Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_025.001
pba_025.010 Schlafend liegen der Berge Gipfel und die Thäler, pba_025.011 Uferklippen und Felsenschluchten, pba_025.012 Laubgezweig und alles Gewürm der schwarzen Erde, pba_025.013 Tiere des Bergwalds und das Volk der Bienen, pba_025.014 Und die Ungetüme der dunklen Meerestiefe, pba_025.015 Schlaf umfängt der Vögel pba_025.016 Breitgeflügelte Schwärme. pba_025.017 pba_025.020 Füllest wieder Busch und Thal pba_025.024 Still mit Nebelglanz, pba_025.025 Lösest endlich auch einmal pba_025.026 Meine Seele ganz; pba_025.027 Breitest über mein Gefild pba_025.028 Lindernd deinen Blick, pba_025.029 Wie des Freundes Auge mild pba_025.030 Ueber mein Geschick. pba_025.031 Jeden Nachklang fühlt mein Herz pba_025.032 Froh- und trüber Zeit, pba_025.033 Wandle zwischen Freud' und Schmerz pba_025.034 Jn der Einsamkeit. pba_025.035 Fließe, fließe, lieber Fluß! pba_025.036 Nimmer werd' ich froh! pba_025.037 So verrauschte Scherz und Kuß pba_025.038 Und die Treue so. pba_025.039
Jch besaß es doch einmal, pba_025.040 Was so köstlich ist! pba_025.041 Daß man doch zu seiner Qual pba_025.042 Nimmer es vergißt! pba_025.001
pba_025.010 Schlafend liegen der Berge Gipfel und die Thäler, pba_025.011 Uferklippen und Felsenschluchten, pba_025.012 Laubgezweig und alles Gewürm der schwarzen Erde, pba_025.013 Tiere des Bergwalds und das Volk der Bienen, pba_025.014 Und die Ungetüme der dunklen Meerestiefe, pba_025.015 Schlaf umfängt der Vögel pba_025.016 Breitgeflügelte Schwärme. pba_025.017 pba_025.020 Füllest wieder Busch und Thal pba_025.024 Still mit Nebelglanz, pba_025.025 Lösest endlich auch einmal pba_025.026 Meine Seele ganz; pba_025.027 Breitest über mein Gefild pba_025.028 Lindernd deinen Blick, pba_025.029 Wie des Freundes Auge mild pba_025.030 Ueber mein Geschick. pba_025.031 Jeden Nachklang fühlt mein Herz pba_025.032 Froh- und trüber Zeit, pba_025.033 Wandle zwischen Freud' und Schmerz pba_025.034 Jn der Einsamkeit. pba_025.035 Fließe, fließe, lieber Fluß! pba_025.036 Nimmer werd' ich froh! pba_025.037 So verrauschte Scherz und Kuß pba_025.038 Und die Treue so. pba_025.039
Jch besaß es doch einmal, pba_025.040 Was so köstlich ist! pba_025.041 Daß man doch zu seiner Qual pba_025.042 Nimmer es vergißt! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0043" n="25"/><lb n="pba_025.001"/> welches mit Recht als eine überraschende Parallele zu Goethes „Ueber <lb n="pba_025.002"/> allen Gipfeln“ herangezogen ist:</p> <lb n="pba_025.003"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l><foreign xml:lang="grc">Εν῞δουσιν δ</foreign>'<foreign xml:lang="grc">ὀρέων κορυφάι τε καὶ φάραγγες</foreign>,</l> <lb n="pba_025.004"/> <l><foreign xml:lang="grc">πρώονές τε καὶ χαράδραι</foreign>,</l> <lb n="pba_025.005"/> <l><foreign xml:lang="grc">φύλλα θ</foreign>'<foreign xml:lang="grc">ἑρπετά θ</foreign>'<foreign xml:lang="grc">ὅσσα τρέφει μέλαινα γαῖα</foreign>,</l> <lb n="pba_025.006"/> <l> <foreign xml:lang="grc">θῆρες ὀρεσκῷοί τε καὶ γένος μελισσᾶν</foreign> </l> <lb n="pba_025.007"/> <l><foreign xml:lang="grc">καὶ κνώδαλ' ἐν βένθεσι πορφυρέας ἁλός</foreign>·</l> <lb n="pba_025.008"/> <l><foreign xml:lang="grc">εὕδουσιν δ</foreign>'<foreign xml:lang="grc">ὀϊωνῶν</foreign></l> <lb n="pba_025.009"/> <l><foreign xml:lang="grc">φῦλα τανυπτερύγων</foreign>. </l> </lg> </hi> </p> <lg> <lb n="pba_025.010"/> <l>Schlafend liegen der Berge Gipfel und die Thäler,</l> <lb n="pba_025.011"/> <l>Uferklippen und Felsenschluchten,</l> <lb n="pba_025.012"/> <l>Laubgezweig und alles Gewürm der schwarzen Erde,</l> <lb n="pba_025.013"/> <l>Tiere des Bergwalds und das Volk der Bienen,</l> <lb n="pba_025.014"/> <l>Und die Ungetüme der dunklen Meerestiefe,</l> <lb n="pba_025.015"/> <l>Schlaf umfängt der Vögel</l> <lb n="pba_025.016"/> <l>Breitgeflügelte Schwärme.</l> </lg> <p><lb n="pba_025.017"/> Ueberall wird in beiden Künsten dieser <hi rendition="#g">eigentliche Gegenstand</hi> <lb n="pba_025.018"/> und <hi rendition="#g">Zweck</hi> der Nachahmung von den dafür verwendeten technischen Mitteln <lb n="pba_025.019"/> scharf zu unterscheiden sein.