pba_398.001 der aus der Darstellung des Verkehrten als solchem resultierenden Lächerlichkeit pba_398.002 entsteht, sondern, was etwas ganz anderes ist, aus dem Siege pba_398.003 klarer Einsicht, fester Seelenhaltung und harmonischen Gemütes über pba_398.004 Trübungen, Jrrungen und gefährdende Angriffe aller Art.
pba_398.005 So kann es weiter nicht in Erstaunen setzen, in derselben Gattung pba_398.006 so sehr verschiedene Dramen zu finden, wie Shakespeares "Richard III." pba_398.007 und "der Kaufmann von Venedig" und wie Lessings "Nathan" pba_398.008 und seine "Minna von Barnhelm".
pba_398.009 Es ist das Großartige und Gewaltige, das Erschütternde und pba_398.010 Furchtbare in "Richard III.", was die Kritik wie die allgemeine pba_398.011 Stimme veranlaßt hat, das Stück als Tragödie aufzufassen. Aber wenn pba_398.012 auch das Schicksal mit machtvoller Stimme aus der Dichtung zu uns pba_398.013 spricht, so ist dieses Schicksal doch unter keinem Gesichtspunkt als ein pba_398.014 tragisches zu erkennen. Jn gewaltthätiger Zeit gelangt ein unerhört pba_398.015 gewissenloser und ebenso energisch kühner Usurpator durch eine Kette pba_398.016 entsetzlicher Verbrechen an sein Ziel und geht, nachdem er eine Weile pba_398.017 sich durch die Mittel der äußersten Tyrannei behauptet hat, in sich selbst pba_398.018 gebrochen an der unerbittlichen Logik der durch ihn selbst geschaffenen pba_398.019 Thatsachen und Verhältnisse zu Grunde, um einer besseren Epoche Raum pba_398.020 zu geben. Darin liegt allerdings eine Peripetie größten Stiles, aber pba_398.021 keineswegs eine tragische; nicht ein uns mit Furcht und Mitleid erfüllendes pba_398.022 Verhängnis tritt uns hier entgegen, sondern der in gerader pba_398.023 Linie sich entwickelnde Vollzug eines einfachen sittlichen pba_398.024 und historischen Gesetzes gewährt unserem Gerechtigkeitsgefühl pba_398.025 die ersehnte Befriedigung. Wenn irgendwo, so kommt pba_398.026 hier die Empfindung der Nemesis zu ihrem vollen Rechte. Denn auch pba_398.027 die von dem Wüten des Tyrannen Dahingerafften fallen durch die pba_398.028 Konsequenzen der eigenen Schuld, mit der sie sich zu Werkzeugen seiner pba_398.029 Verbrechen oder zu Teilnehmern an seinem verbrecherischen Gewinne pba_398.030 machten. Die jungen Prinzen freilich werden völlig schuldlos geschlachtet, pba_398.031 aber um so weniger ist ihr Schicksal ein tragisches; es dient nur dazu, pba_398.032 die Wucht des auf allen Teilhabern der ungeheuren Schuld lastenden pba_398.033 Fluches zu verstärken und seinen Vollzug zu beschleunigen.
pba_398.034 Es gibt vielleicht kein zweites Beispiel, das die positive Macht, die pba_398.035 in der Darstellung des Negativen liegen kann, so deutlich bezeugt, welches pba_398.036 so klar das Reciprocitätsverhältnis zwischen den Nemesisempfindungen pba_398.037 und der hedonischen Wirkung, die der Zweck aller Kunst ist, vor Augen pba_398.038 stellt, als dieses Stück. Jn der Dichtung aller Zeiten und Völker gibt pba_398.039 es keinen zweiten Stoff, der in gleicher gewaltiger Stärke und zugleich pba_398.040 in so unvermittelter Reinheit diese Empfindungen der Nemesis hervor-
pba_398.001 der aus der Darstellung des Verkehrten als solchem resultierenden Lächerlichkeit pba_398.002 entsteht, sondern, was etwas ganz anderes ist, aus dem Siege pba_398.003 klarer Einsicht, fester Seelenhaltung und harmonischen Gemütes über pba_398.004 Trübungen, Jrrungen und gefährdende Angriffe aller Art.
