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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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hier zuvor die Untersuchung über die außerordentlich weit- und tiefgreifende pba_144.002
Bedeutung des Begriffes der Handlung -- der praxis pba_144.003
-- erfolgen. Maßgebend dafür ist die Lehre, welche der klassische Erforscher pba_144.004
dieses ganzen Gebietes, Aristoteles, in seinen psychologischen pba_144.005
und ethischen Schriften entwickelt hat.

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Vor allem ist die hier geltende Grundbedeutung festzustellen: in pba_144.007
Analogie mit den Begriffen des Pathos und Ethos hat praxis = Handlung pba_144.008
-- im Gegensatze zu dem gewöhnlich darunter verstandenen Begriff pba_144.009
der äußeren Handlung -- für dieses ganze Gebiet zunächst die pba_144.010
Bedeutung eines seelischen Vorganges. So wird das Wort von pba_144.011
Aristoteles, wo es sich um psychologische und ethische Fragen handelt, pba_144.012
immer gebraucht. Es hat dann aber bei ihm noch zwei weitere Bedeutungen: pba_144.013
einmal bezeichnet es die jenem seelischen Vorgange entsprechende, pba_144.014
ihn verwirklichende That, sodann in noch weiterem pba_144.015
Umfange die Gesamtheit der dieselbe begleitenden, unmittelbar sie bedingenden pba_144.016
und durch sie hervorgerufenen, durch sie zu einem einheitlichen pba_144.017
und vollständigen Ganzen vereinigten äußeren pba_144.018
Umstände und Begebenheiten.
Jn allen diesen drei Bedeutungen pba_144.019
schließt sich der deutsche Sprachgebrauch des Wortes "Handlung" dem pba_144.020
griechischen praxis genau an.

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Für die beiden weiteren Bedeutungen bedarf das keines Beweises, pba_144.022
eher für jene engere Grundbedeutung von Handlung im inneren, geistigen pba_144.023
Sinne. Es ist hier ein näheres Eingehen erforderlich.

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Nach Aristoteles sind die Empfindungen -- die pathe -- an pba_144.025
und für sich
unmittelbare und unbewußte Aeußerungen der Lebensthätigkeit pba_144.026
der Seele, Veränderungsvorgänge, die entsprechend den äußeren pba_144.027
auf sie einwirkenden Dingen und Vorgängen naturgemäß, ihrer Anlage pba_144.028
und Beschaffenheit entsprechend, in ihr erfolgen. Sie gehören also an pba_144.029
und für sich
dem vernunftlosen Teile (alogon) der Seele an. Es pba_144.030
kann geschehen, daß sie bei einem Menschen im Wesentlichen auch so pba_144.031
verbleiben: dann werden sie jedesmal, sobald sie durch starke erregende pba_144.032
Ursachen in höherem Grade in seiner Seele stattfinden, notwendigerweise pba_144.033
auch bestimmend sein für das, was er begehrt und wovor er zurückweicht pba_144.034
(dioxis und phuge); eben daraus werden bei ihm dann auch in pba_144.035
jedem Falle die Thatimpulse (orexeis) und Handlungen entstehen. pba_144.036
Von einem solchen Menschen sagt Aristoteles, daß er "nach seinen Empfindungen pba_144.037
lebt und handelt" (kata pathos zen und kata pathos pba_144.038
prattein). Ein solches Leben und Handeln steht nach ihm auf einer pba_144.039
sehr niederen Stufe, obwohl damit keineswegs gesagt ist, daß das letztere pba_144.040
im einzelnen Falle objektiv schlecht oder auch an sich objektiv unrichtig

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hier zuvor die Untersuchung über die außerordentlich weit- und tiefgreifende pba_144.002
Bedeutung des Begriffes der Handlung — der πρᾶξις pba_144.003
— erfolgen. Maßgebend dafür ist die Lehre, welche der klassische Erforscher pba_144.004
dieses ganzen Gebietes, Aristoteles, in seinen psychologischen pba_144.005
und ethischen Schriften entwickelt hat.

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Vor allem ist die hier geltende Grundbedeutung festzustellen: in pba_144.007
Analogie mit den Begriffen des Pathos und Ethos hat πρᾶξις = Handlung pba_144.008
— im Gegensatze zu dem gewöhnlich darunter verstandenen Begriff pba_144.009
der äußeren Handlung — für dieses ganze Gebiet zunächst die pba_144.010
Bedeutung eines seelischen Vorganges. So wird das Wort von pba_144.011
Aristoteles, wo es sich um psychologische und ethische Fragen handelt, pba_144.012
immer gebraucht. Es hat dann aber bei ihm noch zwei weitere Bedeutungen: pba_144.013
einmal bezeichnet es die jenem seelischen Vorgange entsprechende, pba_144.014
ihn verwirklichende That, sodann in noch weiterem pba_144.015
Umfange die Gesamtheit der dieselbe begleitenden, unmittelbar sie bedingenden pba_144.016
und durch sie hervorgerufenen, durch sie zu einem einheitlichen pba_144.017
und vollständigen Ganzen vereinigten äußeren pba_144.018
Umstände und Begebenheiten.
Jn allen diesen drei Bedeutungen pba_144.019
schließt sich der deutsche Sprachgebrauch des Wortes „Handlung“ dem pba_144.020
griechischen πρᾶξις genau an.

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Für die beiden weiteren Bedeutungen bedarf das keines Beweises, pba_144.022
eher für jene engere Grundbedeutung von Handlung im inneren, geistigen pba_144.023
Sinne. Es ist hier ein näheres Eingehen erforderlich.

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Nach Aristoteles sind die Empfindungen — die πάθη — an pba_144.025
und für sich
unmittelbare und unbewußte Aeußerungen der Lebensthätigkeit pba_144.026
der Seele, Veränderungsvorgänge, die entsprechend den äußeren pba_144.027
auf sie einwirkenden Dingen und Vorgängen naturgemäß, ihrer Anlage pba_144.028
und Beschaffenheit entsprechend, in ihr erfolgen. Sie gehören also an pba_144.029
und für sich
dem vernunftlosen Teile (ἄλογον) der Seele an. Es pba_144.030
kann geschehen, daß sie bei einem Menschen im Wesentlichen auch so pba_144.031
verbleiben: dann werden sie jedesmal, sobald sie durch starke erregende pba_144.032
Ursachen in höherem Grade in seiner Seele stattfinden, notwendigerweise pba_144.033
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(δίωξις und φυγή); eben daraus werden bei ihm dann auch in pba_144.035
jedem Falle die Thatimpulse (ὀρέξεις) und Handlungen entstehen. pba_144.036
Von einem solchen Menschen sagt Aristoteles, daß er „nach seinen Empfindungen pba_144.037
lebt und handelt“ (κατὰ πάθος ζῆν und κατὰ πάθος pba_144.038
πράττειν). Ein solches Leben und Handeln steht nach ihm auf einer pba_144.039
sehr niederen Stufe, obwohl damit keineswegs gesagt ist, daß das letztere pba_144.040
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/162>, abgerufen am 24.11.2024.