pba_470.001 Geist über die Natur, und daß die Freude an der tragischen Rührung pba_470.002 aus dem Überschuß der mit solchem Siege verknüpften moralischen Lust pba_470.003 über die durch die Vorstellung materiellen Leidens erzeugten Unlustempfindungen pba_470.004 resultiere.
pba_470.005 Direkt oder indirekt nehmen diese Theorien ihren Ausgangspunkt pba_470.006 von der Moral; dagegen erklärt die aristotelische Poetik die Wirkung pba_470.007 der Tragödie als eine rein ästhetische und erlangt damit eine weit pba_470.008 über den speciellen Gegenstand hinausreichende Bedeutung nicht nur für pba_470.009 die Kunstlehre überhaupt, sondern für die gesamte Philosophie. Die an pba_470.010 sich "vernunftlosen" Empfindungen können, um einem von Aristoteles pba_470.011 öfters gebrauchten Bilde zu folgen, im Leben durch den Verkehr pba_470.012 mit dem Verstande und der Vernunft, dem Logos und Nous, dem pba_470.013 sie zu folgen sich gewöhnen, so weit veredelt werden, daß sie von selbst, pba_470.014 so zu sagen freiwillig und gern, das rechte Maß der Bewegung einhalten. pba_470.015 Aristoteles stimmt nun darin mit Kant überein, daß er in solcher zur pba_470.016 ständigen Haltung gewordenen Gewöhnung der Empfindungen noch keine pba_470.017 ausreichende Bürgschaft des sittlichen Handelns erblickt, die immer nur pba_470.018 in der nach dem Vernunftgesetz erfolgenden Willensentscheidung auch pba_470.019 von ihm gefunden wird; aber er erkennt, abweichend von Kant und in pba_470.020 näherer Verwandtschaft mit Schillers ästhetisch-ethischer Anschauung, in pba_470.021 den veredelten Empfindungen nicht nur die sehr wertvollen, sondern die pba_470.022 ganz unentbehrlichen Bundesgenossen für die Erreichung jenes Zieles. pba_470.023 Er räumt ihnen also, im Gegensatz zu der Geringschätzung, in der sie pba_470.024 bei Kant als "sinnlich-pathologische" Vorgänge stehen, eine hohe Stelle pba_470.025 auch für die Sittlichkeit ein. Daraus ergibt sich von selbst, daß die pba_470.026 Kunst in seinen Augen einen ganz andern, ungleich höheren Wert erhalten pba_470.027 muß, als den die Kantsche Philosophie ihr einräumen kann.1pba_470.028 Aber selbst Schiller, der die Kunst wahrlich hoch hielt, wird in dieser pba_470.029 Beziehung von dem Kunstlehrer der Alten übertroffen, dessen Theorie pba_470.030 von keiner andern auch nur annähernd ersetzt werden kann.
pba_470.031 Nach Aristoteles ist die Wirkung der Kunst eine ungemischt pba_470.032 ästhetische, die keiner Bundesgenossenschaft bedarf, weder in Verstandeserkenntnissen, pba_470.033 noch in moralischen Dispositionen sich ihre Stützen zu pba_470.034 suchen braucht.
1pba_470.035 Eingehender hat der Verf. den Gegenstand behandelt in einer Abhandlung zu pba_470.036 Kants Geburtsfeier am 22. April 1886 (vgl. Altpreuß. Monatsschrift, Bd. XXIII, pba_470.037 Heft 3/4, 1886: "Ueber Kants Kritik der ästhetischen Urteilskraft"). Dieselbe pba_470.038 wird in etwas erweiterter Gestalt im Anhange mitgeteilt, um über das Verhältnis pba_470.039 der den Verf. leitenden Grundsätze, wie sie in diesem Buche entwickelt sind, zu pba_470.040 den Principien der Kantschen Philosophie näheren Aufschluß zu geben.