</p> <p><lb n="pba_025.020"/> Eine einzige, die ganze Seele wie der Spiegel eines ruhenden Sees <lb n="pba_025.021"/> ausfüllende Stimmung ist es auch, nur scheinbare Bewegung in Bildern <lb n="pba_025.022"/> und Empfindung, was in Goethes Lied „An den Mond“ nachgeahmt ist:</p> <lb n="pba_025.023"/> <lg> <l> Füllest wieder Busch und Thal</l> <lb n="pba_025.024"/> <l>Still mit Nebelglanz,</l> <lb n="pba_025.025"/> <l>Lösest endlich auch einmal</l> <lb n="pba_025.026"/> <l>Meine Seele ganz; </l> </lg> <lg> <lb n="pba_025.027"/> <l> Breitest über mein Gefild</l> <lb n="pba_025.028"/> <l>Lindernd deinen Blick,</l> <lb n="pba_025.029"/> <l>Wie des Freundes Auge mild</l> <lb n="pba_025.030"/> <l>Ueber mein Geschick. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_025.031"/> <l> Jeden Nachklang fühlt mein Herz</l> <lb n="pba_025.032"/> <l>Froh- und trüber Zeit,</l> <lb n="pba_025.033"/> <l>Wandle zwischen Freud' und Schmerz</l> <lb n="pba_025.034"/> <l>Jn der Einsamkeit. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_025.035"/> <l> Fließe, fließe, lieber Fluß!</l> <lb n="pba_025.036"/> <l>Nimmer werd' ich froh!</l> <lb n="pba_025.037"/> <l>So verrauschte Scherz und Kuß</l> <lb n="pba_025.038"/> <l>Und die Treue so. </l> </lg> <lg> <lb n="pba_025.039"/> <l> Jch besaß es doch einmal,</l> <lb n="pba_025.040"/> <l>Was so köstlich ist!</l> <lb n="pba_025.041"/> <l>Daß man doch zu seiner Qual</l> <lb n="pba_025.042"/> <l>Nimmer es vergißt!</l> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [25/0043]
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welches mit Recht als eine überraschende Parallele zu Goethes „Ueber pba_025.002
allen Gipfeln“ herangezogen ist:
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Εν῞δουσιν δ'ὀρέων κορυφάι τε καὶ φάραγγες, pba_025.004
πρώονές τε καὶ χαράδραι, pba_025.005
φύλλα θ'ἑρπετά θ'ὅσσα τρέφει μέλαινα γαῖα, pba_025.006
θῆρες ὀρεσκῷοί τε καὶ γένος μελισσᾶν pba_025.007
καὶ κνώδαλ' ἐν βένθεσι πορφυρέας ἁλός· pba_025.008
εὕδουσιν δ'ὀϊωνῶν pba_025.009
φῦλα τανυπτερύγων.
pba_025.010
Schlafend liegen der Berge Gipfel und die Thäler, pba_025.011
Uferklippen und Felsenschluchten, pba_025.012
Laubgezweig und alles Gewürm der schwarzen Erde, pba_025.013
Tiere des Bergwalds und das Volk der Bienen, pba_025.014
Und die Ungetüme der dunklen Meerestiefe, pba_025.015
Schlaf umfängt der Vögel pba_025.016
Breitgeflügelte Schwärme.
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Ueberall wird in beiden Künsten dieser eigentliche Gegenstand pba_025.018
und Zweck der Nachahmung von den dafür verwendeten technischen Mitteln pba_025.019
scharf zu unterscheiden sein.
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Eine einzige, die ganze Seele wie der Spiegel eines ruhenden Sees pba_025.021
ausfüllende Stimmung ist es auch, nur scheinbare Bewegung in Bildern pba_025.022
und Empfindung, was in Goethes Lied „An den Mond“ nachgeahmt ist:
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Füllest wieder Busch und Thal pba_025.024
Still mit Nebelglanz, pba_025.025
Lösest endlich auch einmal pba_025.026
Meine Seele ganz;
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Breitest über mein Gefild pba_025.028
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Ueber mein Geschick.
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Jeden Nachklang fühlt mein Herz pba_025.032
Froh- und trüber Zeit, pba_025.033
Wandle zwischen Freud' und Schmerz pba_025.034
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Fließe, fließe, lieber Fluß! pba_025.036
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So verrauschte Scherz und Kuß pba_025.038
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Jch besaß es doch einmal, pba_025.040
Was so köstlich ist! pba_025.041
Daß man doch zu seiner Qual pba_025.042
Nimmer es vergißt!
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