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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Ganz ebenso echt episch ist die Handlung der Jlias: der Zorn pba_345.002
des Achilleus, der ihm selbst und den Griechen Verderben bringt, bis pba_345.003
er durch den Tod des Patroklos seine Grenze findet. Der ganze Gang pba_345.004
der Handlung ist durch dieses über ihre gesamte Dauer sich erstreckende pba_345.005
Motiv Retardation; aber nicht etwa eine äußerliche, mechanische Verlangsamung, pba_345.006
sondern eine aus der innersten Natur der Handlung sich pba_345.007
entwickelnde Hemmung, die zur zwingenden Veranlassung wird, daß an pba_345.008
dem daran geknüpften Schicksal des herrlichsten Helden sich Leben und pba_345.009
Walten, Handeln und Schicksal der Fürsten und Völker entfaltet, in pba_345.010
reichster Fülle und dennoch überall jener einen, einfachen Haupthandlung pba_345.011
dienstbar.

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So unentbehrlich ist dieses innere Hemmungsmoment für die epische pba_345.013
Handlung, daß wo es organisch nicht vorhanden ist, es äußerlich geschaffen pba_345.014
werden muß: derart sind die willkürlichen, äußerlich und mechanisch pba_345.015
eingefügten Erfindungen, durch die in der Masse der romantischen pba_345.016
Ritterepen die Helden von ihrem Ziele abgetrieben, entfernt gehalten pba_345.017
werden, um sie durch eine beliebig breite und bunte Masse von Abenteuern pba_345.018
umherzujagen. Auch hier zeigt sich wieder die überragende Stellung pba_345.019
des Parcival und Tristan: die Findung des Gral ist ein solches pba_345.020
organisches Hemmungsmotiv von hervorragender Vortrefflichkeit; diese pba_345.021
im Geiste des ritterlich-kirchlichen Zeitalters erfundene Symbolisierung pba_345.022
höchster psychologisch-ethischer Entwickelung erzeugt mit zwingender, überzeugender pba_345.023
Kraft eine Reihe von Handlungen, die trotz ihrer scheinbar pba_345.024
äußerlich-willkürlichen Verknüpfung durch eine organisch zusammenhängende pba_345.025
Reihe innerer Hemmungen zum vollendenden Abschluß hindurchführen; pba_345.026
so zwar, daß an diesem Lebensgange sich die bedeutsamsten Aufgaben pba_345.027
und Strebungen der Epoche darstellen. Von wenigstens ähnlicher Kraft pba_345.028
ist im Tristan der Kampf unbezwinglicher Liebesgewalt gegen alle das pba_345.029
Leben beherrschenden und die Gesellschaft erhaltenden Gesetze der Sitte, pba_345.030
der Treue und der Pflicht, wenngleich dem Dichter hier die Kraft zu pba_345.031
dem unabwendbaren tragischen Abschluß versagte; ein Umstand, der pba_345.032
keineswegs allein in der fragmentarischen Gestalt seines Gedichtes sich pba_345.033
kundgibt, sondern, was weit schwerer wiegt, auch in der Anlage und pba_345.034
Durchführung des Vorhandenen.

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Aus alledem ergeben sich leicht die Gründe, warum eine episch angelegte pba_345.036
Handlung der dramatischen Gestaltung widerstreben muß. Selbst pba_345.037
wenn die Katastrophe sich in engere Kreise einschließt, oder wenn es pba_345.038
gelingt ihre Fülle und Breite durch allerlei Kunstmittel zu überwinden, pba_345.039
so muß im Drama doch alles weggelassen werden, um dessentwillen der pba_345.040
eigentliche Körper des Epos vorhanden ist; es vermag nur eine Art

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Ganz ebenso echt episch ist die Handlung der Jlias: der Zorn pba_345.002
des Achilleus, der ihm selbst und den Griechen Verderben bringt, bis pba_345.003
er durch den Tod des Patroklos seine Grenze findet. Der ganze Gang pba_345.004
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Motiv Retardation; aber nicht etwa eine äußerliche, mechanische Verlangsamung, pba_345.006
sondern eine aus der innersten Natur der Handlung sich pba_345.007
entwickelnde Hemmung, die zur zwingenden Veranlassung wird, daß an pba_345.008
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Walten, Handeln und Schicksal der Fürsten und Völker entfaltet, in pba_345.010
reichster Fülle und dennoch überall jener einen, einfachen Haupthandlung pba_345.011
dienstbar.

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So unentbehrlich ist dieses innere Hemmungsmoment für die epische pba_345.013
Handlung, daß wo es organisch nicht vorhanden ist, es äußerlich geschaffen pba_345.014
werden muß: derart sind die willkürlichen, äußerlich und mechanisch pba_345.015
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Ritterepen die Helden von ihrem Ziele abgetrieben, entfernt gehalten pba_345.017
werden, um sie durch eine beliebig breite und bunte Masse von Abenteuern pba_345.018
umherzujagen. Auch hier zeigt sich wieder die überragende Stellung pba_345.019
des Parcival und Tristan: die Findung des Gral ist ein solches pba_345.020
organisches Hemmungsmotiv von hervorragender Vortrefflichkeit; diese pba_345.021
im Geiste des ritterlich-kirchlichen Zeitalters erfundene Symbolisierung pba_345.022
höchster psychologisch-ethischer Entwickelung erzeugt mit zwingender, überzeugender pba_345.023
Kraft eine Reihe von Handlungen, die trotz ihrer scheinbar pba_345.024
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so zwar, daß an diesem Lebensgange sich die bedeutsamsten Aufgaben pba_345.027
und Strebungen der Epoche darstellen. Von wenigstens ähnlicher Kraft pba_345.028
ist im Tristan der Kampf unbezwinglicher Liebesgewalt gegen alle das pba_345.029
Leben beherrschenden und die Gesellschaft erhaltenden Gesetze der Sitte, pba_345.030
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keineswegs allein in der fragmentarischen Gestalt seines Gedichtes sich pba_345.033
kundgibt, sondern, was weit schwerer wiegt, auch in der Anlage und pba_345.034
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Aus alledem ergeben sich leicht die Gründe, warum eine episch angelegte pba_345.036
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wenn die Katastrophe sich in engere Kreise einschließt, oder wenn es pba_345.038
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/363>, abgerufen am 22.11.2024.