pba_353.001 Übrigens macht dieser wichtige innere Mangel sich ebenso für den pba_353.002 "Tasso" wie für den "Götz" in weiteren Konsequenzen geltend. pba_353.003 Wenn auch im "Tasso" sowohl in betreff der Komposition der nun pba_353.004 einmal erwählten Handlung als der Charakterdarstellung und der Form pba_353.005 des Ausdrucks die höchste Meisterschaft waltet, so ist durch den Mangel pba_353.006 der Energie, welche allein durch die echt tragische Einrichtung der Handlung pba_353.007 verliehen wird, doch die volle Wirkung des Stückes auf einen verhältnismäßig pba_353.008 engen Kreis von Wahrnehmenden eingeschränkt, auf die pba_353.009 immerhin geringe Zahl derer, welche einmal überhaupt auf die Höhe pba_353.010 der darin dargestellten exklusiven Denkweise sich zu erheben und ferner pba_353.011 mit der so höchst subjektiven Empfindungsweise des Helden lebhaft mitzufühlen pba_353.012 vermögen. Die Wirkung auf die Massen von der Bühne aus pba_353.013 kann die Schönheit dieses Dramas niemals erreichen.
pba_353.014 Diese Wirkungsfähigkeit fehlt der auf das Kräftigste bewegten pba_353.015 Handlung des "Götz" nun zwar keineswegs, aber dafür entgeht ihr pba_353.016 die Jntensität der echten Tragik; diese der Haupthandlung unvertilgbar pba_353.017 innewohnende Schwäche war es, die zur Belastung derselben mit zahlreichen pba_353.018 tragischen Episoden führte, die jene Unzulänglichkeit anfänglich pba_353.019 wohl verdecken konnten, ohne daß alle späteren Versuche veränderter pba_353.020 Bühneneinrichtung ihr doch abzuhelfen imstande waren; durch denselben pba_353.021 innerlich wirkenden Grund wurde der Handlung die Konzentration auf pba_353.022 einen Punkt, die echt dramatische Einheit, entzogen und dieselbe in eine pba_353.023 den Bühnengesetzen von Ort- und Zeitbeschränkung schlechterdings widersprechende pba_353.024 Reihe von Einzelbildern auseinandergezogen.
pba_353.025 Der zweite Fall des an die ethische Tragödie angrenzenden pba_353.026 "Schauspiels" ist der, daß zwar ganz wie im ersten das Befürchtung pba_353.027 erregende Element sich aus dem Ethos der handelnden Personen entwickelt, pba_353.028 auch im Verlauf der Handlung die entsprechende Wirkung auf pba_353.029 die Empfindung zur Geltung kommt, daß aber die Konsequenzen pba_353.030 desselben durch den Verlauf der Handlung überhaupt pba_353.031 vermieden werden.
pba_353.032 Dabei muß notwendig unterschieden werden, ob diese Vermeidung pba_353.033 eine durch die gesamte Einrichtung der Handlung gerechtfertigte ist, pba_353.034 oder ob sie im Gegensatze zu den Forderungen derselben, also unberechtigt, pba_353.035 willkürlich, gewaltsam herbeigeführt ist. Dieser letztere pba_353.036 Fall ist es, der schon früher als eine Anomalie bezeichnet wurde, welche pba_353.037 durch fehlerhafte Behandlung eines an sich tragischen Stoffes entstände.
pba_353.038 Das hervorragendste Beispiel derart, in allem Übrigen ein Meisterstück, pba_353.039 durch diese anomale Kompositionsweise aber von Grund aus verfehlt, pba_353.040 ist Goethes "Stella", "ein Schauspiel für Liebende."
pba_353.001 Übrigens macht dieser wichtige innere Mangel sich ebenso für den pba_353.002 „Tasso“ wie für den „Götz“ in weiteren Konsequenzen geltend. pba_353.003 Wenn auch im „Tasso“ sowohl in betreff der Komposition der nun pba_353.004 einmal erwählten Handlung als der Charakterdarstellung und der Form pba_353.005 des Ausdrucks die höchste Meisterschaft waltet, so ist durch den Mangel pba_353.006 der Energie, welche allein durch die echt tragische Einrichtung der Handlung pba_353.007 verliehen wird, doch die volle Wirkung des Stückes auf einen verhältnismäßig pba_353.008 engen Kreis von Wahrnehmenden eingeschränkt, auf die pba_353.009 immerhin geringe Zahl derer, welche einmal überhaupt auf die Höhe pba_353.010 der darin dargestellten exklusiven Denkweise sich zu erheben und ferner pba_353.011 mit der so höchst subjektiven Empfindungsweise des Helden lebhaft mitzufühlen pba_353.012 vermögen. Die Wirkung auf die Massen von der Bühne aus pba_353.013 kann die Schönheit dieses Dramas niemals erreichen.
