Allerdings wollen auch pba_532.003 wir nicht leugnen, daß es dem Gesetzgeber obliege, gewissepba_532.004 "Ableitungen" (aperaseis) jener Affekte zu beschaffen (genauer pba_532.005 jedoch, worauf hier viel ankommt: "Daß freilich der Gesetzgeber pba_532.006 für diese Affekte gewissermaßen einen Abfluß schaffen muß, pba_532.007 sagen auch wir": dein men oun ton politikon diamekhanasthai pba_532.008 tinas ton pathon touton aperaseis kai emeis phesomen), jedoch pba_532.009 nicht so, daß dadurch der Hang zu ihnen noch verstärkt, sondern vielmehr, pba_532.010 daß er gezügelt und allgemach gedämpft werde (unrichtig pba_532.011 übersetzt für: "daß den Bewegungen derselben in wohlgeordneter Weise pba_532.012 Einhalt gethan werde" tas kineseis auton emmelos anastellein); pba_532.013 von jenen Dichtgattungen also, welche außer mit der Mannigfaltigkeit pba_532.014 auch noch mit der Maßlosigkeit in der Hervorlockung jener Affekte behaftet pba_532.015 sind, glauben wir, daß sie nicht von fern zu Abfindungen pba_532.016 dienen können (pollou dein eis aphosiosin einai khresimous: pba_532.017 "daß sie nicht entfernt zu ihrer Beschwichtigung dienlich sind." pba_532.018 Überzeugend beweist diese Stelle, daß der "Aphosiosis" der Begriff der pba_532.019 "maßvollen" Befriedigung des Leidenschaftsbedürfnisses schon an sich pba_532.020 innewohnt.). Denn Abfindungen bestehen nicht in Übermaß, sondern pba_532.021 in gedämpften Wirkungen und haben nur eine geringe Ähnlichkeit pba_532.022 mit dem, wovon sie Abfindungen sein sollen. (Richtiger: "Denn pba_532.023 die Beschwichtigung liegt nicht im Empfindungsübermaß, pba_532.024 sondern in der Einschränkung ihrer Bethätigung, sie sieht pba_532.025 dem wenig ähnlich, was sie beschwichtigt.") Merkwürdig, wie pba_532.026 Bernays in dieser "Aphosiosis" ein Synonymon der aristotelischen pba_532.027 Katharsis erblicken konnte, noch merkwürdiger aber, wie er in "dieserpba_532.028 Erklärung derselben, die es außer Zweifel setze, daß Proklus dieselbe pba_532.029 wie Aristoteles verstanden habe," nicht den in schärfster Form ausgesprochenen pba_532.030 Gegensatz zu seiner eigenen Sollicitations- und Entladungshypothese pba_532.031 erkennen mochte. Die Aphosiosis, die Proklus hier definiert, pba_532.032 enthält ja gerade das Charakteristikum der eigenen, neuplatonischen pba_532.033 Theorie, die von Proklus der aristotelischen Katharsis polemisch entgegengestellt pba_532.034 wird!
pba_532.035 e) Ebenso wie alle vorhergehenden von Bernays für seine Theorie angeführten pba_532.036 Zeugnisse verwandelt sich auch die letzte, noch aus Jamblichuspba_532.037 beigebrachte Stelle bei näherer Betrachtung aus der unerschütterlichen Stütze, pba_532.038 für die er sie ausgibt, in eine vernichtende Angriffswaffe. Nicht gegen pba_532.039 die musikalische Katharsistheorie des Aristoteles wendet sich die Polemik des pba_532.040 Jamblichus, sondern gegen ihre Anwendung auf den Enthusiasmus, den
pba_532.001 παθητικὸν ἡμῶν), und sie thun dies um so mehr, je vollständiger pba_532.002 sie ihrer dichterischen Aufgabe genügen. Allerdings wollen auch pba_532.003 wir nicht leugnen, daß es dem Gesetzgeber obliege, gewissepba_532.004 „Ableitungen“ (ἀπεράσεις) jener Affekte zu beschaffen (genauer pba_532.005 jedoch, worauf hier viel ankommt: „Daß freilich der Gesetzgeber pba_532.006 für diese Affekte gewissermaßen einen Abfluß schaffen muß, pba_532.007 sagen auch wir“: δεῖν μέν οὖν τὸν πολιτικὸν διαμηχανᾶσθαί pba_532.008 τινας τῶν παθῶν τούτων ἀπεράσεις καὶ ἡμεῖς φήσομεν), jedoch pba_532.009 nicht so, daß dadurch der Hang zu ihnen noch verstärkt, sondern vielmehr, pba_532.010 daß er gezügelt und allgemach gedämpft werde (unrichtig pba_532.011 übersetzt für: „daß den Bewegungen derselben in wohlgeordneter Weise pba_532.012 Einhalt gethan werde“ τὰς κινήσεις αὐτῶν ἐμμελῶς ἀναστέλλειν); pba_532.013 von jenen Dichtgattungen also, welche außer mit der Mannigfaltigkeit pba_532.014 auch noch mit der Maßlosigkeit in der Hervorlockung jener Affekte behaftet pba_532.015 sind, glauben wir, daß sie nicht von fern zu Abfindungen pba_532.016 dienen können (πολλοῦ δεῖν εἰς ἀφοσίωσιν εἶναι χρησίμους: pba_532.017 „daß sie nicht entfernt zu ihrer Beschwichtigung dienlich sind.“ pba_532.018 Überzeugend beweist diese Stelle, daß der „Aphosiosis“ der Begriff der pba_532.019 „maßvollen“ Befriedigung des Leidenschaftsbedürfnisses schon an sich pba_532.020 innewohnt.). Denn Abfindungen bestehen nicht in Übermaß, sondern pba_532.021 in gedämpften Wirkungen und haben nur eine geringe Ähnlichkeit pba_532.022 mit dem, wovon sie Abfindungen sein sollen. (Richtiger: „Denn pba_532.023 die Beschwichtigung liegt nicht im Empfindungsübermaß, pba_532.024 sondern in der Einschränkung ihrer Bethätigung, sie sieht pba_532.025 dem wenig ähnlich, was sie beschwichtigt.“) Merkwürdig, wie pba_532.026 Bernays in dieser „Aphosiosis“ ein Synonymon der aristotelischen pba_532.027 Katharsis erblicken konnte, noch merkwürdiger aber, wie er in „dieserpba_532.028 Erklärung derselben, die es außer Zweifel setze, daß Proklus dieselbe pba_532.029 wie Aristoteles verstanden habe,“ nicht den in schärfster Form ausgesprochenen pba_532.030 Gegensatz zu seiner eigenen Sollicitations- und Entladungshypothese pba_532.031 erkennen mochte. Die Aphosiosis, die Proklus hier definiert, pba_532.032 enthält ja gerade das Charakteristikum der eigenen, neuplatonischen pba_532.033 Theorie, die von Proklus der aristotelischen Katharsis polemisch entgegengestellt pba_532.034 wird!
