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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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als daß wir uns eine Unterlassung dieser Pflicht, die zu den wesentlichsten pba_337.002
dramatischen Forderungen gehört, gefallen ließen. Wenn in pba_337.003
Molieres "Tartuffe" die Nemesis am Schlusse als deus ex machina pba_337.004
in der Gestalt der allgegenwärtigen und allweisen Polizei Ludwigs XIV. pba_337.005
auf dem Schauplatze erscheint, so liegt darin keineswegs allein eine Konzession pba_337.006
an den souveränen Absolutismus des "großen" Königs, um für pba_337.007
den Spott gegen die Jesuiten Jndemnität zu erhalten, sondern eine pba_337.008
viel größere an das absolute Gesetz der Kunst, um die Darstellung der pba_337.009
im Stücke dominierenden "schlechten" Handlung für die komische Bühne pba_337.010
überhaupt möglich zu machen.

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Es erscheint also als ein Widersinn, selbst wenn noch so viele pba_337.012
Fälle der Wirklichkeit bei schlechten Handlungen den glücklichen Ausgang pba_337.013
zeigen sollten, eine derartige Handlung dramatisch darzustellen; pba_337.014
nicht ausnahmsweiser, sondern gesetzmäßiger Verlauf soll dargestellt pba_337.015
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Aus eben demselben Grunde aber ergeben sich die schwersten Bedenken pba_337.017
auch gegen den gerade umgekehrten Fall, obwohl dieser auf den pba_337.018
ersten Blick ganz einwandsfrei zu sein, ja recht eigentlich das Gesetz zu pba_337.019
repräsentieren scheint, wenn auch nicht das thatsächlich geltende, so doch pba_337.020
dasjenige, von dem man meint, daß es gelten sollte: daß nämlich pba_337.021
gute Handlungen dargestellt werden, die von entsprechendem pba_337.022
gutem Glück begleitet werden.

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Unzweifelhaft kommen derartige Fälle in der Wirklichkeit mehr oder pba_337.024
minder oft vor; aber sicherlich ist es ein Jrrtum, dieses Reciprocitätsverhältnis pba_337.025
zwischen der moralischen Güte der Handlungen und dem pba_337.026
äußern Glück, der Gunst der Schicksalsfügungen, als ein notwendiges, pba_337.027
oder auch nur in hohem Grade wahrscheinliches anzusehen und es demgemäß pba_337.028
in einem einzelnen, als typisch geltenden Falle als das gesetzmäßige pba_337.029
darzustellen. So sehr die Menschen zu solchem Glauben, ja zu pba_337.030
derartigen, gewissermaßen als Rechtsanspruch betrachteten Forderungen pba_337.031
geneigt sind, so widerspricht dem doch ebenso die Erfahrung als die pba_337.032
theoretische Doktrin des Sittengesetzes, welche lehrt, daß der Lohn für pba_337.033
moralische Güte nicht von außen erwartet, sondern im innern Bewußtsein pba_337.034
gefunden werden soll.

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Dieses innere Glück eines reinen und zufriedenen Bewußtseins ist pba_337.036
freilich durch die moralische Richtigkeit einer Handlung immer gesichert, pba_337.037
aber der äußere glückliche Erfolg doch nur zu dem geringen Teile, als pba_337.038
eben eine von den Quellen möglichen Mißerfolges abgeschnitten ist; es pba_337.039
bleiben aber die bei weitem stärker fließenden einmal der lediglich von pba_337.040
außen wirkenden, unvermeidlichen Ereignisse und unberechenbaren Kom-

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als daß wir uns eine Unterlassung dieser Pflicht, die zu den wesentlichsten pba_337.002
dramatischen Forderungen gehört, gefallen ließen. Wenn in pba_337.003
Molières „Tartuffe“ die Nemesis am Schlusse als deus ex machina pba_337.004
in der Gestalt der allgegenwärtigen und allweisen Polizei Ludwigs XIV. pba_337.005
auf dem Schauplatze erscheint, so liegt darin keineswegs allein eine Konzession pba_337.006
an den souveränen Absolutismus des „großen“ Königs, um für pba_337.007
den Spott gegen die Jesuiten Jndemnität zu erhalten, sondern eine pba_337.008
viel größere an das absolute Gesetz der Kunst, um die Darstellung der pba_337.009
im Stücke dominierenden „schlechten“ Handlung für die komische Bühne pba_337.010
überhaupt möglich zu machen.

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Es erscheint also als ein Widersinn, selbst wenn noch so viele pba_337.012
Fälle der Wirklichkeit bei schlechten Handlungen den glücklichen Ausgang pba_337.013
zeigen sollten, eine derartige Handlung dramatisch darzustellen; pba_337.014
nicht ausnahmsweiser, sondern gesetzmäßiger Verlauf soll dargestellt pba_337.015
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Aus eben demselben Grunde aber ergeben sich die schwersten Bedenken pba_337.017
auch gegen den gerade umgekehrten Fall, obwohl dieser auf den pba_337.018
ersten Blick ganz einwandsfrei zu sein, ja recht eigentlich das Gesetz zu pba_337.019
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dasjenige, von dem man meint, daß es gelten sollte: daß nämlich pba_337.021
gute Handlungen dargestellt werden, die von entsprechendem pba_337.022
gutem Glück begleitet werden.

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Unzweifelhaft kommen derartige Fälle in der Wirklichkeit mehr oder pba_337.024
minder oft vor; aber sicherlich ist es ein Jrrtum, dieses Reciprocitätsverhältnis pba_337.025
zwischen der moralischen Güte der Handlungen und dem pba_337.026
äußern Glück, der Gunst der Schicksalsfügungen, als ein notwendiges, pba_337.027
oder auch nur in hohem Grade wahrscheinliches anzusehen und es demgemäß pba_337.028
in einem einzelnen, als typisch geltenden Falle als das gesetzmäßige pba_337.029
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derartigen, gewissermaßen als Rechtsanspruch betrachteten Forderungen pba_337.031
geneigt sind, so widerspricht dem doch ebenso die Erfahrung als die pba_337.032
theoretische Doktrin des Sittengesetzes, welche lehrt, daß der Lohn für pba_337.033
moralische Güte nicht von außen erwartet, sondern im innern Bewußtsein pba_337.034
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Dieses innere Glück eines reinen und zufriedenen Bewußtseins ist pba_337.036
freilich durch die moralische Richtigkeit einer Handlung immer gesichert, pba_337.037
aber der äußere glückliche Erfolg doch nur zu dem geringen Teile, als pba_337.038
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/355>, abgerufen am 22.11.2024.