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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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lächerlich, während ihnen das Fehlerhafte und Lächerliche vielleicht Verehrung pba_238.002
oder doch wesentliches Jnteresse einflößt. "Durch nichts bezeichnen pba_238.003
daher die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was pba_238.004
sie lächerlich finden", wie einer der Goetheschen Sprüche lautet.1 Es pba_238.005
ist die höchste Kraft des echten Witzes durch das Vermögen der Darstellung pba_238.006
das wahrhaft Fehlerhafte und Deforme so evident zu machen, pba_238.007
daß er durch die reine Leuchtkraft des Lächerlichen den Nebel der pba_238.008
subjektiven Vorurteile und individueller Neigung und Abneigung siegreich pba_238.009
durchdringt. Wie sehr dazu die Ausscheidung alles Schmerzlichen, Verletzenden, pba_238.010
schädlich auch nur Erscheinenden notwendig ist, um die Reinheit pba_238.011
jener Leuchtkraft nicht zu trüben, braucht nicht wiederholt zu werden.

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So reinigend und kräftig die Darstellung dieses wahrhaft Lächerlichen pba_238.013
wirkt und so wahrhaft erfreuend sie ist, so trügerisch, ja mitunter pba_238.014
verderblich irreführend, ist der falsche Schein desselben, obwohl auch pba_238.015
dieser durch die bloße Form der Darstellung eines, immerhin an pba_238.016
sich falsch gesehenen,
Fehlerhaften und Deformen als solchem noch pba_238.017
die Freude an der unmittelbar und mühelos erfolgenden Urteilsthätigkeit pba_238.018
hervorruft. Ein nicht geringer Teil des Heineschen Witzes ist ganz pba_238.019
von dieser Art.

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Dagegen wird dem ganz Urteilslosen oder dem dieser Thätigkeit pba_238.021
Abgewandten in der Selbstgefälligkeit seines Unvermögens leicht bei dem pba_238.022
geringfügigsten Anlaß die behagliche Täuschung sich einstellen, als sei er pba_238.023
überraschend erleuchtet, oder auch ohne allen Grund die Vorstellung, er pba_238.024
habe Gelegenheit zu scharfsinniger Erkenntnis gefunden. Diese Klasse pba_238.025
von albernen Thoren steht weit unter denen, für die das Lachen der pba_238.026
Ausdruck des bloßen Wohlbefindens ist, und welche Goethe im Sinne pba_238.027
hat, wenn er sagt: "Der sinnliche Mensch lacht oft, wo nichts pba_238.028
zu lachen ist. Was ihn auch anregt, sein inneres Behagen pba_238.029
kommt zum Vorschein.
"2 Dieses Lachen ist von einer ganz andern pba_238.030
Art als das dem Verstandes-Lächerlichen entspringende; es ist nur zu pba_238.031
verstehen und zu erklären aus dem Zusammenhange mit demjenigen pba_238.032
Lächerlichen, welches auch in der Poesie seinen Platz, und zwar einen pba_238.033
Ehrenplatz hat. Dieses ist das dem ästhetischen Urteil unterworfene, pba_238.034
das Ästhetisch-Lächerliche.

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Wenn man sich des Kantschen Ausdrucks "ästhetisches Urteil" bedient, pba_238.036
so ist es erforderlich, sich dabei sorgfältig zu erinnern, daß diese pba_238.037
Bezeichnung eine uneigentliche ist. Ein Urteil, bei dem das Bewußtsein

1 pba_238.038
Sprüche: Ethisches V, Nr. 413.
2 pba_238.039
Sprüche: Ethisches V, Nr. 415.

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lächerlich, während ihnen das Fehlerhafte und Lächerliche vielleicht Verehrung pba_238.002
oder doch wesentliches Jnteresse einflößt. „Durch nichts bezeichnen pba_238.003
daher die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was pba_238.004
sie lächerlich finden“, wie einer der Goetheschen Sprüche lautet.1 Es pba_238.005
ist die höchste Kraft des echten Witzes durch das Vermögen der Darstellung pba_238.006
das wahrhaft Fehlerhafte und Deforme so evident zu machen, pba_238.007
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schädlich auch nur Erscheinenden notwendig ist, um die Reinheit pba_238.011
jener Leuchtkraft nicht zu trüben, braucht nicht wiederholt zu werden.

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So reinigend und kräftig die Darstellung dieses wahrhaft Lächerlichen pba_238.013
wirkt und so wahrhaft erfreuend sie ist, so trügerisch, ja mitunter pba_238.014
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dieser durch die bloße Form der Darstellung eines, immerhin an pba_238.016
sich falsch gesehenen,
Fehlerhaften und Deformen als solchem noch pba_238.017
die Freude an der unmittelbar und mühelos erfolgenden Urteilsthätigkeit pba_238.018
hervorruft. Ein nicht geringer Teil des Heineschen Witzes ist ganz pba_238.019
von dieser Art.

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Dagegen wird dem ganz Urteilslosen oder dem dieser Thätigkeit pba_238.021
Abgewandten in der Selbstgefälligkeit seines Unvermögens leicht bei dem pba_238.022
geringfügigsten Anlaß die behagliche Täuschung sich einstellen, als sei er pba_238.023
überraschend erleuchtet, oder auch ohne allen Grund die Vorstellung, er pba_238.024
habe Gelegenheit zu scharfsinniger Erkenntnis gefunden. Diese Klasse pba_238.025
von albernen Thoren steht weit unter denen, für die das Lachen der pba_238.026
Ausdruck des bloßen Wohlbefindens ist, und welche Goethe im Sinne pba_238.027
hat, wenn er sagt: „Der sinnliche Mensch lacht oft, wo nichts pba_238.028
zu lachen ist. Was ihn auch anregt, sein inneres Behagen pba_238.029
kommt zum Vorschein.
2 Dieses Lachen ist von einer ganz andern pba_238.030
Art als das dem Verstandes-Lächerlichen entspringende; es ist nur zu pba_238.031
verstehen und zu erklären aus dem Zusammenhange mit demjenigen pba_238.032
Lächerlichen, welches auch in der Poesie seinen Platz, und zwar einen pba_238.033
Ehrenplatz hat. Dieses ist das dem ästhetischen Urteil unterworfene, pba_238.034
das Ästhetisch-Lächerliche.

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Wenn man sich des Kantschen Ausdrucks „ästhetisches Urteil“ bedient, pba_238.036
so ist es erforderlich, sich dabei sorgfältig zu erinnern, daß diese pba_238.037
Bezeichnung eine uneigentliche ist. Ein Urteil, bei dem das Bewußtsein

1 pba_238.038
Sprüche: Ethisches V, Nr. 413.
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Sprüche: Ethisches V, Nr. 415.
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/256>, abgerufen am 22.11.2024.