pba_353.014 Diese Wirkungsfähigkeit fehlt der auf das Kräftigste bewegten pba_353.015 Handlung des „Götz“ nun zwar keineswegs, aber dafür entgeht ihr pba_353.016 die Jntensität der echten Tragik; diese der Haupthandlung unvertilgbar pba_353.017 innewohnende Schwäche war es, die zur Belastung derselben mit zahlreichen pba_353.018 tragischen Episoden führte, die jene Unzulänglichkeit anfänglich pba_353.019 wohl verdecken konnten, ohne daß alle späteren Versuche veränderter pba_353.020 Bühneneinrichtung ihr doch abzuhelfen imstande waren; durch denselben pba_353.021 innerlich wirkenden Grund wurde der Handlung die Konzentration auf pba_353.022 einen Punkt, die echt dramatische Einheit, entzogen und dieselbe in eine pba_353.023 den Bühnengesetzen von Ort- und Zeitbeschränkung schlechterdings widersprechende pba_353.024 Reihe von Einzelbildern auseinandergezogen.
pba_353.025 Der zweite Fall des an die ethische Tragödie angrenzenden pba_353.026 „Schauspiels“ ist der, daß zwar ganz wie im ersten das Befürchtung pba_353.027 erregende Element sich aus dem Ethos der handelnden Personen entwickelt, pba_353.028 auch im Verlauf der Handlung die entsprechende Wirkung auf pba_353.029 die Empfindung zur Geltung kommt, daß aber die Konsequenzen pba_353.030 desselben durch den Verlauf der Handlung überhaupt pba_353.031 vermieden werden.
pba_353.032 Dabei muß notwendig unterschieden werden, ob diese Vermeidung pba_353.033 eine durch die gesamte Einrichtung der Handlung gerechtfertigte ist, pba_353.034 oder ob sie im Gegensatze zu den Forderungen derselben, also unberechtigt, pba_353.035 willkürlich, gewaltsam herbeigeführt ist. Dieser letztere pba_353.036 Fall ist es, der schon früher als eine Anomalie bezeichnet wurde, welche pba_353.037 durch fehlerhafte Behandlung eines an sich tragischen Stoffes entstände.
pba_353.038 Das hervorragendste Beispiel derart, in allem Übrigen ein Meisterstück, pba_353.039 durch diese anomale Kompositionsweise aber von Grund aus verfehlt, pba_353.040 ist Goethes „Stella“, „ein Schauspiel für Liebende.“
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Übrigens macht dieser wichtige innere Mangel sich ebenso für den pba_353.002
„Tasso“ wie für den „Götz“ in weiteren Konsequenzen geltend. pba_353.003
Wenn auch im „Tasso“ sowohl in betreff der Komposition der nun pba_353.004
einmal erwählten Handlung als der Charakterdarstellung und der Form pba_353.005
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verliehen wird, doch die volle Wirkung des Stückes auf einen verhältnismäßig pba_353.008
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mit der so höchst subjektiven Empfindungsweise des Helden lebhaft mitzufühlen pba_353.012
vermögen. Die Wirkung auf die Massen von der Bühne aus pba_353.013
kann die Schönheit dieses Dramas niemals erreichen.
pba_353.014
Diese Wirkungsfähigkeit fehlt der auf das Kräftigste bewegten pba_353.015
Handlung des „Götz“ nun zwar keineswegs, aber dafür entgeht ihr pba_353.016
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tragischen Episoden führte, die jene Unzulänglichkeit anfänglich pba_353.019
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durch fehlerhafte Behandlung eines an sich tragischen Stoffes entstände.
pba_353.038
Das hervorragendste Beispiel derart, in allem Übrigen ein Meisterstück, pba_353.039
durch diese anomale Kompositionsweise aber von Grund aus verfehlt, pba_353.040
ist Goethes „Stella“, „ein Schauspiel für Liebende.“
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/371>, abgerufen am 25.11.2024.
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