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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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wahren Freude
begleitet sind, so ist es ja offenbar, daß die Erscheinung pba_152.002
dieser selben Freude, welche die Thätigkeit der empfindenden Wahrnehmung, pba_152.003
der Aisthesis, begleitet, sobald dieselbe durch die künstlerische pba_152.004
Nachahmung in den Stand gesetzt wird, jene Seelenthätigkeiten gleichsam pba_152.005
zu wiederholen, unter allen Umständen den sicheren Rückschluß auf die pba_152.006
Beschaffenheit jener Seelenthätigkeiten gestatten muß: das heißt mit pba_152.007
anderen Worten, daß in dem unmittelbar und ohne Bewußtsein pba_152.008
der Gründe gefällten Urteil über das Wohlgefällige pba_152.009
der Nachahmung ebenso auch die Urteile der Vernunft über pba_152.010
das Gute und die des Verstandes über das Richtige derselben pba_152.011
enthalten sein, daß sie alle drei zusammenstimmen pba_152.012
und daß die beiden letzten aus dem ersten sich entwickeln pba_152.013
lassen müssen.

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Nachahmungen, welche die so beschriebene Wirkung haben, sind pba_152.015
schön: was dazu gehört, sie hervorzubringen, worin, mit andern pba_152.016
Worten, das Schöne besteht, kann also durch eine allgemeine Definition pba_152.017
nicht bestimmt werden, sondern auf der einen Seite freilich durch pba_152.018
die Gesetze über die Beschaffenheit der Nachahmungsobjekte, d. i. der pba_152.019
Seelenthätigkeiten und -Beschaffenheiten -- und diese Gesetze sind allerdings pba_152.020
allgemeiner Natur --, auf der andern aber, welche für die Ausführung pba_152.021
die entscheidende ist, einzig und allein durch die für jede pba_152.022
Kunstgattung und -Art verschiedenen Vorschriften darüber, welche Wahl pba_152.023
von einer jeden unter den Nachahmungsobjekten zu treffen ist und in pba_152.024
welcher Art dieselben, je nach der Beschaffenheit der zu Gebote pba_152.025
stehenden Mittel,
der empfindenden Wahrnehmung vorzuführen sind. pba_152.026
Das Ergebnis davon ist für jede Gattung und Art der Kunst die pba_152.027
Regel ihrer Form.

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Der Satz, welchen Lessing als das Grundgesetz für die gesamte pba_152.029
Dichtung aufstellt: "Handlungen sind der Gegenstand der pba_152.030
Poesie
", hat also seine Geltung nur für das eine Gebiet derselben, pba_152.031
die Epik in ihrem ganzen Umfange. Wo die Handlung sonst in der pba_152.032
Dichtung auftritt, dient sie derselben nur als Mittel, d. h. sie wird pba_152.033
nicht um ihrer selbst willen erzählt, sondern sie wird nach einer einseitigen pba_152.034
Richtung hin benutzt, um einen abgesonderten Nachahmungszweck pba_152.035
zu ereichen: einen anderen im Liede, einen anderen in der Ballade, in pba_152.036
in der gnomischen Dichtung oder im Epigramm.

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Was Goethe in dem inhaltschweren Liede "Gefunden" ("Jch pba_152.038
ging im Walde so für mich hin" u. s. w.) erzählt, erinnert freilich pba_152.039
den in die Lebensverhältnisse des Dichters Eingeweihten an eine Handlung, pba_152.040
die den Namen im eminentesten Sinne verdient, aber es fehlt ge-

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wahren Freude
begleitet sind, so ist es ja offenbar, daß die Erscheinung pba_152.002
dieser selben Freude, welche die Thätigkeit der empfindenden Wahrnehmung, pba_152.003
der Aisthesis, begleitet, sobald dieselbe durch die künstlerische pba_152.004
Nachahmung in den Stand gesetzt wird, jene Seelenthätigkeiten gleichsam pba_152.005
zu wiederholen, unter allen Umständen den sicheren Rückschluß auf die pba_152.006
Beschaffenheit jener Seelenthätigkeiten gestatten muß: das heißt mit pba_152.007
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der Gründe gefällten Urteil über das Wohlgefällige pba_152.009
der Nachahmung ebenso auch die Urteile der Vernunft über pba_152.010
das Gute und die des Verstandes über das Richtige derselben pba_152.011
enthalten sein, daß sie alle drei zusammenstimmen pba_152.012
und daß die beiden letzten aus dem ersten sich entwickeln pba_152.013
lassen müssen.

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Nachahmungen, welche die so beschriebene Wirkung haben, sind pba_152.015
schön: was dazu gehört, sie hervorzubringen, worin, mit andern pba_152.016
Worten, das Schöne besteht, kann also durch eine allgemeine Definition pba_152.017
nicht bestimmt werden, sondern auf der einen Seite freilich durch pba_152.018
die Gesetze über die Beschaffenheit der Nachahmungsobjekte, d. i. der pba_152.019
Seelenthätigkeiten und -Beschaffenheiten — und diese Gesetze sind allerdings pba_152.020
allgemeiner Natur —, auf der andern aber, welche für die Ausführung pba_152.021
die entscheidende ist, einzig und allein durch die für jede pba_152.022
Kunstgattung und -Art verschiedenen Vorschriften darüber, welche Wahl pba_152.023
von einer jeden unter den Nachahmungsobjekten zu treffen ist und in pba_152.024
welcher Art dieselben, je nach der Beschaffenheit der zu Gebote pba_152.025
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der empfindenden Wahrnehmung vorzuführen sind. pba_152.026
Das Ergebnis davon ist für jede Gattung und Art der Kunst die pba_152.027
Regel ihrer Form.