pba_532.035 e) Ebenso wie alle vorhergehenden von Bernays für seine Theorie angeführten pba_532.036 Zeugnisse verwandelt sich auch die letzte, noch aus Jamblichuspba_532.037 beigebrachte Stelle bei näherer Betrachtung aus der unerschütterlichen Stütze, pba_532.038 für die er sie ausgibt, in eine vernichtende Angriffswaffe. Nicht gegen pba_532.039 die musikalische Katharsistheorie des Aristoteles wendet sich die Polemik des pba_532.040 Jamblichus, sondern gegen ihre Anwendung auf den Enthusiasmus, den
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παθητικὸν ἡμῶν), und sie thun dies um so mehr, je vollständiger pba_532.002
sie ihrer dichterischen Aufgabe genügen. Allerdings wollen auch pba_532.003
wir nicht leugnen, daß es dem Gesetzgeber obliege, gewisse pba_532.004
„Ableitungen“ (ἀπεράσεις) jener Affekte zu beschaffen (genauer pba_532.005
jedoch, worauf hier viel ankommt: „Daß freilich der Gesetzgeber pba_532.006
für diese Affekte gewissermaßen einen Abfluß schaffen muß, pba_532.007
sagen auch wir“: δεῖν μέν οὖν τὸν πολιτικὸν διαμηχανᾶσθαί pba_532.008
τινας τῶν παθῶν τούτων ἀπεράσεις καὶ ἡμεῖς φήσομεν), jedoch pba_532.009
nicht so, daß dadurch der Hang zu ihnen noch verstärkt, sondern vielmehr, pba_532.010
daß er gezügelt und allgemach gedämpft werde (unrichtig pba_532.011
übersetzt für: „daß den Bewegungen derselben in wohlgeordneter Weise pba_532.012
Einhalt gethan werde“ τὰς κινήσεις αὐτῶν ἐμμελῶς ἀναστέλλειν); pba_532.013
von jenen Dichtgattungen also, welche außer mit der Mannigfaltigkeit pba_532.014
auch noch mit der Maßlosigkeit in der Hervorlockung jener Affekte behaftet pba_532.015
sind, glauben wir, daß sie nicht von fern zu Abfindungen pba_532.016
dienen können (πολλοῦ δεῖν εἰς ἀφοσίωσιν εἶναι χρησίμους: pba_532.017
„daß sie nicht entfernt zu ihrer Beschwichtigung dienlich sind.“ pba_532.018
Überzeugend beweist diese Stelle, daß der „Aphosiosis“ der Begriff der pba_532.019
„maßvollen“ Befriedigung des Leidenschaftsbedürfnisses schon an sich pba_532.020
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die Beschwichtigung liegt nicht im Empfindungsübermaß, pba_532.024
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dem wenig ähnlich, was sie beschwichtigt.“) Merkwürdig, wie pba_532.026
Bernays in dieser „Aphosiosis“ ein Synonymon der aristotelischen pba_532.027
Katharsis erblicken konnte, noch merkwürdiger aber, wie er in „dieser pba_532.028
Erklärung derselben, die es außer Zweifel setze, daß Proklus dieselbe pba_532.029
wie Aristoteles verstanden habe,“ nicht den in schärfster Form ausgesprochenen pba_532.030
Gegensatz zu seiner eigenen Sollicitations- und Entladungshypothese pba_532.031
erkennen mochte. Die Aphosiosis, die Proklus hier definiert, pba_532.032
enthält ja gerade das Charakteristikum der eigenen, neuplatonischen pba_532.033
Theorie, die von Proklus der aristotelischen Katharsis polemisch entgegengestellt pba_532.034
wird!
pba_532.035
e) Ebenso wie alle vorhergehenden von Bernays für seine Theorie angeführten pba_532.036
Zeugnisse verwandelt sich auch die letzte, noch aus Jamblichus pba_532.037
beigebrachte Stelle bei näherer Betrachtung aus der unerschütterlichen Stütze, pba_532.038
für die er sie ausgibt, in eine vernichtende Angriffswaffe. Nicht gegen pba_532.039
die musikalische Katharsistheorie des Aristoteles wendet sich die Polemik des pba_532.040
Jamblichus, sondern gegen ihre Anwendung auf den Enthusiasmus, den
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/550>, abgerufen am 25.11.2024.
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