pba_398.005 So kann es weiter nicht in Erstaunen setzen, in derselben Gattung pba_398.006 so sehr verschiedene Dramen zu finden, wie Shakespeares „Richard III.“ pba_398.007 und „der Kaufmann von Venedig“ und wie Lessings „Nathan“ pba_398.008 und seine „Minna von Barnhelm“.
pba_398.009 Es ist das Großartige und Gewaltige, das Erschütternde und pba_398.010 Furchtbare in „Richard III.“, was die Kritik wie die allgemeine pba_398.011 Stimme veranlaßt hat, das Stück als Tragödie aufzufassen. Aber wenn pba_398.012 auch das Schicksal mit machtvoller Stimme aus der Dichtung zu uns pba_398.013 spricht, so ist dieses Schicksal doch unter keinem Gesichtspunkt als ein pba_398.014 tragisches zu erkennen. Jn gewaltthätiger Zeit gelangt ein unerhört pba_398.015 gewissenloser und ebenso energisch kühner Usurpator durch eine Kette pba_398.016 entsetzlicher Verbrechen an sein Ziel und geht, nachdem er eine Weile pba_398.017 sich durch die Mittel der äußersten Tyrannei behauptet hat, in sich selbst pba_398.018 gebrochen an der unerbittlichen Logik der durch ihn selbst geschaffenen pba_398.019 Thatsachen und Verhältnisse zu Grunde, um einer besseren Epoche Raum pba_398.020 zu geben. Darin liegt allerdings eine Peripetie größten Stiles, aber pba_398.021 keineswegs eine tragische; nicht ein uns mit Furcht und Mitleid erfüllendes pba_398.022 Verhängnis tritt uns hier entgegen, sondern der in gerader pba_398.023 Linie sich entwickelnde Vollzug eines einfachen sittlichen pba_398.024 und historischen Gesetzes gewährt unserem Gerechtigkeitsgefühl pba_398.025 die ersehnte Befriedigung. Wenn irgendwo, so kommt pba_398.026 hier die Empfindung der Nemesis zu ihrem vollen Rechte. Denn auch pba_398.027 die von dem Wüten des Tyrannen Dahingerafften fallen durch die pba_398.028 Konsequenzen der eigenen Schuld, mit der sie sich zu Werkzeugen seiner pba_398.029 Verbrechen oder zu Teilnehmern an seinem verbrecherischen Gewinne pba_398.030 machten. Die jungen Prinzen freilich werden völlig schuldlos geschlachtet, pba_398.031 aber um so weniger ist ihr Schicksal ein tragisches; es dient nur dazu, pba_398.032 die Wucht des auf allen Teilhabern der ungeheuren Schuld lastenden pba_398.033 Fluches zu verstärken und seinen Vollzug zu beschleunigen.
pba_398.034 Es gibt vielleicht kein zweites Beispiel, das die positive Macht, die pba_398.035 in der Darstellung des Negativen liegen kann, so deutlich bezeugt, welches pba_398.036 so klar das Reciprocitätsverhältnis zwischen den Nemesisempfindungen pba_398.037 und der hedonischen Wirkung, die der Zweck aller Kunst ist, vor Augen pba_398.038 stellt, als dieses Stück. Jn der Dichtung aller Zeiten und Völker gibt pba_398.039 es keinen zweiten Stoff, der in gleicher gewaltiger Stärke und zugleich pba_398.040 in so unvermittelter Reinheit diese Empfindungen der Nemesis hervor-
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So kann es weiter nicht in Erstaunen setzen, in derselben Gattung pba_398.006
so sehr verschiedene Dramen zu finden, wie Shakespeares „Richard III.“ pba_398.007
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Es gibt vielleicht kein zweites Beispiel, das die positive Macht, die pba_398.035
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/416>, abgerufen am 25.11.2024.
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