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Der Satz, welchen Lessing als das Grundgesetz für die gesamte pba_152.029
Dichtung aufstellt: „Handlungen sind der Gegenstand der pba_152.030
Poesie
“, hat also seine Geltung nur für das eine Gebiet derselben, pba_152.031
die Epik in ihrem ganzen Umfange. Wo die Handlung sonst in der pba_152.032
Dichtung auftritt, dient sie derselben nur als Mittel, d. h. sie wird pba_152.033
nicht um ihrer selbst willen erzählt, sondern sie wird nach einer einseitigen pba_152.034
Richtung hin benutzt, um einen abgesonderten Nachahmungszweck pba_152.035
zu ereichen: einen anderen im Liede, einen anderen in der Ballade, in pba_152.036
in der gnomischen Dichtung oder im Epigramm.

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Was Goethe in dem inhaltschweren Liede „Gefunden“ („Jch pba_152.038
ging im Walde so für mich hin“ u. s. w.) erzählt, erinnert freilich pba_152.039
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[152/0170] pba_152.001 wahren Freude begleitet sind, so ist es ja offenbar, daß die Erscheinung pba_152.002 dieser selben Freude, welche die Thätigkeit der empfindenden Wahrnehmung, pba_152.003 der Aisthesis, begleitet, sobald dieselbe durch die künstlerische pba_152.004 Nachahmung in den Stand gesetzt wird, jene Seelenthätigkeiten gleichsam pba_152.005 zu wiederholen, unter allen Umständen den sicheren Rückschluß auf die pba_152.006 Beschaffenheit jener Seelenthätigkeiten gestatten muß: das heißt mit pba_152.007 anderen Worten, daß in dem unmittelbar und ohne Bewußtsein pba_152.008 der Gründe gefällten Urteil über das Wohlgefällige pba_152.009 der Nachahmung ebenso auch die Urteile der Vernunft über pba_152.010 das Gute und die des Verstandes über das Richtige derselben pba_152.011 enthalten sein, daß sie alle drei zusammenstimmen pba_152.012 und daß die beiden letzten aus dem ersten sich entwickeln pba_152.013 lassen müssen. pba_152.014 Nachahmungen, welche die so beschriebene Wirkung haben, sind pba_152.015 schön: was dazu gehört, sie hervorzubringen, worin, mit andern pba_152.016 Worten, das Schöne besteht, kann also durch eine allgemeine Definition pba_152.017 nicht bestimmt werden, sondern auf der einen Seite freilich durch pba_152.018 die Gesetze über die Beschaffenheit der Nachahmungsobjekte, d. i. der pba_152.019 Seelenthätigkeiten und -Beschaffenheiten — und diese Gesetze sind allerdings pba_152.020 allgemeiner Natur —, auf der andern aber, welche für die Ausführung pba_152.021 die entscheidende ist, einzig und allein durch die für jede pba_152.022 Kunstgattung und -Art verschiedenen Vorschriften darüber, welche Wahl pba_152.023 von einer jeden unter den Nachahmungsobjekten zu treffen ist und in pba_152.024 welcher Art dieselben, je nach der Beschaffenheit der zu Gebote pba_152.025 stehenden Mittel, der empfindenden Wahrnehmung vorzuführen sind. pba_152.026 Das Ergebnis davon ist für jede Gattung und Art der Kunst die pba_152.027 Regel ihrer Form. pba_152.028 Der Satz, welchen Lessing als das Grundgesetz für die gesamte pba_152.029 Dichtung aufstellt: „Handlungen sind der Gegenstand der pba_152.030 Poesie“, hat also seine Geltung nur für das eine Gebiet derselben, pba_152.031 die Epik in ihrem ganzen Umfange. Wo die Handlung sonst in der pba_152.032 Dichtung auftritt, dient sie derselben nur als Mittel, d. h. sie wird pba_152.033 nicht um ihrer selbst willen erzählt, sondern sie wird nach einer einseitigen pba_152.034 Richtung hin benutzt, um einen abgesonderten Nachahmungszweck pba_152.035 zu ereichen: einen anderen im Liede, einen anderen in der Ballade, in pba_152.036 in der gnomischen Dichtung oder im Epigramm. pba_152.037 Was Goethe in dem inhaltschweren Liede „Gefunden“ („Jch pba_152.038 ging im Walde so für mich hin“ u. s. w.) erzählt, erinnert freilich pba_152.039 den in die Lebensverhältnisse des Dichters Eingeweihten an eine Handlung, pba_152.040 die den Namen im eminentesten Sinne verdient, aber es fehlt ge-

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/170>, abgerufen am 22.11.2024.