pba_470.001 Geist über die Natur, und daß die Freude an der tragischen Rührung pba_470.002 aus dem Überschuß der mit solchem Siege verknüpften moralischen Lust pba_470.003 über die durch die Vorstellung materiellen Leidens erzeugten Unlustempfindungen pba_470.004 resultiere.
pba_470.005 Direkt oder indirekt nehmen diese Theorien ihren Ausgangspunkt pba_470.006 von der Moral; dagegen erklärt die aristotelische Poetik die Wirkung pba_470.007 der Tragödie als eine rein ästhetische und erlangt damit eine weit pba_470.008 über den speciellen Gegenstand hinausreichende Bedeutung nicht nur für pba_470.009 die Kunstlehre überhaupt, sondern für die gesamte Philosophie. Die an pba_470.010 sich „vernunftlosen“ Empfindungen können, um einem von Aristoteles pba_470.011 öfters gebrauchten Bilde zu folgen, im Leben durch den Verkehr pba_470.012 mit dem Verstande und der Vernunft, dem Logos und Nous, dem pba_470.013 sie zu folgen sich gewöhnen, so weit veredelt werden, daß sie von selbst, pba_470.014 so zu sagen freiwillig und gern, das rechte Maß der Bewegung einhalten. pba_470.015 Aristoteles stimmt nun darin mit Kant überein, daß er in solcher zur pba_470.016 ständigen Haltung gewordenen Gewöhnung der Empfindungen noch keine pba_470.017 ausreichende Bürgschaft des sittlichen Handelns erblickt, die immer nur pba_470.018 in der nach dem Vernunftgesetz erfolgenden Willensentscheidung auch pba_470.019 von ihm gefunden wird; aber er erkennt, abweichend von Kant und in pba_470.020 näherer Verwandtschaft mit Schillers ästhetisch-ethischer Anschauung, in pba_470.021 den veredelten Empfindungen nicht nur die sehr wertvollen, sondern die pba_470.022 ganz unentbehrlichen Bundesgenossen für die Erreichung jenes Zieles. pba_470.023 Er räumt ihnen also, im Gegensatz zu der Geringschätzung, in der sie pba_470.024 bei Kant als „sinnlich-pathologische“ Vorgänge stehen, eine hohe Stelle pba_470.025 auch für die Sittlichkeit ein. Daraus ergibt sich von selbst, daß die pba_470.026 Kunst in seinen Augen einen ganz andern, ungleich höheren Wert erhalten pba_470.027 muß, als den die Kantsche Philosophie ihr einräumen kann.1pba_470.028 Aber selbst Schiller, der die Kunst wahrlich hoch hielt, wird in dieser pba_470.029 Beziehung von dem Kunstlehrer der Alten übertroffen, dessen Theorie pba_470.030 von keiner andern auch nur annähernd ersetzt werden kann.
pba_470.031 Nach Aristoteles ist die Wirkung der Kunst eine ungemischt pba_470.032 ästhetische, die keiner Bundesgenossenschaft bedarf, weder in Verstandeserkenntnissen, pba_470.033 noch in moralischen Dispositionen sich ihre Stützen zu pba_470.034 suchen braucht.
1pba_470.035 Eingehender hat der Verf. den Gegenstand behandelt in einer Abhandlung zu pba_470.036 Kants Geburtsfeier am 22. April 1886 (vgl. Altpreuß. Monatsschrift, Bd. XXIII, pba_470.037 Heft 3/4, 1886: „Ueber Kants Kritik der ästhetischen Urteilskraft“). Dieselbe pba_470.038 wird in etwas erweiterter Gestalt im Anhange mitgeteilt, um über das Verhältnis pba_470.039 der den Verf. leitenden Grundsätze, wie sie in diesem Buche entwickelt sind, zu pba_470.040 den Principien der Kantschen Philosophie näheren Aufschluß zu geben.
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Kants Geburtsfeier am 22. April 1886 (vgl. Altpreuß. Monatsschrift, Bd. XXIII, pba_470.037
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/488>, abgerufen am 25.11.2024.
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